Linksextremismus: Gegen alles Mögliche. Für Gewalt.

Erstveröffentlicht: 
11.07.2016

Krawalle in Berlin, drastischer Anstieg von Gewalttaten bundesweit: Die linksextreme Szene in Deutschland wird aggressiver und brutaler. Was steckt dahinter?


Von Jörg Diehl

 

Die Berliner Hausbesetzer hatten sich ein Logo gebastelt, das an Eindeutigkeit kaum zu überbieten war: zwei gekreuzte Baseballschläger, umrankt von lodernden Flammen, und in der Mitte der Schriftzug: "Jede Räumung hat ihren Preis. R94."

 

Ort des Geschehens: die Rigaer Straße 94 im Berliner Stadtteil Friedrichshain. Die Bilanz des letzten Wochenendes nach offiziellen Angaben: 123 verletzte Polizisten, mehr als 100 eingeleitete Strafverfahren wegen schweren Landfriedensbruchs, Widerstands gegen Polizisten, Vermummung, versuchter Gefangenenbefreiung, gefährlicher Körperverletzung, Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz.

 

Ob der entstandene Sachschaden, den die "Autonomen Gruppen Berlin" bereits im Vorhinein auf zehn Millionen Euro als Strafe für den drohenden Polizeieinsatz angestrebt hatten, tatsächlich so hoch ausfiel, ist noch unklar. Jedenfalls wären die Rowdys "bundesweit für Zerstörungen dankbar" gewesen, wie sie bei "Indymedia" schon im Juni ankündigten.

Allein: Die erwünschten Formen des Solidaritätsvandalismus blieben nach bisherigen Erkenntnissen der Polizei am Wochenende weitgehend aus.

 

So tobte der Mob nur in Berlin. Dort wüteten Gewaltbereite unter den etwa 2000 Protestlern und attackierten Beamte mit Flaschen, Steinen und Böllern. Schaufensterscheiben gingen zu Bruch, Streifenwagen wurden demoliert. "Wir werden weiterhin aktiv sein, um Berlin ins Chaos zu stürzen", teilte die Szene hinterher mit. Die Ziele seien klar: "Der Senat rund um Henkel (gemeint ist der Berliner Innensenator Frank Henkel, - d. Red.), die Schweine (gemeint sind Polizisten, - d. Red.), Nazis, Gentrifizierung und der Kapitalismus an sich." Gegen alles Mögliche, für Gewalt.

 

Und dabei taugt das Mehrfamilienhaus in der Rigaer Straße, als "R94" bezeichnet, durchaus zu einem neuen Symbol des autonomen Milieus. "Da wächst eine neue linksterroristische Szene heran, die R94 als Rechtfertigung für weitere schwerste Straftaten nutzen könnte", befürchtet der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt. "Parallelen zu den Auseinandersetzungen in der Hamburger Hafenstraße drängen sich geradezu auf."

 

Nach Einschätzung Wendts greifen Linksextremisten nicht mehr nur Polizisten als Repräsentanten des Staats an, auch Bürger würden immer wieder Opfer von Straftaten, etwa wenn ihre Autos angezündet würden. "Es geht darum, Angst und Schrecken in der Bevölkerung zu verbreiten. Ich nenne das Straßenterror", so Wendt.

 

"Die Täter nehmen den Tod von Menschen billigend in Kauf"


Erkenntnisse des Verfassungsschutzes scheinen seine Wahrnehmung zu stützen. So verzeichnete das Bundesamt (BfV) zuletzt einen "drastischen Anstieg linksextremistischer Gewalttaten". Es sei im vergangenen Jahr mit 1608 Taten ein neuer Höchststand seit der in 2001 begonnenen Erfassung erreicht worden, heißt es in dem aktuellen Bericht der Behörde. Die Zahl der gewaltorientierten Linksextremisten liegt demnach inzwischen bei 7700 Personen. Insgesamt hätten das Aggressionsniveau und die Intensität der Gewalt in den vergangenen Jahren zugenommen, so das BfV.

 

"Die Täter nehmen nicht nur schwerste Körperverletzungen, sondern auch den Tod von Menschen billigend in Kauf. Angriffe werden meist im Umfeld von Demonstrationen verübt", analysiert der Verfassungsschutz. In der gewaltorientierten Szene würden Angriffe auf Polizisten wie auch auf Rechtsextremisten weitestgehend akzeptiert. Besonders besorgniserregend seien die Ausschreitungen im vergangenen März in Frankfurt gewesen, als bei Protesten gegen die Eröffnung des EZB-Neubaus mehr als 150 Polizisten verletzt wurden. Im Dezember attackierten Linksextremisten im Leipziger Stadtteil Connewitz die Sicherheitskräfte und verletzten 69 Beamte.


Überhaupt scheint sich auch Leipzig zu einem neuen Zentrum des Linksextremismus in Deutschland zu entwickeln. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE bezeichnete der Chef des sächsischen Landesamts für Verfassungsschutz, Gordian Meyer-Plath, die dortige Situation vor einiger Zeit als "brisant". Ihm mache "vor allem Sorge, dass sich Autonome aus Westdeutschland und Berlin verstärkt nach Leipzig bewegen. Sie glauben, dort ein gutes Umfeld für ihre Aktionen vorzufinden, und sind bereit, schwerste Straftaten zu begehen", so Meyer-Plath.

 

Im November griffen dort Unbekannte den sächsischen Justizminister Sebastian Gemkow in seiner Wohnung an. Sie schleuderten sechs Steine durch mehrere Fenster und warfen Kugeln mit Buttersäure hinterher. Auch ein Kinderzimmer war betroffen. "Nur mit sehr viel Glück ist uns nichts passiert", sagte der CDU-Politiker in einem Interview mit "Zeit Online". Staatsschützer gehen davon aus, dass Linksextremisten hinter der Attacke stecken.

 

In einer vertraulichen Analyse der Sicherheitsbehörden heißt es, dass mit Anschlägen "auf das Lebens- und Arbeitsumfeld von Verantwortlichen im Sinne der linken Propaganda zu rechnen" sei. Viele dieser Taten erweckten den Eindruck, dass eine ideologische Begründung zweitrangig sei und es im Wesentlichen darum gehe, günstige Gelegenheiten auszunutzen. "In herausragenden Einzelfällen" sei die Qualität der Gewalt derart gestiegen, dass Menschen sogar verletzt oder getötet werden könnten, steht in dem Bericht.

 

Dem widerspricht die Berliner Szene noch nicht einmal. Bisher plane man alle Angriffe so, dass weder Polizisten noch Neonazis zu Tode kommen würden, schreiben Linksextremisten im Internet. Man sehe aber die Gefahr, dass Demonstranten oder Unbeteiligte "durch die anhaltende Gewaltwelle von Bullen und Sicherheitsleuten ernsthaft verletzt werden oder Schlimmeres".

 

Es folgt die kaum verhohlene Drohung: "Dann würden auch wir unser Verhältnis zur Gewalt überdenken müssen."