Der verschwiegene Antisemitismus der deutschen Linken

Erstveröffentlicht: 
18.07.2016

Mehr als ein Drittel der Linksextremen ist der Meinung, "Juden hätten zu viel Einfluss". Forscher der Freien Universität Berlin warnen: Linke Gewalt in Deutschland wird systematisch unterschätzt.

 

Antisemitische Einstellungen sind laut einer Studie der Freien Universität Berlin (FU) auch unter Linksextremen weit verbreitet. 34 Prozent der vom Forschungsverbund SED-Staat der FU als linksextrem eingestuften Personen stimmten der Behauptung zu, Juden hätten in Deutschland "zu viel Einfluss".

 

Unter Personen, die den Wissenschaftlern zufolge zumindest als Linksradikale gelten müssen, waren es noch 16 Prozent. Insgesamt stimmte über alle politischen Einstellungen hinweg jeder zehnte Befragte dieser Aussage zu. Linksextreme Einstellungen unterscheiden sich nach der üblichen Definition von linksradikalen dadurch, dass sie nicht mit Demokratie und Verfassung vereinbar sind.

 

Bei der Einstellung zu dem antisemitischen Stereotyp, Juden seien "geld- und raffgierig", stellten die Wissenschaftler eine ähnlich hohe Zustimmung von Linksextremen (34 Prozent) und Linksradikalen (13 Prozent) fest. Unter allen Befragten bejahten acht Prozent diese Aussage.

 

Politisch motivierte Gewalt gegen Personen halten den Ergebnissen zufolge mit 14 Prozent relativ viele Linksextremisten für gerechtfertigt. Insgesamt teilten lediglich sieben Prozent diese Auffassung. 

 

"Wer mit Gewalt politisch etwas verändern will, ist ein Extremist"


Die Wissenschaftler um Monika Deutz-Schroeder und Klaus Schroeder, Leiter des Forschungsverbunds, befassten sich auch mit den Feindbildern von Linksextremen. Ihr Ergebnis: Linke begegnen den von ihnen als "Feinden" angesehenen Personen nicht nur mit Hassbotschaften, sondern auch häufig mit Gewalt, vor allem gegen Anhänger rechter Parteien.

 

Die Forscher heben hervor, dass die polizeiliche Statistik seit 2009 insgesamt mehr linke Gewalttaten durch Täter aus dem linken Spektrum als durch Rechte aufwies. Politikwissenschaftler Schroeder betont im Gespräch mit der "Welt": "Wenn Sie nur die extremistischen Gewalttaten vergleichen, liegen rechts und links eng beieinander. Wenn Sie aber alle rechts- und linksmotivierten Gewalttaten vergleichen, dann liegen Letztere weit vorne."

 

Der Professor kritisiert, dass viele politisch motivierte Gewaltdelikte dennoch offiziell der nicht extremistischen Linken zugeordnet würden: "Zwischen den linken Gewalttaten und den linksextremistischen Gewalttaten gibt es eine Differenz von rund 600. Das heißt im Umkehrschluss: 600 Gewalttaten im Jahr werden laut offizieller Definition von nicht extremistischen Linken verübt." Es könne aber "nicht sein, dass jemand, der politisch motiviert Gewalt ausübt, als nicht extremistisch gilt. Wer mit Gewalt politisch etwas verändern will, der ist ein Extremist. Punkt", meint Schroeder.

 

Schroeder sieht im Übrigen einen schweren Mangel im Verfassungsschutzbericht des Bundes. "Die hohe Zahl von als nicht extremistisch eingestuften linken Gewalttaten wird unterschlagen. Wir haben sie vom Bundeskriminalamt angefordert und schließlich auch erhalten", sagt Schroeder. Der Forschungsverbund-Leiter macht in diesem Zusammenhang auf einen frappierenden Unterschied zwischen Länder- und Bundesangaben aufmerksam. So sei im Landesverfassungsschutzbericht Berlin "von 361 linksmotivierten Gewaltdelikten die Rede". Demgegenüber führe jedoch der des Bundes nur 83 solcher Gewalttaten auf. "Das ist eine bedeutende Differenz, die von den Verantwortlichen auf unsere Anfrage hin nicht aufgeklärt werden konnte." 

 

Gewisser Gleichklang zwischen linken und rechten Extremisten


Die Forschergruppe um Schroeder schätzt den Linksradikalismus und Linksextremismus gleichwohl nicht als "aktuelle Gefährdung der Demokratie in Deutschland" ein. Sie warnt aber davor, dass die Gewaltbereitschaft steigen könnte, sollten sich die Auseinandersetzungen zwischen den politischen Lagern weiter radikalisieren.

 

Tatsächlich ist laut Verfassungsschutzbericht die Zahl der aktiven und auch die der gewaltbereiten Linksextremisten in den vergangenen Jahren in etwa gleich geblieben. Ansatzpunkt linksradikaler und linksextremer Aktivitäten ist seit vergangenem Jahr zunehmend auch die Flüchtlingspolitik. Forderungen nach Abschaffung von Nation und Grenzen ("no nations, no borders") sowie nach einem Bleiberecht für alle Zuwanderer werden von zahlreichen Linken als antifaschistische und antirassistische Alternative zum Status quo eingefordert.

 

Die Wissenschaftler überprüften in der Studie die Ergebnisse einer von ihnen im Februar 2015 veröffentlichten Untersuchung durch qualitative Befragungen und eine vertiefte Auswertung der Ergebnisse. In diese Auswertung bezogen die Wissenschaftler eine Online-Befragung ein, an der sich nach Angaben der Betreiber der Internetseite 36.000 Menschen beteiligten.

 

Zudem wurden Personen verglichen, die sich selbst als weit rechts oder weit links einstuften. Dabei zeigte sich durchaus ein gewisser Gleichklang zwischen linken und rechten Extremisten. So habe ein nennenswerter Anteil derer, die sich politisch selbst eigentlich als äußerst rechts einstuften, viele linksextreme Einstellungsdimensionen bejaht. Von Befragten, die sich als links bezeichneten, sei knapp die Hälfte unter die Charakterisierung "linksextrem" oder "linksradikal" gefallen. Eine solche Einstellung erkennen die Wissenschaftler bei mehr als jeder fünften Person mit rechtem Selbstbild. 

 

Linksextremes und -radikales Personenpotenzial bei 17 Prozent


Studien dieser Art bergen generell die Schwierigkeit, die extremistische Einstellungen zu messen. Ab welchem Punkt ein geschlossenes oder überwiegend extremistisches Weltbild vorliegt, kann prinzipiell schwer quantifiziert werden. Eine allgemein akzeptierte Vorgehensweise gibt es nicht, sodass die politischen Grundhaltungen der jeweiligen Forscher bei der Rezeption der Befragungen berücksichtigt werden sollten. Im Vergleich zu vielen seiner Fachkollegen steht Schroeder und sein Forschungsteam sozialistischen Ideen besonders kritisch gegenüber.

 

Bei der von der Forschungsstelle der FU verwendeten Linksextremismusskala gab es jeweils vier Antwortmöglichkeiten auf 14 Fragen – von starker Zustimmung bis zu starker Ablehnung. Der Anteil der Personen, die mehr als drei Viertel der Statements bejahen, lag bei vier Prozent und vertrat nach der Kategorisierung der Forscher damit ein nahezu geschlossenes linksextremes Weltbild. Weitere 13 Prozent stimmten etwa zwei Dritteln der einzelnen Aspekte linksextremen Denkens zu und werden deshalb von den Forschern als linksradikal bezeichnet. Das gesamte linksextreme sowie linksradikale Personenpotenzial liegt nach dieser Definition bei 17 Prozent.

 

Die vollständigen Ergebnisse und die Methodik des vom Bundesfamilienministerium finanzierten mehrjährigen Forschungsprojektes der FU finden sich in dem Buch "Linksextreme Einstellungen und Feindbilder".