Pforzheim - wo die rechten Wähler wohnen

Erstveröffentlicht: 
08.03.2016

Wenn es im Land einen Rechtsruck gibt, dann spürt man ihn zuerst in Pforzheim. Und gerade steht wieder einer bevor. Eine Recherche in der AfD-Hochburg.

 

Er kann es kaum noch erwarten. Bernd Grimmer ist 65 Jahre alt und trägt Anzug, seit er sich mit 17 in der Oberstufe für Politik zu interessieren begann. Zweiter Stock des Neuen Rathauses in Pforzheim, Zimmer der AfD-Gemeinderatsfraktion. Grimmer sitzt dort mit der gespannten Ruhe eines Mannes, der weiß, dass er es fast geschafft hat. „Es müsste schon mit dem Teufel zugehen …“, sagt er. Diesmal wird es Grimmer in den Landtag schaffen. Am 13. März wählt Baden-Württemberg – und Pforzheim, ganz sicher, wählt AfD.

Warum er keine Zweifel hat? Man müsse sich ja nur umsehen in der Stadt.

 

Die Fensterfront hinter ihm macht den Blick frei für die nüchternen Funktionsbauten der 50er Jahre, die nach dem Krieg in der völlig zerbombten Innenstadt hochgezogen worden waren, dazwischen liegt die Fußgängerzone. Gesprächsthema Nummer eins, wie überall im Land, die Flüchtlingskrise, Grimmer sagt: Masseneinwanderung. Sie hat einige Spuren hinterlassen in Pforzheim. 1450 Flüchtlinge gibt es, 250 kämen pro Monat hinzu, schätzt man in der Verwaltung, verteilt auf 30 Unterkünfte. Eine liegt am äußersten Stadtrand, ein steinerner Grenzsoldat steht hier vor einem originalen Stück Berliner Mauer. 40 Männer aus Nordafrika hat die Stadt in Räumen des DDR-Museums untergebracht. Davor ein Schild: „Lernort Demokratie“.

 

Mehr Arbeitslose, mehr Migranten, mehr Angst


Wer ein paar Kilometer weiter ins Tal fährt, vorbei an den Männern von der Bürgerwehr, die neuerdings durchs Viertel spazieren, dem muss das mächtige Industriegebäude auffallen, das trist in die Landschaft ragt. Einst Arbeitsplatz für Hunderte in der Elektrobranche, seit ein paar Jahren steht es leer. Im November wurden auch hier 300 Flüchtlinge untergebracht. Iraker, Afghanen, Syrer. Die Straße vor den Mauern heißt: Hoyerswerda-Ufer. Mehr Symbolik geht nicht.

 

Pforzheim hat von allem etwas mehr als die anderen Städte in Baden-Württemberg. Mehr Arbeitslose zum Beispiel, mehr Migranten, mehr Angst und vor allem: mehr rechte Wähler.

 

Es ist eine traurige Tradition. 1933 erhielt Hitlers NSDAP landesweit 43,9 Prozent der Stimmen. In Pforzheim kam die Partei auf 57,5 Prozent. 1992, als in Hoyerswerda im Vorjahr bereits vietnamesische Arbeiter durch die Stadt gejagt und Molotow-Cocktails auf ihre Unterkunft geworfen worden waren, schafften es die Republikaner mit fast elf Prozent in den baden-württembergischen Landtag. Auch ihre Hochburg: Pforzheim, 18,5 Prozent.

 

Wenn es im Land einen Rechtsruck gibt, dann spürt man ihn zuerst hier. Und gerade steht wieder einer bevor. Die Frage, wer von der Entwicklung in Pforzheim profitiert, kann Bernd Grimmer im Neuen Rathaus mit einem Wort beantworten: „Ich.“ Hinter seinem Schreibtisch hängen Schnappschüsse von Frauke Petry, der Bundessprecherin der „Alternative für Deutschland“, und von Wahlkämpfern mit hellblauen Plakaten. Grimmer ist auch dabei, bei den Gemeinderatswahlen 2014 holte seine Partei 10,8 Prozent. Bei der Wahl zum EU-Parlament erzielte die AfD bundesweit ihr bestes Ergebnis in Pforzheim. Und jetzt könnte es endlich für den Landtag reichen.

 

Grimmer ist Kreisvorsitzender und einer von drei Landessprechern für Baden-Württemberg. Sein grauer Anzug lässt ihn noch etwas steifer wirken als er ohnehin schon ist. Er spricht ruhig und unaufgeregt. 30 Jahre lang hat er in der Verwaltung der Sozialversicherung gearbeitet. Nun stimmt er sich einmal pro Woche per Telefonkonferenz mit Petry ab. Rechtsaußen hat er sich schon immer verortet. Erst war er in der Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher aktiv, und als die Ende der 70er in den Grünen aufging, schrieb Grimmer am Programm mit und saß in der Satzungskommission. „Die Grünen fand ich faszinierend.“

 

Ein Grüner forderte Schusswaffen an der Grenze - vor der AfD


Basisdemokratie, das schätze er ja auch heute an der AfD. Mit den etablierten Parteien habe er nie etwas anfangen können. Sein Leben ist im Grunde dem Protest gewidmet. Die Atomwaffen der Amerikaner in Deutschland, die wollte er nicht haben. In den letzten Kriegsmonaten hatten die Alliierten über Pforzheim Bomben abgeworfen. 22 Minuten dauerte der Angriff. 18 000 Menschen starben. Vor einer Woche wurde wieder der Opfer gedacht. Grimmer war bei der Zeremonie am Hauptfriedhof. Doch oben auf dem Wartberg hielten Rechtsextreme eine Mahnwache mit Fackeln. Mit denen habe er zwar nichts zu tun, sagt Grimmer, aber er könne das Anliegen schon verstehen.

 

Nie wieder Krieg und eine Lösung im Ost-West-Konflikt, das war sein Ziel, und eine Weile glaubte Grimmer, es bei den Grünen erreichen zu können. Einmal kandidierte er für den Landtag, saß zehn Jahre für die Grünen im Gemeinderat. Als die Bundesgrünen sich 1989 gegen ein wiedervereintes Deutschland aussprachen, bekam er Zweifel. Und als Joschka Fischer 1995 die pazifistische Ausrichtung der Partei wegen des Konflikts in Bosnien infrage stellte, wusste Grimmer, dass er gehen muss. Nur ein Grüner nötigt ihm heute noch Respekt ab: der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. „Der zieht das wirklich durch.“ Palmer hatte gegen Merkels Wir-schaffen-das-Politik protestiert und gefordert, dass Schusswaffen auch an der Grenze eingesetzt werden dürften, bevor in der AfD jemand darauf kam. „Ein mutiger Mann!“

 

Später wurde Grimmer bei den Freien Wählern Vorstand, doch den Sprung in die große Politik schaffte er auch dort nicht. Bis jetzt. Nun sehen Umfragen die AfD landesweit bei zehn Prozent. „Dann werden es in Pforzheim locker 20“, sagt Grimmer. Woran das liegt, darüber sind sich die Politiker fast alle einig. Die Hälfte der Bevölkerung hat Migrationserfahrung, wie sie das nennen, wenn mindestens ein Elternteil nicht aus Deutschland stammt. Nach dem Krieg kamen Flüchtlinge, später zehntausende Russlanddeutsche, Gastarbeiter und Spätaussiedler, die halfen, die Stadt wieder aufzubauen. Pforzheim prosperierte, die Schmuck- und Uhrenindustrie machte einige zu Millionären und war der größte Arbeitgeber der Region, beschäftigte vor allem an- und ungelernte Kräfte. Als der Industriezweig mit der Wende zusammenbrach, fehlte Pforzheim ein Konzept für einen Strukturwandel.

 

Heute hat die Stadt mit 7,4 Prozent die höchste Arbeitslosenquote in Baden-Württemberg, zwei Drittel davon sind Langzeitarbeitslose, 70 Prozent haben keine Ausbildung. Geblieben sind 140 verschiedene Nationalitäten und ein Heer von prekär Beschäftigten. Die meisten Stimmen, sagt Grimmer fast stolz, kämen aus Wohngegenden mit unterdurchschnittlichem Einkommen. Aber nicht von Leuten, „die sich in Hartz IV eingerichtet haben, die wählen die Linke“. Bürgerlich seien seine Wähler. „Sie treibt die Hoffnung auf Veränderung.“

 

Politisch stehen die Zeichen der Politik im Land aber nicht auf Veränderung, sondern auf Ratlosigkeit. Laut Meinungsforschungsinstitut Insa geben 30,5 Prozent der Befragten an, Grün wählen zu wollen. Ein halbes Prozent mehr als bei der CDU. Die mitregierende SPD liegt aktuell bei 16 Prozent, noch vor der AfD mit 10 Prozent, die FDP könnte es mit 7 Prozent auch in den Landtag schaffen. Das heißt, dass es weder für eine Fortsetzung der grün-roten Koalition, noch für ein schwarz-gelbes Bündnis reicht. Eine Koalition mit der AfD haben alle Parteien ausgeschlossen. „Wir auch“, sagt Grimmer und lächelt. Ihm mache es nichts aus, dass man jetzt fünf Jahre lang Gesetze für den Mülleimer produzieren wird. „Ich bin sehr hartnäckig.“

 

Grimmer hat sich verändert, das sagen die ehemaligen Freunde, und nach mehr als 30 Jahren in der Lokalpolitik hat er viele davon. Die meisten mögen nichts mehr mit ihm zu tun haben. Er selbst sagt, dass die Arbeit mit anderen Parteien konstruktiv sei. Da können die Stadtverordneten der Fraktionen nur müde lächeln. Gar nichts habe die AfD beigetragen, sagt eine Grüne, die Grimmer schon lange kennt und früher auch schätzte. „Er ist kein Dummer, das macht ihn gefährlich.“

 

Die AfD im Westen trägt schickere Anzüge, sonst unterscheidet sie nicht viel von den Petrys, Gaulands und Höckes im Osten. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam jüngst auch eine Studie des Göttinger Instituts für Demokratieforschung im Auftrag der Otto-Brenner-Stiftung. Der Ton sei jedoch ein anderer. Während die AfD im Südwesten moderater und weitgehend im rechtskonservativen Rahmen argumentiere, sei ihre Ansprache in Sachsen-Anhalt klar völkisch-nationalistisch. Auch dort wird gewählt, laut Umfragen liegt die AfD bei 17 Prozent.

 

In Pforzheim kann die Partei für sich beanspruchen, das auszusprechen, was viele lieber nur denken. Und wenn Pforzheim Deutschlands Hochburg ist, dann ist der Stadtteil Haidach hoch oben auf einem Hügel die Spitze. Die AfD hatte hier mit 16,2 Prozent stadtweit ihr bestes Ergebnis und das, obwohl das Viertel einen Migrantenanteil von 70 Prozent hat und als Beispiel mustergültiger Integration gilt. Die meisten Einwohner sind Spätaussiedler, ein kleinerer Teil stammt aus anderen osteuropäischen Staaten.

 

Eine Bürgerwehr patrouilliert


In einer Sackgasse steht seit 25 Jahren das Bürgerhaus. Es ist der ganze Stolz von Geschäftsführerin Barbara Baron-Cipold, die in ihrer knallpinken Jacke durch das Gebäude führt. Sie ist selbst Russland-Deutsche und hat wie keine andere die Entwicklung des Viertels beobachtet. Früher war es eine regelrechte No-Go-Area, mit Prügeleien, Jugendlichen, die schon mittags mit einer Flasche Wodka auf der Straße standen, Sammelbecken für die Abgehängten. Heute lärmen in der Kantine Kinder, ein paar Mini-Ballerinas in Tütüs laufen zum Tanzunterricht, im Keller gibt es Computerkurse für die Älteren, die bringen wiederum den Jungen das Stricken bei. Baron-Cipold präsentiert einen Artikel aus der Lokalzeitung, sie mit Bundespräsident Gauck in Berlin, der sich über das Projekt informierte. „Das Bürgerhaus ist eine Erfolgsgeschichte“, sagt sie. Und doch beginnt die Stimmung zu kippen.

Haidach hat immer konservativ gewählt, sagt Baron-Cipold, dankbar dafür, „dass Helmut Kohl sie heimgeholt hat“. Baron-Cipold, die selbst mit Akzent, aber sonst fehlerfrei Deutsch spricht, merkt, dass das Fremdenthema eine immer größere Rolle spielt. Mit dem Fall der 13-jährigen Russland-Deutschen Lisa, die in Berlin verschwand und behauptete von „Südländern“ vergewaltigt worden zu sein, geriet auch hier die russische Community in Aufruhr.

In Haidach patrouilliert seitdem eine Bürgerwehr. Man muss es wissen, um sie auszumachen. Ein paar Männer um die 40, Armbinde und Uniform hat die Stadtverwaltung ihnen verboten. Nun stehen sie vor dem Edeka. „Die AfD ist hier sehr aktiv. Die werben zweisprachig um Stimmen“, hat Baron-Cipold beobachtet, während sich von den anderen Parteien niemand blicken lasse. Recht und Ordnung, das kommt an bei den Russland-Deutschen. Einige dutzend Aktivisten sprengten im Februar eine Bürgerversammlung zum Thema „Sicherheit in Pforzheim“, beschimpften Politiker, brüllten andere Redner nieder. Auch ein AfD-Gemeinderatsmitglied war dabei. Für die harten Angriffe hat die Partei andere Sympathisanten, von denen sich die Funktionäre dann gerne distanzieren.

 

Keiner beherrscht diese Kunst so gut, wie AfD-Landeschef Jörg Meuthen. Wenn Grimmer und die Krawallmacher von Haidach das Rückgrat der Partei sind, ist er ihr freundliches Gesicht. Jeden Tag spricht der 54-jährige Volkswirtschaftsprofessor derzeit auf Veranstaltungen. Als er im Februar in einem Rededuell gegen den SPD-Spitzenkandidaten Nils Schmid antrat und der ihn als Rassisten bezeichnete, fragte Meuthen zurück, ob der SPD-Mann auch nur einen rassistischen Satz von ihm zitieren könne. Vor 750 Zuschauern schnappte Schmid nach Luft. Ihm fiel keiner ein.

 

Die Brandanschläge auf Flüchtlingsheime verurteilt Meuthen öffentlich. „Das ist pfui!“ Überhaupt gefalle ihm die ganze Radikalisierung der Gesellschaft nicht. „Ich muss die Wut der Wähler eher dämpfen, als dass ich sie schüre.“

Vor einer Woche steht ein Mann nach Meuthens Vortrag im Publikum auf, er mag etwas über 80 Jahre alt sein. Er brüllt seinen Frust in den Saal: „Ich bin nach dem Krieg auch nicht abgehauen!“ Beide Hände ballt er in der Luft. „Ich bin geblieben und habe mein Land aufgebaut. Meine Mutter war Trümmerfrau. Den ganzen feigen Syrern sage ich, haut ab und werdet Trümmermänner!“ Meuthens Antwort, sollte er eine gegeben haben, geht im tosenden Beifall unter.

 

Keine Turnhallen, keine Zeltstädte


Kaum einer kennt die rund 120 000 Pforzheimer so gut wie Gert Hager. Vom obersten Stock des Rathauses sieht er auf die bunten Tafeln mit Friedensbotschaften, die Schüler zum Jahrestag der Bombardierung für die Fußgängerzone angefertigt haben. Hager ist Oberbürgermeister. Seit mehr als zehn Jahren gehört der SPD-Mann zum politischen Establishment. Er merkt, dass die Bewohner immer wütender werden, an unzähligen Briefen und E-Mails, die oft nur ein Thema haben. Flüchtlinge.

 

Dabei ist Pforzheim vielleicht die einzige Großstadt in Süddeutschland, die noch keine Turnhalle zweckentfremden, keine Zeltstadt errichten musste. „Manchmal habe ich das Gefühl, mit Fakten erreichen Sie viele Leute gar nicht mehr“, sagt Hager. Das stimme ihn nachdenklich. „Ob wir es schaffen, wissen wir nicht. Aber wir werden alles dafür tun, dass wir es schaffen können.“ Zu allem Überdruss stecke Pforzheim in einer Haushaltskrise, 50 Millionen Euro Defizit pro Jahr, auch weil die Sozialkosten sprunghaft angestiegen seien.

 

Also, Herr Hager: Warum kann nur eine Partei von dieser Entwicklung profitieren? Der OB schüttelt den Kopf. Nein, sagt er. So kurz vor der Landtagswahl darf er sich dazu nicht äußern.