G-20-Gipfel in Hamburg stellt alles in den Schatten

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Erstveröffentlicht: 
22.08.2016

 In gut zehn Monaten findet die G-20-Konferenz in Hamburg statt. Vor allem die Gewährleistung der Sicherheit ist ein großes Problem. Und stellt die Polizei vor eine fast unlösbare Aufgabe.

 

In weniger als einem Jahr werden sich die Augen der Weltöffentlichkeit für knapp 30 Stunden auf Hamburg richten. Denn vom 7. auf den 8. Juli werden sich die Regierungschef der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer in der Hansestadt treffen. Niemals zuvor wurde ein solches G-20-Treffen in Deutschland organisiert: Mehr als 6500 Delegierte aus 20 Ländern und von 14 internationalen Organisationen wie Uno, Weltbank oder Afrikanischer Union werden dazu erwartet und unter allerhöchsten Sicherungsvorkehrungen in der Hansestadt wohnen und arbeiten. Die 3000 Journalisten, die von dem Ereignis berichten, sind dabei noch gar nicht eingerechnet.

Den Schutz der hochkarätigen Gäste, die zwischen den beiden Veranstaltungsorten, den Messehallen und dem Rathaus, pendeln werden, soll insbesondere die Hamburger Polizei garantieren. Seit Monaten bereitet sie sich darauf vor, schließlich ist Hamburg für solche Gipfel gar nicht geeignet: zu groß, zu belebt, zu dicht besiedelt, und schwer zu sichern. Logistisch ist der Mega-Gipfel kaum zu bewältigen, zieht dieser doch Globalisierungsgegner und Linksextreme aus ganz Europa ebenso an wie Terroristen jeder Couleur. Zu gewalttätigen Protesten und Gegenveranstaltungen wird mobilisiert, seit Hamburg als Austragungsort bekannt ist. Für die Polizei ist das eine Riesen-Herausforderung. Für die Bewohner Hamburgs eine Zumutung.

Secret Service macht keine Kompromisse beim Schutz

Die Dimension des Einsatzes bewege sich auf einem bislang nie da gewesenen Niveau, heißt es aus der Polizeiführung. Vor allem will sie Tausende Polizisten einsetzen, mindestens 9000, aus anderen Bundesländern und alle verfügbaren aus Hamburg, für die bereits Urlaubssperre gilt. Hinzu kommen SEK-Einheiten mehrerer Länder und die GSG9 des Bundes, die vornehmlich zur Terrorabwehr eingesetzt sein werden. Nicht zuletzt vertrauen einige G-20-Vertreter nur auf ihre eigenen Sicherheitsdienste, die ein gewichtiges Wort bei Sicherheitsfragen für sich beanspruchen – allen voran der United States Secret Service, der für den Schutz des amerikanischen Präsidenten keine Kompromisse macht.

Die Planungen der Polizei laufen seit Monaten auf Hochtouren. Gesamteinsatzführer ist Hartmut Dudde, der als ehemaliger Leiter der Bereitschaftspolizei und späterer Chef der Direktion Einsatz (DE) bundesweit Großlagen erfolgreich bewältigte. Eigentlich ist der 53-Jährige seit Anfang dieses Jahres gar nicht mehr im "Einsatz" tätig, sondern nach einer Beförderung Chef der Polizeikommissariate und der Verkehrsdirektion. Bei G 20 jedoch kommt man nicht an seinem enormen Erfahrungsschatz vorbei. Sein Nachfolger im "Einsatz", Thies Rohwedder, wird bei G 20 einen Einsatzabschnitt befehligen. Duddes größte Herausforderungen sind die Sicherung der Messe und des Rathauses und die Befriedung jener Viertel, in denen traditionell mit Gegenprotesten zu rechnen ist – neben dem Karoviertel das Schanzenviertel. Beide liegen gerade einmal einen Steinwurf von der Messe entfernt.

Entscheidung für Hamburg widerspricht Polizeitaktiken

Leicht wird es Dudde nicht gemacht: Schon grundsätzlich widerspricht die Entscheidung für Hamburg als G-20-Austragungsort den gängigen Polizeitaktiken bei Gipfel-Treffen (summit policing). Spätestens seit dem G-8-Gipfel im italienischen Genua 2001, bei dem ein Demonstrant erschossen und Hunderte verletzt worden waren, gilt der Grundsatz, abgelegene und gut zu sichernde Orte zu wählen. Der G-8-Gipfel 2007 im Ostseebad Heiligendamm und der G-7-Gipfel im oberbayerischen Elmau 2015 folgten dieser Maxime noch. In Heiligendamm bot das dünn besiedelte Hinterland Platz für massive Absperrungen, vor der Küste kreuzte die Bundespolizei mit einem schwedischen Schnellboot.

Rund um Schloss Elmau verlangte das alpine Gelände sowohl Demonstranten als auch Verteidigern alles ab, weshalb es weitgehend ruhig blieb. "Wir sind uns sicherlich darüber einig, dass eine Großstadt wie Hamburg aus Sicherheitsgesichtspunkten nicht der idealste Ort für solche Veranstaltungen ist", sagte Dudde jüngst in einem Interview für den "Polizeispiegel", dem Magazin der Deutschen Polizeigewerkschaft.

Außerdem: Ungeachtet ihrer Größe hat Hamburg die deutschlandweit zweitgrößte linksextreme Szene, die europaweit Anhänger mobilisieren kann. Ihre Mitglieder kennen die Stadt bestens, sind gut organisiert und in der Lage, eine Vielzahl von Gipfelgegnern zu versorgen. Dass das Zentrum ihrer Aktivitäten mit dem Schanzenviertel direkt an den Austragungsort des Gipfels grenzt, mutet wie ein schlechter Scherz an. Die Schwierigkeiten beginnen bereits bei der Festlegung der Sicherheitszonen, mit denen Gipfel-Treffen dieser Bedeutung gemeinhin geschützt werden, in der Regel drei, deren Grenzen unterschiedlich weit zum Tagungsort gezogen werden. Würden die Kreise ähnlich weit gezogen, wie zur jährlichen Sicherheitskonferenz in München – es wäre nicht nur das komplette Karoviertel betroffen. Der dritte Sicherungsring würde auch das linksautonome Kulturzentrum Rote Flora einnehmen – die Polizei wird es wohl nicht darauf ankommen lassen.

Erinnerungen an den Grenzübertritt zur DDR

Und was den Bewohnern des Karoviertels blüht, die durch ihre Fenster auf die verspiegelten Scheiben der Messe schauen und G 20 traditionell skeptisch gegenüberstehen dürften, zeigt ein Beispiel vom Nato-Gipfel 2009 in Kehl und Straßburg: Bewohner eines Hochhauses, die Blick auf das Tagungsgelände hatten, durften sich über Stunden nur in den hinteren Zimmern aufzuhalten, die Wohnungen waren durchsucht worden, Scharfschützen sicherten das Hausdach. Parken innerhalb der Sicherheitszone wird wohl ebenso schwierig sein, wie der Besuch von Freunden und Bekannten. Ein- und Ausreisen in und aus der eigenen Wohnung könnten an den Grenzübertritt zur ehemaligen DDR erinnern.

Wurden für G 8 in Heiligendamm noch massive Zaunanlagen aufgebaut, die nur schwer erstürmt oder eingedrückt werden konnten, ist dies in Hamburg nicht möglich: Zwar bildet Hamburgs grüne Lunge, Planten un Blomen, einen breiten Korridor, der die Messe wie einen natürlichen Sicherheitsstreifen umschließt. Richtung Westen jedoch grenzen die Hallen unmittelbar an Wohnviertel mit zahlreichen Innenhöfen und verwinkelten Gassen. Je weniger die Polizei auf feste Sperren und bestehende Grenzen wie Mauern oder Schienenstränge zurückgreifen kann, desto mehr muss sie auf Manpower setzen, so die einfache Rechnung. Zu einem Verteidigungsgürtel geformt werden Tausende Polizisten Durchbrüche aufs Gipfelgelände mit allen Mitteln zu verhindern versuchen.

Sie könnten dabei erstmals seit Jahren wieder Schilde tragen. Denn zu G 20 wird die sonst sehr dynamisch agierende Hamburger Polizei vor allem zum Wachestehen an den Sicherheitskreisen gezwungen sein, Schilde wären dann ein willkommener Schutz. Das ist eine Überlegung, die aus den Erfahrungen vom Dezember 2013 reifte, als sich Tausende Demonstranten und Polizisten eine Schlacht vor der Roten Flora lieferten. Mehr als hundert Beamte waren im Flaschen- und Steinhagel verletzt worden. Erfahrene Bereitschaftspolizisten fühlten sich an die unruhigen Hafenstraßen-Zeiten erinnert. Was 2017 auf Hamburg zukommen wird, dürfte diese Erfahrung allerdings noch toppen. Militante Linksextreme aus Italien, Griechenland aber auch Frankreich gelten als deutlich gewaltbereiter als ihre deutschen Genossen.

Doch nicht nur rund um die Messe wird der Gipfel seine Spuren hinterlassen: Während die wichtigsten Delegierten mit Hubschraubern zum Messegelände geflogen werden, reist das diplomatische Fußvolk vom Flughafen aus über die Haupteinfallstraßen an, die damit über Stunden blockiert sein dürften. Zuvor müssen sämtliche Straßenkilometer überprüft, alle Sieldeckel verschweißt und alle Brücken von Tauchern abgesucht werden. Die gleiche Prozedur erfahren die Anfahrtswege zu den Luxushotels in Alsternähe.

Vorgeschmack bietet das OSZE-Treffen im Dezember

In der Innenstadt wird während des Gipfels wohl gähnende Leere herrschen, ungeachtet der zahlreichen Gipfelgäste. Da das Shoppingviertel zwischen Große Bleichen und Neuem Wall sowie der Bereich um die Binnenalster immer dann gesperrt werden muss, wenn die Delegierten auf den Protokollstrecken zwischen Messe und Rathaus pendeln, rechnet man bei der Polizei damit, dass die Geschäfte kaum Umsatz machen werden. Und selbst wenn sie öffnen könnten, bliebe die Frage, wie die Kunden anreisen sollen. Zumindest der Verkehr auf den U-Bahn-Linien 2 und 3, deren Schienen sich unter dem Messegelände oder dem Rathaus durch Hamburgs Untergrund ziehen, dürfte aus Sicherheitsgründen regelmäßig unterbrochen sein.

Einen kleinen Vorgeschmack auf G 20 bietet das OSZE-Außenminister-Treffen im Dezember dieses Jahres: Vom 5. bis zum 7. Dezember sind dann die 57 Minister in der Stadt. Während sie tagen, wird auch der Weihnachtsmarkt vor dem Rathaus seine Pforten geöffnet haben. Und eben dieser Markt ist ein gutes Beispiel dafür, wie groß die Herausforderung ist, die die Polizei bei solchen Gipfeln zu erfüllen hat: Als im Dezember 2015 knapp 1000 Gäste im Rathaus Abschied von Altkanzler Helmut Schmidt nahmen, darunter der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger, verfügte das Bundeskriminalamt (BKA), das für dessen Sicherheit zuständig war, dass der Weihnachtsmarkt abgebaut werden müsste. Der Markt blieb zwar letztlich stehen, allerdings geschlossen. Zuvor jedoch wurde jeder kleinste Winkel abgesucht.