Die rassistische Facebook-Seite „Anonymous.Kollektiv“ ist offline. Am Freitag hatte der Focus den Namen des mutmaßlichen Administrators veröffentlicht. Es gibt aber bereits eine neue Seite auf Facebook und im russischen VKontakte.
Seit Jahren verbreitete „Anonymous.Kollektiv“ Hass und Verschwörungstheorien. Das Profil verwendete einschlägige Symbolik wie die berühmte Guy-Fawkes-Maske und erweckte so den Eindruck, Teil des international agierenden Hacker-Netzwerks sein. Zwar gingen von dort nie spektakuläre Hacking-Aktionen aus und echte Anonymous-Anhänger distanzierten sich wiederholt. Das hielt aber etwa zwei Millionen User nicht davon ab, die Hetz-Seite zu liken.
Im Internet kursierte bereits 2014 das Gerücht, der wirkliche Betreiber sei ein Mario Rönsch aus Erfurt. Rönsch war laut Focus in der AfD aktiv. Außerdem hatte er zu den Protagonisten der sogenannten „Montagsmahnwachen“ gehört, die von dem Berliner Event-Manager Lars Mährholz initiiert worden waren. Zu Beginn der Ukraine-Krise kamen bei diversen bundesweiten Veranstaltungen jede Woche Wirrköpfe verschiedener Couleur zusammen. In Erfurt trat Rönsch als Anmelder und Moderator auf.
Lars Mährholz beanspruchte eine Art Führungsposition in der kruden Bewegung, die sich friedensbewegt gab, aber von Anfang an rechte Redner und Teilnehmer tolerierte. Schon wenige Monate später zerfiel sie in verschiedene Abspaltungen. Während sich ein Flügel den Rechtspopulisten um Jürgen Elsässer zuwandte, interessierte sich die Mährholz-Fraktion eher für Esoterik und favorisierte den Verschwörungstheoretiker Ken Jebsen. Rönsch hatte sich bereits im Mai eindeutig positioniert und Elsässer nach Erfurt eingeladen.
Gleichzeitig erlebte die Seite „Anonymous.Kollektiv“ einen kometenhaften Aufstieg. Dort wurde Werbung gemacht für die Mahnwachen und zunehmend auch für Elsässers Compact-Magazin, die Junge Freiheit und andere neurechte Publikationen. Im August 2014 erlebte unterdessen Lars Mährholz den Höhepunkt seiner Popularität, als er von dem russischen TV-Sender RT nach New York eingeladen wurde. Im Interview behauptete er, die Federal Reserve würde die Welt kontrollieren.
„Anonymous.Kollektiv“ reagierte mit Missgunst und behauptete kurzerhand, Mährholz sei von US-Geheimdiensten „umgedreht“ worden. Der Beschuldigte ließ diese Provokation nicht auf sich sitzen und posaunte auf seinem eigenen Facebook-Profil heraus, wer seiner Ansicht nach der Betreiber der gefaketen Anonymous-Seite sei: Mario Rönsch. Während sich die Exzentriker gegenseitig mit Gift und Galle bespuckten, verschwanden die Mahnwachen von den Straßen.
Als Spiegel Online und Vice über „Anonymous.Kollektiv“ berichteten und Rönsch als Verantwortlichen bezeichneten, erwirkte der Einstweilige Verfügungen dagegen. Spiegel Online setzte sich vor Gericht durch, Vice musste eine Gegendarstellung bringen. Mario Rönsch verklagte daraufhin systematisch jeden, der ihn der Urheberschaft bezichtigte. Derweil betrat Pegida die politische Manege, „Anonymous.Kollektiv“ machte begeistert Werbung für die rassistische Bewegung.
Nichts schien dem anonymen Treiben Einhalt gebieten zu können. Doch kürzlich überspannte die Hetz-Seite den Bogen womöglich beim Versuch, unter dem Label „Migrantenschreck“ Waffen zu verkaufen. Die dazugehörige Website wurde zuerst auf den Namen Mario Rönsch registriert, wechselte dann aber auf einen russischen Server und wurde anonymisiert. Die Waffen sollen Schreckschuss- und Gummimunition verschießen können und stammen vermutlich von osteuropäischen Internet-Händlern.
Ein als „Migrantenschreck MS55 Lady“ beworbenes Modell besitzt eine auffällige Ähnlichkeit zur Ekol Volga 9mm. „Ekol“ ist ein Label des in Istanbul ansässigen Waffenherstellers Voltran Av Silahlari Ins. San. ve Tic. Ltd. Sti. Allerdings ist bei diesem Modell normalerweise der Herstellername seitlich in den Schlitten eingraviert. Es dürfte sich also um einen Nachbau handeln. Um in Deutschland verkauft werden zu dürfen, bräuchte die Pistole ein Prüfzeichen der PTB, ansonsten macht sich der Händler strafbar.
Migrantenschreck.ru verlangt durchaus stolze Preise. Während der Ekol-Nachbau fast 300,- Euro kosten soll, ist das amtlich zugelassene Originalmodell bei etablierten Händlern für etwa 100,- Euro erhältlich. Ein Softair-Gewehr, das der aus Gangsterfilmen bekannten „Tommy Gun“ nachempfunden wurde, soll sogar 749,- kosten. Ein ungarischer Händler bietet ein sehr ähnliches Modell als „Home Defender II“ für 109.900 Forint an, umgerechnet etwa 350,- Euro. Angeblich verschießt die Waffe Gummigeschosse mit „130 Joule“ Geschossenergie. Erlaubt sind maximal 7,5 Joule.
Auch wenn die Waffen in Deutschland zugelassen wären und keine Markenpiraterie vorläge, kann ein Online-Händler sie nicht einfach über eine anonyme Seite ohne Impressum verkaufen, ohne einen Verstoß gegen das Telemediengesetz zu begehen. Das Impressum des Webshops nennt aber die Anschrift eines Autoren der Anti-Fake-Website Mimikama, der dagegen bereits rechtliche Schritte eingeleitet hat. Außerdem müssten die Einnahmen in Deutschland versteuert werden, egal, ob der Server in Russland oder irgendeinem anderen Land liegt.
Unter dem Strich dürfte es sich bei „Migrantenschreck“ also eher um ein ziemlich illegales Hirngespinst handeln als um ein lukratives Geschäftsmodell.
„Anonymous.Kollektiv“ hetzt unterdessen weiter – auf einer neu eingerichteten Facebook-Seite. Die hat zwar bislang nur etwa 700 Likes, aber bei einzelnen Beiträgen wurde mehrere Tausend mal „Gefällt mir“ geklickt. Sehr viele dieser Klicks kamen aus Indien. Einige Internet-User vermuten daher, es sei ein wenig nachgeholfen worden. Bekanntlich gibt es im Netz diverse Geschäftsleute, die solche Likes verkaufen. Über einen von ihnen berichtete Der Spiegel 2012: Er hieß Mario Rönsch und kam aus Erfurt.
Vorerst unbeeinträchtigt von diesen Enthüllungen und Spekulationen hetzt „Anonymous.Kollektiv“ bei VKontakte weiter. Das russische Netzwerk erfreut sich in letzter Zeit bei deutschen Rechtsradikalen und Verschwörungsspinnern wachsender Beliebtheit. Wenn er seinem bisherigen Verhalten treu bleibt, wird Mario Rönsch schon in der kommenden Woche eine Klage gegen den Focus einreichen und versuchen, die Nennung seines Namens zu unterbinden. Dann wird sich zeigen, wie stichhaltig die Beweise der Journalisten wirklich sind.