Panoptische Gebäude in echt: Der „Narrenturm“ am AKH

Narrenturm 1

Vor ein paar Wochen gings hier ja um Facebook, Foucault und das Panoptikum. In einem Interview hatte der Schauspieler Christoph Waltz der Firma Facebook vorgeworfen, der neue Faschismus zu sein. So sympathisch so ein Ausraster auch sein mag, so falsch ist doch der Schluss aus ihm. Warum das so ist, erklärte unser Text mit Foucault und dem Begriff des Panoptikum. Die ein oder andere Lesende war überrascht bis entsetzt, dass panoptische Gebäude wirklich gebaut wurden, und u.a. in Berlin noch als Knäste in Betrieb sind. Per Mail sind wir jedoch darauf aufmerksam geworden, dass es noch viel schönere Panoptika (oder was sonst auch immer der Plural von Panoptikum sein mag) gibt.

Der Narrenturm der Uni Wien

Ein krasses Beispiel für ein Panoptikum steht zum Beispiel in der Uni Wien auf dem Campus „Altes AKH“, von dem wir netterweise Bilder zugeschickt bekommen haben. Das heutige Uni-Gelände war früher ein „Allgemeines Krankenhaus“, deshalb auch die Abkürzung „AKH“. Auf dem Gelände des AKHs steht bis heute der sogenannte „Narrenturm“. Heute ist dort Uni-Bauhof und das Pathologisch-anatomische Bundesmuseum.

 

Hochmoderne Menschenscheideanstalt

Bei seinem Bau 1784 war das Gebäude jedoch eine sehr frühe psychiatrische Klinik (was auch immer das konkret für die Patient*innen geheißen haben mag vor 230 Jahren, als man angefangen hat, sie aus ihren Familien zu reißen und zusammen einzusperren…). Das Gebäude ist streng panoptisch gebaut, wie die Beschreibung auf Wikipedia zeigt: „Es handelte sich um einen fünfstöckigen Rundbau mit 28 Räumen pro Etage und schmalen Fenstern und einen in Nord-Süd-Richtung ausgerichteten Mitteltrakt. Insgesamt gab es für die Insassen 139 Einzelzellen. Jede Zelle misst etwa 13 Quadratmeter und ist vom runden Gang aus zu betreten. Im Mitteltrakt waren die Wärter untergebracht, an einer Seite wurde der Stiegenlauf gebaut, sodass ein großer und ein kleiner Hof entstand“ („Stiegenlauf“ ist das wienerische Wort für „Treppenhaus“, liebe Berliner*innen). Wie schnell damals die Entwicklung der Moderne von statten ging, zeigt sich, dass der top-moderne Bau bereits zehn Jahre später als veraltet galt. Der Grund dafür war, dass man die Gefangenen im Turm aufgrund seiner Bauweise nicht doll genug nach unterschiedlichen „Krankheitsbildern“ sortieren und nach unterschiedlichen „Behandlungsmethoden“ unterscheiden konnte, was ja beim panoptischen Gedanken ein Kerngedanke ist.

 

Studentische Kämpfe um den Narrenturm

Das Gelände am Turm, auf dem sich heute der Uni-Bauhof befindet, war übrigens von 2004 bis 2006 Schauplatz wilder Auseinandersetzungen. Revoltierende Studis der sogenannten „Freiraumgruppe“ besetzten mehrmals leerstehende Gebäude und Brachen, um ihre Forderung nach "selbstverwalteten Sozial- und Kulturzentrum am Unicampus“ durchzusetzen. Mit Baumhäusern zwangen sie die Polizei zu spektakulären Räumungen, u.a. auch am „Narrenturm“.

 

Mehr Infos:

 

facebook, Foucault und das Panoptikum:

http://maqui.blogsport.eu/2015/11/04/facebook-foucault-und-das-panoptikum/

 

Mehr politische Theorie praktisch erklärt:

http://maqui.blogsport.eu/theoretisches-praktisch/

 

Mit Kommunikationsguerilla gegen Nazis?

http://maqui.blogsport.eu/2016/02/07/kommunikationsguerilla-gegen-nazis/