Sprengstoffanschläge in Dresden - Zeugin: Täter legte Bombe in Plastiktüte vor der Moschee ab

Erstveröffentlicht: 
27.09.2016

Unbekannte haben in Dresden zwei Sprengstoffanschläge verübt. Gegen 22 Uhr detonierte ein Sprengsatz an einer Moschee, kurz darauf gab es eine Explosion am Kongresszentrum. Eine Anwohnerin sah den mutmaßlichen Täter.

 

Dresden. Unbekannte haben am Montagabend in Dresden zwei Sprengstoffanschläge verübt. Wie die Polizei am Morgen mitteilte, detonierte kurz vor 22 Uhr ein Sprengsatz an der deutsch-türkischen Fatih-Camii-Moschee an der Hühndorfer Straße im Stadtteil Cotta. Kurze Zeit später explodierte eine weitere Bombe am Kongresszentrum an der Devrientstraße. An beiden Stellen fanden die Ermittler Reste von selbstgebauten Sprengsätzen.

 

In der Moschee befanden sich der Imam, seine Frau und seine beiden zehn und sechs Jahre alten Söhne. Alle vier blieben unverletzt. Die Eingangstür des Gebäudes wurde nach innen gedrückt und im Haus entstanden Verrußungen, meldet die Polizei.

 

Am Kongresszentrum zersplitterte auf der Terrasse zur Elbe die Seite eines Glasquaders, der als Gestaltungselement Bestandteil der Freiterrasse ist. Die Bar des benachbarten Hotels wurde evakuiert. Gleichzeitig forderte die Polizei alle Gäste, die ein Zimmer mit Blick in Richtung der Terrasse bewohnen, dazu auf, sich nicht am Fenster aufzuhalten. 

 

Polizei vermutet Zusammenhang


„Beide Anschläge stehen zeitlich im Zusammenhang. Auch wenn uns bislang kein Bekennerschreiben vorliegt, müssen wir von einem fremdenfeindlichen Motiv ausgehen“, beurteilt Dresdens Polizeichef Horst Kretzschmar die Attacken. „Gleichzeitig sehen wir auch eine Verbindung zu den Feierlichkeiten anlässlich des Tages der Deutschen Einheit am kommenden Wochenende.“

 

Ab sofort werden die beiden Dresdner Moscheen an der Hühndorfer Straße und an der Marschnerstraße von Einsatzkräften bewacht. Auch das islamische Zentrum am Flügelweg wird von den Beamten intensiver kontrolliert. Zusätzlich werden die Vorbereitungen zum 3. Oktober überprüft. „Ab sofort arbeiten wir im Krisenmodus“, so Kretzschmar. 

 

Die Fatih Camii Moschee


Die Fatih-Camii-Moschee gehört der deutsch-türkischen Gemeinde Dresden, die sich nach der Wende konstituierte. Diese hat sich der Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, kurz DiTiB, angeschlossen. DiTiB untersteht dem staatlichen Präsidium für Religiöse Angelegenheiten der Türkei.

 

Für die Gemeide bedeutet dies, dass der Iman von DiTiB entsendet und auch bezahlt wird, so Gemeidnevorstand Yusuf Sengün vor wenigen Wochen. Der Iman nehme allerdings keinen Einfluss auf Politik und beschränke sich ausdrücklich auf die Religion, so Sengün weiter.

 

Die Dresdner Gemeinde hat und 150 Mitglieder. Etwa 300 Menschen kommen regelmäßig zum Freitagsgebet in die Moschee. Die Gemeinde finanziert sich nach eigenen Angaben über Spenden.

 

Imam Hamza Turan ist mit seiner Familie vor acht Monaten nach Dresden gekommen. Er lebt in einer Wohnung, die zur Moschee gehört. Der Geistliche ist 46 Jahre alt. Zuvor war er 16 Monate lang Imam einer Essener Moschee. Die Familie ist vor reichlich zwei Jahren aus der Stadt Gaziantep im Süden der Türkei nach Deutschland gekommen.

 

In der Nacht waren über 50 Polizeibeamte im Einsatz, darunter die Tatortgruppe des Landeskriminalamtes Sachsen, zivile Fahnder, ein Mantrailer-Hund, der menschliche Spuren besonders gut verfolgen kann, sowie Ermittler des Operativen Abwehrzentrums der sächsischen Polizei. In beiden Fällen könnte es Videomaterial geben. Sowohl der Moschee-Eingang als auch die Terrasse des Kongresszentrums sind videoüberwacht. 

 

Nachbarin beobachtet Anschlag auf Moschee


„Die hassen uns, weil wir Muslime sind“, meint der zehnjährige Ibraim Ismail Turan zu den Tätern, die den Anschlag gegen die Moschee verübt haben. „Die wollen uns nicht hier haben.“ Er selbst saß vor dem Fernseher, als es vor der Tür der Moschee knallte. „Ich habe von draußen was gehört, erst dachte ich, da werden Steine geworfen.“

 

Marlies K., eine Nachbarin, hat den Täter gesehen. „Der war schmächtig und hatte einen schwarzen Motorradhelm mit offenem Visier aufgesetzt“, berichtete die 63-Jährige. Sie stand am Fenster und rauchte, als der Täter zu Fuß und mit einer grauen Plastiktüte in der Hand auftauchte. Die brachte er hoch zur Tür des Flachbaus. Dann lief er wieder auf die Straße vor das Gebäude. Weil sich nichts tat, ging er wieder zu der Tüte, nahm sie, überprüfte darin etwas und stellte sie wieder vor die Tür. Vier Mal sei das passiert, bevor der Sprengsatz schließlich zündete. „Die Kinder haben geschrien und sind durch die brennende Tür nach draußen gelaufen“, hat sie noch gesehen, bevor sie sich einen Eimer nahm, um beim Löschen zu helfen. 

 

Politiker schockiert


Zahlreiche Politiker äußerten sich am Morgen entsetzt. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) verurteilte den „feigen Anschlag“ auf die Moschee in Dresden „auf das Schärfste“. „Dies ist nicht nur ein Anschlag auf die Religionsfreiheit und die Werte einer aufgeklärten Gesellschaft, sondern hier wurde auch bewusst der Tod von den in der Moschee lebenden Menschen in Kauf genommen“, sagte Tillich. Die Polizei arbeite mit Hochdruck seit der Nacht an der Aufklärung, „um auch die öffentliche Sicherheit noch weiter zu verbessern“.

 

Der Anschlag sei „umso empörender“, da der Angriff auf eine Moschee einen Tag vor dem Festakt zum zehnjährigen Bestehen der Deutschen Islamkonferenz (DIK) verübt worden sei, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Dienstag beim DIK-Jubiläum in Berlin.

 

De Maizière sagte, er könne verstehen, dass viele Muslime in Deutschland keine Lust hätten, sich für jeden Terroranschlag zu entschuldigen, der unter Berufung auf den Islam verübt werde. Von den islamischen Verbänden erwarte er aber mehr, betonte der Minister. „Ich halte es für ratsam, die Sicherheitsdebatte künftig wieder intensiver und auch öffentlich zu führen“, fügte er hinzu. 

 

Das Kongresszentrum in Dresden


Am Rande des Dresdner Stadtzentrums liegt das Internationale Congress Center Dresden (ICC). Der 2004 eröffnete Bau ist der zentrale Tagungsort der Stadt. Das Kongresszentrum hat vier Etagen und bietet nach Angaben der Betreiber Platz für bis zu 6800 Besucher. Das ICC liegt direkt an der Elbe - in unmittelbarer Nähe des Sächsischen Landtags. In dem Neubau zwischen einem Hotel im ehemaligen Erlwein-Speicher und der Marienbrücke ist am 3. Oktober der Empfang des Bundespräsidenten geplant.

 

Auffällige Architektur prägt das Gebäude. Dazu gehört eine schräge Fläche auf der Elbseite, aus der unterschiedlich hohe, gläserne Kuben herausragen. Dabei handelt es sich um eine Flanierrampe, unter der sich mehrere unterschiedlich große Säle befinden. An einem der Kuben, die nachts von Innen beleuchtet werden, wurde der Sprengsatz gezündet.

 

Der sächsische CDU-Innenexperte Christian Hartmann hat nach den Anschlägen vor Panik gewarnt. Zugleich rief er am Dienstag mit Blick auf die zentrale Feier zum Tag der Deutschen Einheit zur Besonnenheit auf. „Die Sicherheitsbehörden sind auf das Großereignis in unserer Stadt bestens vorbereitet und werden die Sicherheitsvorkehrungen nach den jüngsten Ereignissen noch einmal neu bewerten und falls notwendig anpassen“, sagte Hartmann. 

 

„Angriff auf Demokratie und andere Kulturen“


Der Grünen-Landtagsabgeordnete Valentin Lippmann sagte, die fremdenfeindlichen Anschläge hätten die Gefährdung von Leib und Leben von Menschen zum Ziel gehabt. Sie seien „Angriffe auf unsere freie und pluralistische Gesellschaft und sollen Ängste schüren“. Dem müsse entschieden entgegengetreten werden, „sowohl durch eine intensive Arbeit der Sicherheitsbehörden als auch durch klare Reaktionen und Haltung der Politik. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich derartige Taten wiederholen“. Sein Bundestags-Kollege Volker Beck stellte fest, wer Gotteshäuser anzünde, schrecke auch nicht davor zurück, Menschen zu töten. „Da macht es keinen Unterschied, ob das Ziel eine Moschee oder eine Kirche, eine Synagoge oder ein Tempel ist.“

 

„Hier blasen Rechte zum großen Angriff auf die Demokratie und andere Kulturen“, erklärt Albrecht Pallas, Innenexperte der SPD-Fraktion im Dresdner Landtag. „Es ist gut, dass das Operative Abwehrzentrum die Ermittlungen übernommen hat. Wir brauchen schnell Klarheit über die Hintergründe der Tat. Gerade jetzt brauchen wir mehr Demokratie, mehr Offenheit, aber auch eine klare Kante gegen Demokratiefeinde, die unsere Werte und unsere Rechtsordnung in Frage stellen.“

 

Wenn sich der Verdacht der Polizei auf ein fremdenfeindliches Motiv erhärtet, ist nunmehr zum dritten Mal in kurzer Zeit eine mutmaßlich rechtsterroristische Gruppierung im Freistaat Sachsen in Erscheinung getreten.“, warnt Kerstin Köditz, Sprecherin für antifaschistische Politik der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag. „Für einen rechtsmotivierten Hintergrund spricht darüber hinaus, dass die Anschläge am Jahrestag des Oktoberfest-Attentats stattfanden. Zudem tagte gestern, unweit des Tatortes am Kongresszentrum, der NSU-Ausschuss des Sächsischen Landtages – womöglich handelt es sich um eine Drohgebärde.“

 

Von Stephan Lohse und Christoph Springer