Wo andere Not sehen, sieht er Krieg; wo andere vor Nationalismus warnen, spricht er von Notwehr: In den Schriften Peter Sloterdijks wabert der Slang von AfD und anderen Rechtsauslegern.
Kolumne von George Diez
Wer den sich abzeichnenden Ausgang der Landtagswahlen im Speziellen und die rabiate rechte Bürgerwut im Allgemeinen verstehen will, wer also verstehen will, wie in einer Gesellschaft antimoderne, antiwestliche, antizivilisatorische, fremdenfeindliche Gedanken ihren Platz finden und sich verbreiten, der muss Peter Sloterdijk lesen.
Das ist, zugegeben, nicht immer ein Vergnügen, denn Sloterdijk, der herrische Erzieher, betreibt Philosophie als Prügelstrafe. Er fordert Ergebenheit gegenüber seinen Prankengedanken. Er führt seine Seminare mit Sadismus. Er zwingt mehr, als dass er überzeugt. Er ist dunkel in seinen Worten und verschwommen in seinen Absichten, aber so lieben die Deutschen ihre Philosophen.
Gerade hat er sich ausnahmsweise mal etwas klarer geäußert, und sofort war die Aufregung groß - dabei ist es nicht neu, Sloterdijk betrachtet die Gegenwart schon länger im Panikmodus, er sieht die Kämpfe in endzeitlichen Wellen auf Europa zurollen, und wenn er von Krieg spricht, wo andere Not sehen und die größte humanitäre Herausforderung dieses Kontinents, dann ist das nichts Neues.
Islamophobie als Bindekitt des Denkens
Das macht es natürlich nicht besser, nur die Überraschung wirkt doch etwas gespielt: Denn wenn Sloterdijk jetzt von der Gefahr der Überrollung, der Flutung, der Invasion durch die Flüchtlinge spricht, dann klingt er zwar noch krasser und kriegerischer als jemand wie der AfD-Denker Götz Kubitschek, der in Bezug auf die Flüchtlinge von einem Rohrbruch spricht, den man erst mal reparieren muss, bevor man aufräumen kann.
Aber es ist noch harmlos im Vergleich zu dem, was Sloterdijk etwa 2010 sagte, als er im Höcke-Stil von der "Elendsfruchtbarkeit" der arabischen Länder sprach und von "Kampffortpflanzungen" - er sah darin eine "Bevölkerungswaffe", "in den kommenden 20 Jahren", prognostizierte er, würden "mehrere hundert Millionen junge Männer" Europa überrennen.
Islamophobie also als Bindekitt eines Denkens, das schon lange wirkt wie eine Bauanleitung zum philosophischen Ständestaat, mit verschiedenen Kasten und Kulturen, die eine gemeinsame Humanität ausschließen, mit gönnerhaften Gesten statt Gerechtigkeit beim Steuersystem etwa, mit Verachtung statt Vertrauen in die Macht des Menschen.
Deshalb, so schreibt er in einem der schlimmsten Texte seiner gerade erschienenen Essaysammlung "Was geschah im 20. Jahrhundert?", müsse der Mensch durch "Zähmen, Züchten und Hüten" zur "Domestikation" gezwungen werden - am besten durch philosophische Zoodirektoren wie Sloterdijk, die wissen, was der Platz für jedes "Menschenjunge" ist.
Französische Revolution als Betriebsunfall der Geschichte
Es ist eine krude "Natürlichkeit", die Sloterdijk hier predigt, und sie passt zu seinem Verständnis der französischen Revolution nicht als Befreiung des Menschen durch die Prinzipien von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - sondern als ein Betriebsunfall der Geschichte, der die "symbolische Ordnung" der Welt durcheinandergebracht hat.
Die Kultur, so wie sie Sloterdijk versteht und benutzt, ist dabei kein Medium der Offenheit, sondern der Abschottung: "Die Kulturen mögen in ihren internen Solidarsystemen häusliche Ordnungen respektieren", schreibt er, "in ihren Außenverhältnissen jedoch bleibt die Häuslichkeit unvollendet, weil sich die Einzelkulturen oft keineswegs unter ein gemeinsames Dach begeben, sondern füreinander fremde, nicht selten feindliche Umwelten bilden".
Die Gesellschaft als Haus, Homogenität statt Pluralismus: Auch hier ist es der rechte Slang der AfD, der herüberwabert, nicht von zugigen Marktplätzen in ostdeutschen Kleinstädten, sondern von den Seiten eines Suhrkamp-Buches und aus den Zeilen, die das "Zeit"-Feuilleton gerade gern in langen Riemen druckt.
Was aber geschah nun im 20. Jahrhundert? Auch hier ist Sloterdijk ganz in seiner Rolle als Poseur, Relativierer, Nebelwerfer: Erst stellt er eine Frage, die man im Grunde nur mit einem Wort beantworten kann, Auschwitz - und dann tänzelt er so lange um diese Frage herum, bis man die spezifische Gemeinheit seiner Antwort gar nicht mehr wahrnimmt oder wahrnehmen will.
Moral ist der Feind
"Der spezifische Beitrag des 20. Jahrhunderts zur Neubeschreibung der conditio humana", schreibt Sloterdijk, "ging von der Einsicht aus, dass die Kategorien der Evolutionstheorie nicht ausreichen, um Domestikationen zu beschreiben - weder bei Haustieren im Allgemeinen noch beim König der Haustiere, dem Menschen."
Waren es also die Deutschen, die die Juden umgebracht haben - oder waren es Katzen, die Mäuse verfolgt und gefressen haben? Ist es das, was er meinte, als er vor einigen Jahren schrieb: "Die Ära der hypermoralischen Söhne von nationalsozialistischen Vätern läuft zeitbegingt aus. Eine etwas freiere Generation rückt nach."
Moral ist der Feind, weil sie eine Verbindung zur Schuld der Väter bedeutet - und der Humanismus ist ein Problem, weil er den Menschen dazu zwingt, sein eigenes Handeln moralisch zu rechtfertigen.
Das ist das Credo eines anderen Deutschland, wie es seit dem Fall der Mauer erst leise und dann immer lauter propagiert wurde. In diesen wenigen Sloterdijkschen Gedanken ist so ziemlich alles enthalten, was seine Ausprägung findet in AfD-Rassismus, CSU-Autoritarismus und einem allgemeinen Schluss-mit-Menschenrechte-Egoismus.
Extremismus als Antwort auf Moralismus?
Sloterdijk ist damit das "missing link" zwischen enthemmtem Denken und enthemmter Wut, sein Projekt ist nicht Kulturpessimismus oder Apokalypse, sondern Restauration.
Im Europa der Orbans und Le Pens sieht er keinen neuen Nationalismus, sondern "Notwehr" gegen die universalistische Vereinnahmung durch die EU.
Und "vorkulturelle Reflexe" sieht er nicht bei denen, die Häuser anzünden, sondern bei denen, die für Humanismus eintreten.
Die Rechten mit ihrem Rassismus wären demnach - im eingeübten Ernst-Nolte-Swing - eine Reaktion auf den Universalismus der Linken. Und der Extremismus wäre eine Antwort auf den Moralismus.
"Dies sollte man sich in Bezug auf ein Phänomen wie die 'Alternative für Deutschland' vor Augen halten", schrieb Sloterdijk in der "Zeit", wo er sich als Teil der "Volksmeinung" inszenierte und mal wieder gegen die "Merkelsche Willkommens-Propaganda" wetterte. "Seit je ist das Schlimmere die Alternative zum Schlimmen."
Der Gekränkte stichelt und gibt sich herablassend
Das Problem bei all dem ist nun ein politisches, aber auch ein performatives: Sloterdijk hat eine ganze Karriere daraus gemacht, Wirklichkeit in Raunen zu verwandeln. Wer sich so der Wirklichkeitsverachtung hingibt, sollte sich von der Wirklichkeit fernhhalten. Wie soll man auch vernünftig über etwas reden, dessen Existenz man weitgehend verleugnet.
Sloterdijk ist das natürlich egal, und auch hier trifft er sich mit vielen Verschwörungstheorien, wie sie im Umfeld der AfD und weiter rechts kursieren: Dass etwa die Flüchtlingsströme mit geopolitischen Absichten gelenkt seien, um Europa zu schwächen, und dass dahinter doch wohl nur die USA stecken könnten.
Auch dieser Antiamerikanismus passt etwa zu dem Pro-Putinismus, wie er die autoritäre Rechte ergriffen hat, er passt zu dem, was Sloterdijk die Jahre über gesagt hat, als er die USA und Israel zu "Schurkenstaaten" machte und die Toten des 11. September zu einem Verkehrsunfall im frühen 21. Jahrhundert reduzierte.
Es zeigt sich in all dem aber auch etwas anderes. Sloterdijk spricht in seinem neuen Buch von der "Apokalypse des Realen" und versucht, den Vorrang der Philosophie über die Geschichtsschreibung wieder zu etablieren.
Er spricht hier als Gekränkter. Das erklärt auch seine Wut, das erklärt seine Sticheleien und seine Herablassung gegenüber seinen Kritikern. Wie narzisstisch muss man zum Beispiel sein, um die Diskussion über das, was man sagt, als Zeichen der "Entkulturalisierung" zu bezeichnen?
Und auch das verbindet ihn mit den Wählern der AfD und ihrer Wut. Sie finden sich im Ressentiment der Zukurzgekommenen, sie empfinden die Gegenwart als Beleidigung. Sie haben Angst, ihren Stand oder ihre Statur zu verlieren.
Und sie haben jemanden gefunden, der womöglich noch schwächer ist als sie: den Flüchtling.