„Patriotische Plattform“: AfD fordert Verfassungsschutz heraus

Erstveröffentlicht: 
28.06.2016

Noch wird die AfD nicht vom Verfassungsschutz beobachtet. Doch das könnte sich ändern, warnt der rechte Parteiflügel – und fordert nun, „Waffengleichheit“ herzustellen und eine „eigene Abwehrstruktur“ aufzubauen.

 

Von Dietmar Neuerer

 

Berlin. Das Bundesamt für Verfassungsschutz lehnt bisher eine Beobachtung der rechtspopulistischen AfD ab. Zur Begründung hatte Behördenchef Hans-Georg Maaßen angeführt, die AfD sei aus Sicht des Verfassungsschutzes derzeit keine rechtsextremistische Partei. Diese Einschätzung dürfte Maaßen auch heute vertreten, wenn er am Nachmittag gemeinsam mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) den Verfassungsschutzbericht 2015 vorstellt.

 

Allerdings häufen sich in der jüngsten Zeit Vorfälle in der AfD, die aus Sicht von Innenpolitikern der etablierten Parteien mehr denn je eine Beobachtung der Partei durch den Inlandsgeheimdienst rechtfertigen würden. Selbst der baden-württembergische AfD-Landtagsfraktionschef und Bundesparteivorsitzende Jörg Meuthen schließt eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz nicht mehr aus.

Er bezog sich dabei auf antisemitische Äußerungen des Stuttgarter AfD-Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon. Seine Fraktion setze sich dem Risiko einer Beobachtung aus, wenn sie Gedeon nicht ausschließe, hatte Meuthen jüngst in einer Videobotschaft erklärt. Gedeon vertrete eindeutig antisemitische Positionen. „Es ist praktisch sicher, dass wir, wenn wir hier nicht handeln, künftig unter die Beobachtung des Verfassungsschutzes gestellt würden“, sagte Meuthen.

 

Der Fraktionschef hatte gedroht, sein Amt abzugeben, falls die für den Rauswurf Gedeons notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit nicht zustande kommt. Am vergangenen Dienstag hatte die Fraktion jedoch entschieden, vorerst nicht über den Ausschluss Gedeons abzustimmen. Stattdessen sollen drei Gutachter über dessen als antisemitisch eingeschätzte Schriften urteilen.

Deutlich brisanter als der Fall Gedeon scheint indes das Treiben der „Patriotischen Plattform“ (PP) in der AfD zu sein, deren Bundesvorstandssprecher Hans-Thomas Tillschneider Landtagsabgeordneter in Sachsen-Anhalt ist. Die Plattform sucht schon seit einiger Zeit die Nähe zu rechten und islamfeindlichen Gruppierungen – und läuft damit auch Gefahr ins Visier der Verfassungsschützer zu geraten. Das befürchtet zumindest Dubravko Mandic. Im Namen der „Patriotischen Plattform“, in deren Vorstand der Jurist aus Baden-Württemberg sitzt, forderte er jetzt die AfD-Spitze auf, sich gegen eine mögliche Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu wappnen.

 

„Wir brauchen eine eigene Abwehrstruktur“

„Die Methoden der Ämter sind von uns kritisch zu würdigen und schließlich politisch auszuschlachten“, schreibt Mandic auf der PP-Webseite. „Wenn wir diesen Konflikt überstehen wollen, müssen wir versuchen, Waffengleichheit mit dem Gegner herzustellen. Wir brauchen also eine eigene Abwehrstruktur.“

Mandic, der auch Mitglied im AfD-Schiedsgericht des Landesverbands Baden-Württemberg ist, hält die „Infiltration“ der AfD durch „Dienste“ oder „Altparteienkader“ für ein „offenes Geheimnis“. „Allein, es fehlt an einer Bestandsaufnahme und an Abwehrmaßnahmen“, bemängelte er. Die Patriotische Plattform solle daher in dieser Hinsicht Konzepte entwickeln und dem Bundesvorstand vorlegen. „Der Verfassungsschutz verdient eine eigene Abteilung sowohl in unserem Parteiprogramm wie auch in unseren Vorstandsressorts.“

„Dabei muss natürlich einkalkuliert werden, dass schon hohe Ämter in unserer jungen Partei von Diensten besetzt wurden“, fügte Mandic hinzu. „Angesichts der zentralen Bedeutung der AfD für eine mögliche politische Neugestaltung Deutschlands und seiner geopolitischen Neuausrichtung bedarf es wenig verschwörungstheoretischen Sinnes, um zu erahnen, dass die AfD erheblicher Infiltrierung sowohl durch ausländische Dienste und Lobbygruppen wie auch durch Innengeheimdienste ausgesetzt sein dürfte.“

Mandic reagiert mit seinen Überlegungen offenbar darauf, dass die sogenannte Identitäre Bewegung (IB) mittlerweile von mehreren Landesverfassungsschutzämtern unter Beobachtung gestellt wurde, darunter auch im Bundesland seines Landesverbands Baden-Württemberg. Mandic pflegt selbst Kontakte zu der als rechtsextrem eingestuften Gruppierung.

 

Erst kürzlich nahm der Jurist gemeinsam mit einem weiteren Vorstandsmitglied der „Patriotischen Plattform“ in Wien an einer Demonstration der „Identitären Bewegung Österreich“ teil. Mit Blick auf das deutsche Pendant der Bewegung räumt Mandic ein, dass die AfD, vor allem aber der Parteinachwuchs „Junge Alternative“ (JA), „personell mit der IB verbunden“ sei.

 

„Dies folgt schlicht aufgrund ähnlicher politischer Zielsetzung“, schreibt Mandic auf der PP-Webseite. Die Mittel der Identitären seien dabei außerparlamentarisch, aber, wie er hinzufügt, „nicht weniger wirksam“. Hausbesetzungen und ähnliche Aktionen seien jedoch nicht die Methoden einer Parlamentspartei wie die AfD.

 

„Dies ist unser Tribut an das System“

Zum Schutz seiner Partei vor dem Verfassungsschutz fordert Mandic nun aber ein Funktionärsverbot. „Vorstände der JA oder AfD sollten nicht gleichzeitig in führender Funktion bei der IB tätig sein“, erklärte er. „Dies ist unser Tribut an das System.“ Gleichwohl plädiert er aber auch für eine „inhaltliche Zusammenarbeit“ mit der IB. „In diesem Zusammenhang“, so Mandic weiter, „dürfen wir keine Angst vor der Berichterstattung haben, weil diese Angst die politische Arbeit lähmt und im Grunde sachfremde Erwägungen Eingang in unsere politische Arbeit zu finden drohen.“

Scharfe Kritik äußerte er in diesem Zusammenhang an AfD-Chefin Frauke Petry und ihrem Lebensgefährten, dem NRW-Landeschef und Europaabgeordneten Marcus Pretzell. Ein neulich auf einer AfD-Ländertelefonkonferenz diskutierter möglicher Unvereinbarkeitsbeschluss mit der „Identitären Bewegung“ werde offensichtlich von Petry und Pretzell „nach alter Manier“ vorangetrieben.

Während die beiden auf der einen Seite den Schulterschluss mit der FPÖ in Österreich herstellten, die im Übrigen „sehr eng“ mit der IB zusammenarbeite, und gleichzeitig auch auf Tuchfühlung mit dem Front National (FN) gehe, „greift bei uns die Distanzeritis um sich“, kritisierte Mandic. „Was kommt als Nächstes? Der Unvereinbarkeitsbeschluss mit den Burschenschaften?“, fügte er hinzu. Dabei werde übersehen, „dass genau diese willfährige und deutliche Abgrenzung unseren Gegnern nicht nur in die Hände spielt, sondern den Erfolg der Verdachtsberichterstattung erst befördert“.

 

Der Sprecher der AfD, Christian Lüth, wollte auf Anfrage des Handelsblatts nicht näher auf die Ausführungen von Mandic eingehen. Er verwies lediglich auf einen einstimmigen Bundesvorstands-Beschluss vom am 22. Juni 2016. Darin heißt es: „Der Bundesvorstand stellt fest, dass es keine Zusammenarbeit der Partei Alternative für Deutschland und ihrer Gliederungen mit der so genannten ‚Identitären Bewegung‘ gibt.“

Die Nähe des rechtsnationalen AfD-Flügels zur rechten „Identitären Bewegung“ hatte erst jüngst den Ruf nach einer Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz lauter werden lassen. „Ich fühle mich in meiner Ansicht bestätigt, dass es höchste Zeit wird, zumindest Teile der AfD durch den Verfassungsschutz beobachten zu lassen“, hatte der SPD-Innenexperte Burkhard Lischka dem Handelsblatt gesagt. Ähnlich äußerte sich der FDP-Vizevorsitzende Wolfgang Kubicki.

 

Ausgelöst wurde die Debatte durch eine weitere Erklärung der „Patriotischen Plattform“, in der sich die AfD-Politiker klar für einen Schulterschluss mit den „Identitären“ ausgesprochen haben. „Wir wünschen uns eine engere Zusammenarbeit zwischen Identitärer Bewegung und AfD, denn auch die AfD ist eine identitäre Bewegung und auch die Identitäre Bewegung ist eine Alternative für Deutschland“, hieß es in einer Mitteilung des Vorstands der Plattform.

 

„Beste Argumente auf dem Silbertablett“

Mehrere Landesämter für Verfassungsschutz beobachten die sich gegen „Masseneinwanderung“ und „Überfremdung“ einsetzende „Identitäre Bewegung“ schon seit längerem. Der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, sagte dem Handelsblatt, derzeit werde die Gruppe noch als „Verdachtsfall“ geführt. Es werde aber geprüft, ob sich Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen und Tätigkeiten „verdichten lassen zu tatsächlichen Anhaltspunkten für ebensolche Bestrebungen und gegebenenfalls eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz geboten ist“.

Für Lischka ist aber bereits der Zeitpunkt für eine Beobachtung auch der AfD gekommen. Die Patriotische Plattform in der AfD liefere mit ihrer Erklärung zu den „Identitären“ selbst „beste Argumente auf dem Silbertablett“, die eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz rechtfertigen würden, sagte Lischka. „Rechtsextremen Hetzern“ werde offen eine Plattform geboten. „Ich hoffe, dass dies auch endlich die zuständigen Verfassungsschutzbehörden erkennen und entsprechend handeln.“

Der Versuch von Teilen der AfD, „offensichtlich rassistisches Gedankengut hoffähig zu machen“, werfe die Frage auf, „ob dies nicht auch ein Fall für den Verfassungsschutz ist“, sagte Kubicki dem Handelsblatt. „Die AfD muss sich genau überlegen, ob sie 'nur' mit Ressentiments und Angst spielen oder ob sie sich offen gegen unsere freiheitliche Grundordnung stellen will.“

 

Kramer sagte, seiner Behörde lägen im Fall der AfD bislang keine für eine nachrichtendienstliche Beobachtung ausreichenden Anhaltspunkte vor. „Gleichwohl werden offen zugängliche Informationen, Medienberichte und Verlautbarungen der Partei aufmerksam verfolgt“, fügte der Verfassungsschutz-Präsident hinzu.

In Bayern hat der Verfassungsschutz dagegen schon einzelne AfD-Mitglieder ins Visier genommen. „Der bayerische Verfassungsschutz beobachtet Einzelpersonen in der AfD. Das sind Personen, die schon vor ihrer Parteizugehörigkeit in rechtsextremistischen oder islamfeindlichen Bereichen auffällig geworden sind“, sagte kürzlich der stellvertretende Sprecher der Behörde, Sönke Meußer, dem Handelsblatt.

 

Meußer betonte zugleich, dass aber weder die gesamte AfD noch der Landesverband beobachtet werde. Bei einer AfD-Veranstaltung im Münchner Hofbräukeller, an der auch die Bundesparteichefin Frauke Petry teilgenommen hatte, seien zwar Personen festgestellt worden, die aus dem Neonazi-Spektrum kämen. „Diese Personen sind aber nicht der AfD zuzurechnen. Die Partei hat sich von diesen Besuchern der Veranstaltung auch distanziert“, sagte der Behördensprecher.