Brandanschlag auf Polizisten in Pariser Vorstadt: "Sie wollten uns umbringen"

Die zwei ausgebrannten Autos – ein junger Polizist ringt mit dem Tod.
Erstveröffentlicht: 
12.10.2016

Vermummte aus einer Sozialsiedlung versuchten Polizisten in ihren Streifenwagen zu verbrennen. Ein Beamter ringt mit dem Tod.


"Damit hatten wir nicht gerechnet. Sie wollten uns umbringen", sagte der 38 jährige Polizist Sébastien in einem Interview mit dem Blatt Parisien. Sébastien, schwankender Gang und beide Hände verbunden, wurde von Frankreichs Premierminister Manuel Valls als "Held" geehrt. Der Beamte hatte sich auf einen brennenden Kollegen geworfen, den 28 jährigen Polizei-Praktikanten Vincent, und ihm so das Leben gerettet – zumindest vorerst.

Denn Vincent liegt im Spital im künstlichen Koma und kämpft mit dem Tod. Der junge angehende Polizist war am Samstag mit Sébastien und zwei Kolleginnen, aufgeteilt auf je zwei Streifenwagen, nahe einer viel befahrenen Straßenkreuzung am Rande der Vorort-Siedlung La Grande Borne südlich von Paris stationiert gewesen. Die Beamten hatten die Siedlung, die für ihre Drogendealer und sonstigen kriminelle Zirkel berüchtigt ist, im Auge. Während dessen hatten sich rund 15 Vermummte von einer anderen Seite her herangeschlichen, die Autofenster eingeschlagen und Molotov-Cocktails ins Innere der Fahrzeuge geworfen. Die Insassen des ersten angegriffenen Wagens wurden mit Faustschlägen traktiert und die Autotüren zugehalten, während die Flammen hochschnellten.

Neben Vincent erlitt seine Kollegin, Jenny, eine 39 jährige Mutter dreier Kinder, schwere Brandwunden. Auch die Insassen des zweiten Streifenwagens konnten sich unter den auf sie niederprasselnden Schlägen kaum wehren, aber Anrainer gaben Alarm, die Angreifer flüchteten.


Überwachung einer Überwachungskamera

Die Beamten hatten den erstaunlichen Auftrag, eine Überwachungskamera ihrerseits zu überwachen. Diese Video-Kamera war vor 18 Monaten auf einem Mast angebracht worden, weil zuvor immer wieder Türen von Autos, die an dieser Kreuzung hielten, von jungen Männern aus der Siedlung aufgerissen und Taschen entrissen wurden. Aber auch der Mast mit der Kamera wurde mit gestohlenen Autos umgefahren.  Zuletzt wurde er von drei 800 Kilo-schweren Betonblöcke geschützt.

Möglicherweise war der jetzige Angriff auf die Beamten eine Rache für eine Polizeirazzia, bei der 60 Kilo Haschisch sichergestellt wurden. Die Bürgermeister der beiden Anrainer-Gemeinden der Sozialbau-Siedlung, ein Konservativer und ein Kommunist, betonen beide, dass die Mehrheit der Bewohner der „Grande Borne“ über die kriminelle Minderheit klagen und die Attacke auf die Polizisten verurteilen. Aber in der Siedlung, in der Notstandsempfänger und junge Arbeitslose konzentriert wurden, sind etliche Familien in die kriminelle Schattenwirtschaft verwickelt.


Polizisten wollen Notwehrbegriff neu auslegen

Am Dienstag organisierten Polizeigewerkschaften landesweit Kundgebungen. Einige fordern Personalaufstockungen, andere auch eine Änderung der Notwehr-Bestimmungen für Polizisten, die den Schusswaffengebrauch erleichtern würde. Laut Behörden wurden im Vorjahr 12.388 Polizisten verletzt und 6 getötet. 2016 starben bereits 11 Beamte. Menschenrechtsorganisationen verweisen freilich auch auf nicht geahndete Übergriffe durch Beamte, die das Vertrauen in die Polizei in Brennpunktvierteln untergraben würden.

Das Sicherheits-Thema dürfte auch die anlaufende Kampagne für die französischen Präsidentenwahlen (April 2017) zusehends prägen. Die SP-Regierung wirft dem vormaligen bürgerlichen Präsidenten Nicolas Sarkozy vor, er habe die Ordnungskräfte durch die Abschaffung der einstigen Nahbereichs-Polizei und einen radikalen Postenabbau (minus 13.000) geschwächt. Die sukzessiven Regierungen unter dem jetzigen Staatschef Francois Hollande halten es sich zu Gute, sie hätten dieses Manko durch die Schaffung von 9000 neuen Posten wieder auszugleichen versucht. Die Heranbildung und volle Einsatzbereitschaft dieser neuen Polizei-Rekruten würde aber noch Zeit erfordern.

Der konservative Ex-Präsident Sarkozy, der sich mit harten Ordnungsparolen für seine Wiederwahl in Stellung bringen möchte, beschuldigt hingegen die linke Staatsführung um Hollande, sie würde einer angeblich „viel zu laxen“ Justiz Vorschub zu leisten.     


Polizei-Einsatz mit Brandschutzwesten

Unterdessen hat Premierminister Valls angekündigt, er beabsichtige Polizeiwagen, die in Problemzonen zum Einsatz kommen, mit Panzerungen gegen Steinwürfe auszurüsten, und die dort intervenierenden Beamten mit Brennschutzwesten auszustatten. Solche Ankündigungen verstärken freilich den Eindruck, dass in bestimmten Vierteln und Siedlungen bürgerkriegsähnliche Gefahren lauern – dass also politische Verantwortungsträger und Sicherheits-Behörden gezwungen wären, diese Siedlungen teilweise wie feindliche Gebiete zu betrachten.