Rainer Wendt: Polizist am Abgrund

Erstveröffentlicht: 
12.01.2017
Deutschland lebt in einer Zeit der Angst. Der Polizeibeamte Rainer Wendt hat aus diesem Gefühl einen knalligen Bestseller gemacht. Unser Autor hat ihn gelesen.

 

Ich kann jeden verstehen, der sagt, dies ist überhaupt kein Rechtsstaat mehr.
Die Staatsführung schert sich nicht um die Einhaltung des Rechts.
Die Hälfte der Deutschen hat es satt, als Nazis abgestempelt zu werden.

 

Dies sind keine Zitate sogenannter Patriotischer Europäer oder anderer glaubensstarker "Alternativen". Sie stammen aus einem Buch von Rainer Wendt, Polizeihauptkommissar aus Duisburg. Seit 2007 ist er Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Sie ist im Deutschen Beamtenbund (DBB) angesiedelt, einer Organisation, in deren Bundesvorstand Herr Wendt ebenfalls sitzt. Ihre Hauptkennzeichen sind notorischer Alarmismus sowie ein allgegenwärtiger Vorsitzender.

 

Will man einen Sachbuch-Bestseller schreiben, muss man, so raten die Spürnasen der Verlage, eine "starke These" aufstellen und daran "entlangschreiben". Das heißt: Ereignisse zusammensuchen, die als Bestätigung des schon feststehenden Ergebnisses dienen. Auf seriöse Recherche oder gar Wissenschaft kommt es im Jahr der Gefühle nicht an. Wer behaupten möchte, das Überhandnehmen des chinesischen Schweißfußes sei verantwortlich für den Klimawandel, braucht keine Beweise, sondern drei Talkshows.

 

Der Titel des Wendt-Werkes lautet daher: Deutschland in Gefahr, der Untertitel: Wie ein schwacher Staat unsere Sicherheit aufs Spiel setzt. Damit sind schon zwei Schritte getan: Zunächst sind die Begriffe "Deutschland" und "Wir" zur Deckung gebracht, sodann Leser und Autor. Wer das Buch aufschlägt, marschiert also ab Seite 1, Seit an Seit mit Rainer Wendt, eingebettet im "Wir", und darf sich persönlich als Deutschland fühlen.

 

Der Inhalt des 188 Seiten starken Opus handelt von nicht weniger als den "Schicksalsfragen unserer Gesellschaft (und) des ganzen europäischen Kontinents". Von einem Staat im Zusammenbruch, dessen öffentliche Strukturen funktionslos und unglaubwürdig geworden sind, dessen Kernaufgaben nicht mehr wahrgenommen werden und dessen Bürger daher in Angst, Selbstjustiz und Verzweiflung leben. Gemeint ist nicht Somalia, sondern die Bundesrepublik Deutschland. Hier sieht Wendt: Zerfall, Korruption, Staatsferne, Versagen, Willkür. Daneben klar denkende Polizisten wie sich selbst und ein äußerst gereiztes Volk. 

 

Die Frage, die sich hier stellt, lautet: Auf welchen Sumpf zielt das Gerede?


Fantasien vom Ende der Welt waren stets kollektiver Teil der Angst vor der Zukunft. Im 20. Jahrhundert haben wir gelernt: Für die Apokalypse brauchen wir keine Götter – wir machen sie selbst. Polizeien aller Zeiten sind mit der Zeit gegangen. Das tut auch Rainer Wendt. Sein Endzeitszenario besteht aus "Verteilungskämpfen". Diese finden nicht etwa zwischen armen und reichen Deutschen statt, auch nicht zwischen Morgan Stanley und Deutscher Bank, der Volkswagen AG und ihren Beschäftigten. Sondern zwischen "Uns" und den "Fremden" .

 

 

Man weiß bei der Lektüre nicht recht: Ist das Ehrlichkeit, Zynismus oder Verzerrung? Der Autor bleibt alle Antworten schuldig auf drei Fragen, die aus seiner Perspektive beantwortet werden müssten: Wer ist Wir ? Wer sind die Anderen? Und was ist zu verteilen : Glück? Glaube? Öl? Sand? Uran? Frauen? Schließlich: Auf welcher Verteilungsseite steht Rainer Wendt selbst?

 

Hier verknüpfen sich die Enden einer Endlosschleife, die aus wenig Fakten und umso mehr Bewertung besteht. Wir kennen das und haben es gerade wieder erleben müssen: Ein Mordanschlag wie auf dem Berliner Breitscheidplatz setzt ein Geschrei von Menschen in Gang, die eine Befriedigung darin zu empfinden scheinen, schon immer gewusst zu haben, dass die Fremden fremd und die Feinde feindselig sind. Ein Triumph des Scharfsinns! An jedem politisch motivierten Mord hat jemand ein klammheimliches Wohlgefallen.

 

"Wenn nichts geschieht, werden die Gefahren für unser Land täglich größer", prophezeit Wendt. Ist das eine seherische Offenbarung? Das mag jede(r) sehen, wie er oder sie will. Schriebe jemand: Wenn die Verteilungsmaßstäbe sich nicht ändern, werden die Gefahren immer größer – würde er dann Gewerkschaftsführer bei der Polizei? Oder landete er in einer "Gefährder"-Datei? Man weiß es nicht. Denn man weiß ja nicht, welche "Gefahren" gemeint sind: Steigt die Gefahr des Taschendiebstahls am Hauptbahnhof, die Gefahr des Terroranschlags auf ICE-Züge, die Gefahr eines rechtsradikalen Putsches?

 

Die bedrückenden Ereignisse der vergangenen Woche hat auch der Autor Wendt nicht vorhersehen und verarbeiten können. Sie müssen hier gleichwohl erwähnt werden. Einerseits, weil sie schon wieder als "Bestätigung" von Thesen missbraucht werden, die auch Wendt verbreitet. Andererseits, weil sie nahelegen, dass man sich bei der Polizei ein paar Gedanken über evidente eigene Defizite machen sollte, statt mit großer Geste anderen die Schuld zuzuschieben. Die Rechtsradikalen werden den Opportunisten nicht glauben, die nun überall zu Protokoll geben, sie verträten nun ausnahmsweise mal ein paar rechtsradikale Positionen, um den Neofaschisten die Wähler abzuringen.

 

Deutschland am Abgrund. Damit der Leser ihm in dieser Diagnose folgt, versucht Wendt, in sieben Kapiteln das Elend Deutschlands auszubreiten. Das geht so: Früher gab es anständige Politiker. Sie hatten Schlosser oder Steinmetz gelernt. Heute sind viele Abgeordnete "Langzeitarbeitslose", Menschen, vor denen man keinen Respekt haben kann, die "kreischend auf irgendwelchen Bahngleisen sitzen" und anschließend in Talkshows "herumgreinen", Drogenkonsumenten, Urlaubmacher, Privilegien-Abgreifer. 

 

Kommissar Wendt ist ein richtig harter Hund


 

Wenn Parteien gewählt werden, die ihnen nicht passen, "tricksen sie es hin", dass diese ausgegrenzt werden (arme NPD, arme AfD!). "Provinzpolitiker" aus Norddeutschland "schaffen es sogar bis ins Kanzleramt" (gemeint ist Gerhard Schröder, wie Wendt aus "problematischen Verhältnissen" aufgestiegen). Genossen wollen Nachrichtendienste "zu Partei-Geheimpolizeien degradieren", indem sie "nicht verbotene Parteien" vom Verfassungsschutz beobachten lassen, was Herr Wendt sehr rechtsstaatswidrig findet. "Die Parteien haben sich die rechtsstaatliche öffentliche Verwaltung zur Beute gemacht."

 

Wendts Feinde haben Namen: Roth, Beck, Wagenknecht, "SPD-Politiker". Vor allem von Grünen-Politikern hörte Herr Wendt "so viel dummes Zeug, dass ich es nicht fassen konnte. Ich dachte nicht, dass man so viel Blödsinn in so kurzer Zeit überhaupt aussprechen kann."

 

Freunde hat Wendt auch: In Berlin hat der frühere Innensenator nach Test am eigenen Leib versichert, ein Elektroschockgerät sei völlig harmlos, und von der Walhalla herab winkt "der legendäre Franz Josef Strauß". Hier unten zeichnen sich derweil Koalitionen ab, die "mit demokratischer Kultur nichts mehr zu tun haben". Da ist es "völlig einerlei, wem man seine Stimme gibt". Und das, so Wendt, "machen die Bürger und Bürgerinnen nicht mit, und sie haben recht".

 

Der Leser fragt sich: Mit welchem Sumpf kokettiert dieses Gerede? Meint der Autor ernst, was er schreibt? Ist er überzeugt, einem Staat zu dienen, der "kein Rechtsstaat" ist und der "mit demokratischer Kultur nichts gemein hat"? Wieso kündigt er dann nicht? Wieso flieht er nicht, geht in den Untergrund? Wieso beantragt er nicht Asyl in Ungarn?

 

Um die Sicherheit in Deutschland ist es, angeblich, verheerend bestellt. 69 Prozent der Bevölkerung meinen (laut Wendt), die Anzahl der Verbrechen nehme stetig zu. Wendt tritt diesem irrigen Meinen nicht etwa entgegen, im Gegenteil: Er benutzt es als Beweis dafür, dass die Sicherheitslage besonders dramatisch sei. Das Gewaltmonopol des Staates "schmilzt wie Eis in der Sonne". Statt für Sicherheit zu sorgen, muss die Polizei "für die Verwaltung die Post austragen oder Einbrecher ermitteln" (Letzteres hält der Autor offenbar für eine Zumutung); die Arbeitskraft der Polizei wird "verplempert" für "solch einen Quatsch" wie das "Widerlegen von faulen Ausreden". Hinweg mit dem Zeugnisverweigerungsrecht: Wer als Halter eines Kfz nicht auf der Stelle erklärt, welches Familienmitglied die Tat begangen hat, ist zu behandeln, als habe er sie selbst begangen. Ein ausbaufähiges Konzept!

 

Das Ergebnis (laut Wendt): Gewalt, Missbrauch, Vergewaltigung, Bandenkriminalität, flankiert von Selbstjustiz, Staatsverhöhnung, Parallelgesellschaften. Insbesondere Gewalt gegen die Polizei ist "allgegenwärtig".

 

Und die Polizei darf weder, wie sie könnte, noch, wie sie will. Denn erstens sind die Schlagstöcke "viel zu kurz", zweitens Elektroschockgeräte nicht zugelassen, drittens fehlt es an Distanzwaffen, um dem Verbrechen wirksam entgegenzutreten. Deshalb, so Kommissar Wendt, "müssen (!) Streifenpolizisten weiter die Angreifer töten". Verrückte Politiker zwingen die Polizei, Verbrecher zu erschießen, statt sie zu betäuben. 

 

Die Entrüstung des Polizisten Wendt fällt auf die Polizei zurück


Auch werden die polizeilichen Notwendigkeiten notorisch verkannt, findet Wendt: Wenn zum Beispiel ein Videodokument zeigt, wie sieben Polizisten eine Person, die sich nicht wehrt, mit Knüppeln zusammenschlagen, ist das eine typisch polizeifeindliche Verfälschung. In Wahrheit musste man so handeln, weil die betroffene Person "kein harmloses Bürschchen" war und sich "in der Gegend üblicherweise viele kriminelle Gestalten herumtreiben", sodass Eile geboten war. Ja, Kommissar Wendt ist ein richtig harter Hund: "Wir müssen Menschen schlagen können, und wir müssen Menschen wehtun. Das ist richtig und wichtig (…) Wir können unsere Arbeit nicht mit Schlagsahne-Gewehren erledigen." Dem Magazin Cicero verriet Wendt kürzlich, er sei ein rundum zufriedener, fröhlicher Mensch. Man kann sich vorstellen, wie sauer es ihn ankommt, Menschen zu schlagen.

 

Vor zehn Tagen ist in Berlin eine der schlimmsten Möglichkeiten eingetreten. Nichts spricht dafür, dass der Mordanschlag darauf zurückzuführen ist, dass die Polizei mit "Schlagsahne-Gewehren" ausgerüstet ist. Die Entrüstung des Polizisten Wendt fällt auf ihn selbst zurück: Weder an langen Knüppeln noch an Elektroschockgeräten hat es in Berlin gefehlt und auch nicht an albern voll vermummten SEK-Beamten, Mitgliedern von Krisenstäben und allerhand "Terrorismus-Experten", die von den Medien binnen Minuten generiert werden können.

 

Auch der Beschuldigte im spektakulären Freiburger Mordfall war kaum festgenommen, da rief Herr Wendt auf allen Kanälen: Ein Beweis für die verfehlte Flüchtlingspolitik Deutschlands! Diese Botschaft trägt er durch die Interviews, versehen mit dem Hinweis, die Mahnung, es solle kein Generalverdacht gegen Flüchtlinge geäußert werden, "nerve ihn langsam".

 

Reaktionen auf den Mordanschlag in Berlin klingen wie ein Echo dieser Botschaft und zeigen daher nicht deren Wahrheit, sondern ihre Beliebigkeit. Und die Saat geht auf. Der nächste Attentäter, spricht eine besorgte Berlinerin ins Mikrofon des Deutschlandradio, möge doch "ins Kanzleramt reinfahren", das fände sie mal gut. Ja, so ist das mit der deutschen und vor allem der christlich-jüdischen Leitkultur! Da kommt, wenn auf offener Bühne das terrorgeneigte Krokodil sein grässliches Maul aufreißt, auch Weihnachten 2016 kein Schutzmann mit langem Knüppel gelaufen. 

 

Das Buch verstärkt Ängste und Vorurteile


Damit gelangen wir ins Zentrum der Weltdeutung. Das Deutsche, Ordentliche und Polizeiliche liegt dem Gewerkschafter am Herzen. Es wird bedroht durch nordafrikanische Kleinkriminelle und Vielfachtäter, arabische Clans, nicht zuletzt aber auch durch Politiker, die "Kuschelkurse" für Schwerverbrecher und sinnlose Integrationskurse für sogenannte Flüchtlinge anbieten. "Parlamentarische Wichtigtuer" versuchen, dem Volk den Blick auf die Wirklichkeit zu verstellen. "Glücklicherweise haben andere Länder dem hilflosen Agieren deutscher Politik nicht länger zusehen können." Ob er mit diesen Glücksländern Ungarn meint oder die Türkei, wo die Polizisten Orbán oder Erdoğan ihres Amtes walten, lässt der Autor offen.

 

Die Sicherheitslage in Deutschland ist für den Autor Wendt auf ein befremdliches Gegenüber von "wir" und "ihr" reduziert: Sicherheit ist innen, Unsicherheit kommt von außen. Das mag man im Krieg so sehen. Für einen Polizeigewerkschafter in einem freien Land erscheint eine derartige Analyse auffällig.

 

Das ist wie mit der "jüdisch-christlichen" Leitkultur, die den Jammergestalten aus der weiten Welt anempfohlen wird, wenn sie sich schon zu Lebzeiten in das Paradies begeben möchten, welches sie bislang nur finanzieren durften. Weder das Jüdische noch das Christliche haben sich der Säkularisierung freudig ergeben. Und auf die Halluzination, dass das eine im herzlichen Dialog mit dem anderen die europäische Freiheit geschaffen habe, kann man wohl nur in Deutschland kommen.

 

Herr Wendt weiß auch viel zur Lage des Flüchtlings. Sicheres Herkunftsland ist nach seiner Ansicht alles, was "deutsches Urlaubsland" ist. Deshalb kann er nicht verstehen, wenn Menschen behaupten, ihnen drohe "in einem deutschen Urlaubsland angeblich Verfolgung". Damit ist ihm eine besonders schöne Beschreibung gelungen. Der Deutsche nimmt – da ist er wie der Afghane – seine Kultur überallhin mit und deshalb auch seine Sicherheit. Wo ein Deutscher Urlaub macht, ist stets ein bisschen Deutschland, dort droht keine Verfolgung. Deshalb hat, wo wir unseren Longdrink schlürfen, der Eingeborene keinen Grund, massenhaft nach Deutschland einzufallen.

 

Für die Justiz – gemeint: Strafjustiz – hat Rainer Wendt wenig übrig. Verachtung, Beschimpfung, Häme: "Salbadernde" Gutmenschen, volksferne Psycho-Tanten beiderlei Geschlechts, die Schwerverbrechern rührende "Ermahnungen" und Intensivtätern sinnlose Bewährungsauflagen mit auf den Lebensweg geben. "Täter lachen, Polizisten verzweifeln, Opfer sehen ungläubig zu", ist sein Fazit. Die Polizei macht die Täter dingfest, die Justiz lässt sie alsbald laufen, auf dass sie weitere Straftaten verüben. Zum Umgang der Justiz mit Verbrechern notiert Herr Wendt humorvoll: "Sie finden jemanden, der Ihnen bescheinigt, dass Sie irgendwie traumatisiert sind, zu wenig geliebt oder zu viel verstanden. Vielleicht haben Ihre Eltern sich getrennt oder zu früh geheiratet. Irgendwas. Und dann passiert: … Nichts." Wendt steht daher mit ganzem Herzen auf der Seite derer, "die gar nicht wissen wollen, warum solche Urteile ergehen", sondern die "einfach eine andere Rechtsprechung erwarten".

 

Er schämt sich nicht, solcher Hetze seine Sympathie zu bekunden. Was schwierig und differenziert ist, will er "nicht wissen". Er fühlt sich auch hier im warmen Bauch eines Wir, das er vermutlich in jener Hälfte des Volkes ansiedelt, die sich "nicht länger als Nazis diffamieren lassen will". Deshalb interessiert ihn Kriminalwissenschaft allenfalls als Gegenstand von Hohn. Psychologen, Kriminologen, Sozialforscher: Witzfiguren; Statistik, Empirie, Fakten – alles wurscht. Schutzmann Wendt braucht keine Dummschwätzer. Auf das Gefühl kommt es an und auf das Wollen. In diesem Ton geht es dahin. 188 Seiten können sehr lang sein. 

 

Das Buch birgt eine Sammlung probater Mittel der Demagogie


Kein Sachbuch ohne Ausweg. Auch Wendt hat einen: Eine Wende soll es sein, ein Es-muss-etwas-geschehen. Zwar sagt er nicht, was geschehen soll, aber der Leser kann es sich denken. Wendt verbirgt persönliche Wut, biografische Erniedrigung und Verachtung für Eliten hinter Behauptungen über angeblich unterdrückte Meinungen. Das ist ein tausendfach erprobtes Mittel der Demagogie. Man muss es hier nicht ein weiteres Mal entlarven, wohl aber dem Befremden darüber Ausdruck verleihen, dass der Vorsitzende einer Interessenvereinigung von 60.000 Polizisten glaubt, solches Tun werde ihm den Beifall des Volkes einbringen und ihn an die Spitze des Deutschen Beamtenbunds tragen.

 

Vorgetäuschte Volksnähe, Polizei-Larmoyanz rühren nicht aus bösem Willen, sondern aus Funktion und Interesse. Weil dies so ist, braucht das Vertrauen in ein demokratisches Gemeinwesen nicht möglichst viel Polizeistaat und blindes Vertrauen in die Träger von langen Schlagstöcken, sondern eine ans Recht gebundene enge Kontrolle der Polizei.

 

Das Buch von Rainer Wendt verstärkt Ängste und Vorurteile. Wer den Autor kennt, weiß, dass er ein intelligenter und schnell denkender Sprecher ist. Anders wird man nicht, was er ist, und erst recht nicht, was er noch werden will. Doch Deutschland in Gefahr ist nicht bloß ein inhaltlich unzutreffendes und literarisch schlechtes Buch. Bedauerlich ist, dass der Autor behauptet, Sprachrohr der deutschen Polizei zu sein. Dass er deren Interessen vertritt, ist zu bezweifeln. Sicher ist nur eines: Er vertritt die Interessen des Rainer Wendt.

 

Ich empfehle das Buch trotzdem: Wendt schreibt, was er meint. Das ist im Konkreten beispielhaft und im Allgemeinen wichtig. Er geriert sich als Stimme einer Empörung, ja einer "Bewegung". Sonst würde er sich nicht trauen, Regierung, Parlament und Justiz jenes Staates zu beschimpfen, den er zu repräsentieren behauptet. Sein Buch gibt Einblick in Niveau, Tendenz und Aufgeregtheit der aktuellen Diskussion.

 

Übrigens: An jenen Orten, die dem Autor als Ideal von Sicherheit vorschweben, wäre mit einer derart üblen Beschimpfung von Gesetzgeber, Justiz und Verwaltung wahrscheinlich das Ende seiner schönen Polizeikarriere gekommen. In dem freien Staat aber, dessen "Zerfall" er proklamiert, lassen sich damit ein paar Euro hinzuverdienen und ein paar Stimmen sammeln. Vielleicht verachtet er die permissive Kultur dafür. Vielleicht aber ist er gerade deshalb so fröhlich in seinem Unrechtsstaat.