Jahresrückblick 2016, Schleswig-Holstein: Flüchtlingsfeindlichkeit trifft auf Protest

Erstveröffentlicht: 
13.12.2016

Alle Jahre wieder fragen wir: Was passierte im Bereich Rechtsextremismus in den verschiedenen Bundesländern? Welche Themen waren wichtig, welche Akteure und Akteurinnen? Heute: Schleswig-Holstein.

 

Die Fragen beantwortete RBT Schleswig-Holstein - Regionale Beratungsteams gegen Rechtsextremismus.

 

Was war in Ihrem Bundesland das wichtigste Ereignis im Be​reich Rechtsextremismus / Rechtspopulismus?

 

Natürlich gibt es im Laufe eines Jahres viele Ereignisse, die wichtig waren, und es ist schwer, diese gegeneinander aufzuwiegen. Wir haben uns entschieden, die „Gemeinsam für Deutschland – Volkswillen umsetzen“-Demonstration in Bad Oldesloe zu benennen, die am 16.04. stattgefunden hat. Ungefähr 85 Teilnehmende aus Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Mecklenburg Vorpommern sind zu der von einem Neumünsteraner NPD-Politiker angemeldeten Demonstration gekommen. Sie konnten allerdings aufgrund zivilgesellschaftlichen Widerstandes nur eine sehr verkürzte Runde im direkten Bahnhofsumfeld drehen. Die Demonstration stellt einen von mehreren Versuchen der extremen Rechten seit Ende 2015 dar, nach Jahren ohne öffentlichkeitswirksame Aktionen wieder auf die Beine zu kommen. Die Demonstration in Bad Oldesloe sticht besonders heraus. Einerseits wegen eines gewalttätigen Übergriffs auf vermeintliche Gegendemonstrierende im Anschluss an die Demonstration im Lübecker Hauptbahnhof. Andererseits weil auch in den Tagen nach der Demo weitere gewalttätige Aktionen in Lübeck zu verzeichnen waren.

 

Was für Folgen hatte also die Demonstration?

 

Auch wenn unklar ist, ob ein direkter personeller Zusammenhang besteht, so ist doch auffällig, dass am gleichen Wochenende weitere rechte Angriffe in Lübeck stattgefunden haben. So wurden einerseits im Laufe des Samstag Grabsteine auf einem jüdischen Friedhof umgeworfen. In der Nacht auf Montag kam es zu einem rassistischen Angriff auf eine Lübecker Kneipe, in der regelmäßig selbstorganisierte Deutschkurse für Geflüchtete stattfinden. Scheiben wurden eingeworfen und Schweinekopfhälften in den Raum geworfen. Der in den Redebeiträgen der Demonstration geforderte stärkere Aktivismus wurde also von Teilen der extremen Rechten als Aufforderung zur Gewalt verstanden. Dies lässt sich in einen generellen Trend einordnen: Obwohl die klassischen rechtsextremen Strukturen wie NPD und freie Kameradschaften in Schleswig-Holstein nach wie vor nicht sonderlich stark sind und nur begrenzt von den Debatten über Geflüchtete profitieren, scheinen Übergriffe massiv anzusteigen. Davon berichtet auch das Schleswig-Holsteiner „Zentrum für Betroffene rechter Angriffe“.

 

Was war die aktivste Gruppierung im Bereich Rechtsextremismus / Rechtspopulismus, und was tat sie?

 

Eine der aktivsten rechtsextremen Gruppierungen in Schleswig-Holstein war die Gruppe „Neumünster wehrt sich“ (mittlerweile „Neumünster und Segeberg wehren sich“). Diese Gruppierung ist zunächst mit einer gleichnamigen Facebookgruppe aufgefallen, die sich in die bundesweit seit 2014 zu beobachtenden Entwicklung der Gründung von „Stadt XY wehrt sich“- Facebookgruppen einreihte. Die Facebookgruppe wird von 3.508 Personen geliked (Stand: 8.12.2016). Die Gruppe, die sich auch „Heimatbund Schleswig-Holstein“ nennt, will laut Slogan auf ihrem Hintergrundbild gegen „Asylbetrug und Überfremdung, für die Bewahrung[der] deutschen Identität“ kämpfen. Auf der Facebookseite werden immer wieder Artikel und Kommentare gepostet und geteilt, die sich gegen Geflüchtete, Migrant*innen, gegen die Bundesregierung und gegen die politischen Gegner*innen richten. 

 

Über ihre Facebookpräsenz hinaus werden unter dem Motto „Neumünster wehrt sich“ auch Demonstrationen und Kundgebungen organisiert. Bereits im Jahr 2015 fand im November unter diesem Motto eine Demonstration in Neumünster statt (s. auch Jahresrückblick SH 2015), bei der ca. 120 Menschen demonstrierten. Damit gelang es der extremen Rechten zum ersten Mal seit 2012, wieder eine größere Menge an Menschen auf die Straße zu bekommen. Im Jahr 2016 wurden mehrere Kundgebungen in Neumünster von bekannten Nazis angemeldet. Eine für Ende Februar 2016 angemeldete Demo wurde von den Veranstaltern kurzfristig wieder abgesagt. Am 16.1., am 23.4. und am 21.5. gelang es der Gruppierung ihre Kundgebungen mit zwischen 30 und 80 anwesenden Personen durchzuführen. Am 22.10. fand eine weitere Kundgebung in Neumünster statt, allerdings unter dem Motto „Gemeinsam für Deutschland“, bei der auch der NPD-Ratsherr von Neumünster eine Rede hielt. Darüber hinaus waren auf den Kundgebungen meist einerseits Personen aus der rechten Szene Neumünsters sowie angereiste Neonazis aus Schleswig-Holstein und Hamburg anwesend, u.a. aus Eutin, von der sogenannten „Aktion gegen Deutschenfeindlichkeit“ aus Kiel, sowie von der JN Nordland. Akteure aus den ersten Reihen der Landes-NPD waren hingegen nur teilweise anwesend. Auffällig war, dass auch Personen, die seit langer Zeit nicht mehr aktiv in Erscheinung getreten waren, wie z.B. der ehemalige Vorsitzende (bis 2009) der NPD SH, auf den Kundgebungen auftraten.

 

Die demokratische Zivilgesellschaft war jeweils mit deutlichen Gegenprotesten und wesentlich mehr Personen vor Ort. Am 28. 2. 2016 beispielweise demonstrierten 360 Menschen aus Neumünster mit einer Verstärkung von ca 200 Leuten aus Kiel/Hamburg erfolgreich gegen die Nazis.

 

Obwohl die Teilnehmendenzahl bei den Kundgebungen auf einen relativ kleinen Kreis begrenzt blieb, kann konstatiert werden, dass die rechte Szene in Schleswig-Holstein es mit „Neumünster wehrt sich“ eine Gruppierung erstmals seit Jahren wieder regelmäßig sichtbar auf der Straße auftritt.