Rechte Gewalt nimmt zu: Lübeck Spitzenreiter im Norden

Erstveröffentlicht: 
19.05.2016

Die Polizei muss an zwei Abenden hintereinander wegen Nazi-Parolen und Hitlergrüßen einschreiten – Staatsanwaltschaft will „mit aller Schärfe“ gegen Straftäter vorgehen.

 

Lübeck. Zwei rechtsradikale Taten innerhalb von 22 Stunden: In der Hansestadt häufen sich die Zwischenfälle, bei denen Nazi-Parolen gerufen und ausländerfeindliche Stimmung verbreitet werden. Zuletzt rückte die Polizei am Mittwoch kurz vor 18 Uhr mit sechs Streifenwagen in der Beckergrube an, weil eine Männergruppe mehrere Kunden eines Supermarkts belästigt haben soll (die LN berichteten).

 

„Sie haben Frauen hinterhergebrüllt, Asylbewerber beleidigt und Afrikaner mit dem ,N-Wort‘ beschimpft“, berichtet ein Augenzeuge, der allerdings anonym bleiben möchte. Jeder Zweite, der aus dem Supermarkt gekommen sei, „wurde beleidigt und bespuckt“. Im Internetforum „Linksunten“ wird zudem berichtet, dass zuvor „drei alkoholisierte Neonazis“ vor der Alternativen randaliert und ebenfalls „Heil Hitler“ gerufen haben sollen.

 

Die Polizei kann nicht mehr nachvollziehen, ob am Mittwoch wirklich Nazi-Parolen gerufen wurden. Als die Beamten eintrafen, standen sich in Höhe des Wehdehofs bereits zwei aggressive Gruppen gegenüber – viele der Beteiligten sind polizeilich bekannt. Die Gegner der Rechten sind zwischen 20 und 30 Jahre alt und sollen mit Baseballschlägern sowie Messern aus einem Kofferraum bewaffnet gewesen sein. Den Baseballschläger fand die Polizei später im Auto eines 20-Jährigen in der Aegidienstraße.

 

Die fünf Männer zwischen 29 und 42 Jahren aus der rechten Szene bestritten, zuvor extremistische Parolen gerufen zu haben. Allerdings: Zwei der Rechten waren laut Polizei nur einen Tag zuvor durch Nazi-Parolen und -Gesten aufgefallen. Am Dienstag musste die Polizei gegen 20 Uhr mit sieben Streifenwagen-Besatzungen auf dem Meesenring einschreiten, weil sechs bis acht Personen „Heil Hitler“ riefen, den Hitlergruß zeigten und mit Flaschen auf Passanten warfen. Vier Verdächtige kamen in Gewahrsam, zwei von ihnen widersetzten sich der Festnahme und verletzten zwei Polizisten.

 

Und es sind nicht die ersten rechtsextremen Zwischenfälle dieses Jahr. Zuletzt wurde am 8. Mai in einer Gaststätte in der Engelsgrube Reizgas in Richtung zweier Asylbewerber versprüht, die Polizei schließt einen fremdenfeindlichen Hintergrund nicht aus. Im April wiederum wurde der Blaue Engel in der Clemensstraße Ziel eines Angriffs: Unbekannte warfen zwei halbe Schweineköpfe durch die Scheiben der Studentenkneipe. Dort findet regelmäßig ein Willkommenscafé für Flüchtlinge statt. In allen Fällen ermittelt der Staatsschutz.

 

Seitens der Staatsanwaltschaft beobachtet man die Zunahme der rechten Straftaten mit Sorge. „Wir gehen mit aller Schärfe dagegen vor“, sagt die Lübecker Oberstaatsanwältin Ulla Hingst den LN. Das Problem stehe „ganz oben auf der Agenda“. Konkrete Zahlen, inwieweit die Zahl rechtsextremer Gewalttaten in der Hansestadt zuletzt gestiegen ist, gibt es jedoch nicht.

 

Der aktuelle Verfassungsschutzbericht für Schleswig-Holstein liefert aber einen Anhaltspunkt – und bestätigt den negativen Trend. Verzeichneten die Ermittler 2014 noch 63 Straftaten (etwa Hakenkreuz- Schmierereien) aus Lübecks rechtem Spektrum, waren es im abgelaufenen Jahr bereits 78. Damit ist Lübeck erneut Spitzenreiter im Norden. Unverändert blieb mit sechs Zwischenfällen dagegen die Zahl der rechts motivierten Gewalttaten. Nur Kiel verzeichnete mit acht Vorfällen mehr davon. Insgesamt landet die Landeshauptstadt mit 74 rechten Straftaten hinter Lübeck auf Rang zwei. 

 

Straftaten von Extremisten


1300 Rechtsextremisten verzeichnet der Verfassungsschutzbericht 2015 – ein Plus von 21 Prozent. Die Ermittler führen das vor allem auf die „Anti-Asyl-Agitationen“ zurück. Landesweit wurden 640 rechte Straftaten verzeichnet, darunter 38 Gewalttaten. 2014 lag die Zahl noch bei 439 beziehungsweise 21 Vorfällen. Das linke Spektrum (670 Mitglieder) verübte 2015 200 Straftaten, darunter 23 Gewalttaten. Im Vorjahr waren es 178 und sechs Taten.