Sachsen bekommt sein Problem mit der Fremdenfeindlichkeit nicht in den Griff. Opposition und Bundespolitiker sind entsetzt. Doch die Landesregierung agiert hilflos. Statt Konsequenzen aus den Vorfällen zu ziehen, spricht Ministerpräsident Stanislaw Tillich den Brandstiftern kurzerhand den Status ab, Menschen zu sein.
Leipzig. Ein rechter Mob umringt einen Bus mit völlig verängstigten Flüchtlingen. Molotowcocktails fliegen gegen eine Asylbewerberunterkunft. Fremdenfeinde bejubeln den Brand in einem noch nicht fertiggestellten Flüchtlingsheim und behindern die Löscharbeiten. Clausnitz, Löbau, Bautzen. Drei Orte in Sachsen. Vier Tage. Drei rassistische Vorfälle. Der CDU-Landtagsabgeordnete Marko Schiemann spricht von „Tagen der Schande“.
Die Liste der Orte in dem Freistaat, die sich durch fremdenfeindliche Krawalle und Anschläge ins kollektive Gedächtnis eingebrannt haben, wird immer länger. Man erinnere sich an Heidenau, Freital, Freiberg, Meerane - und nun eben auch Clausnitz und Bautzen. „Das sind keine Menschen, die sowas tun. Das sind Verbrecher“, meint Ministerpräsident Stanislaw Tillich mit Blick auf die jüngsten Vorfälle. Der Hass gegen Ausländer sei unerträglich, sagt auch sein Innenminister Markus Ulbig (beide CDU). „Wir stehen vor einer großen gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, diesen Hass aus den Köpfen der Menschen zu bekommen.“ Die CDU regiert seit über 25 Jahren im Freistaat Sachsen.
In Bautzen gehen die Ermittler von Brandstiftung aus. Mittlerweile wurden Spuren von Brandbeschleuniger gefunden. Wer das Feuer in dem früheren Hotel gelegt hat, ist offen. Als Anschlag auf den Ruf und die Offenheit der Stadt ist aber allein schon das Verhalten des rechten Mobs zu sehen, der die Flammen noch in der Nacht bejubelt. Die Polizei spricht von 20 bis 30 teils betrunkenen Leuten. Auch Kinder seien darunter gewesen, berichtet die „Sächsische Zeitung“ unter Berufung auf Augenzeugen. „Wir wollen keine Asylantenheime“ soll gegrölt worden sein.
Der Antifaschismusexperte der Linken in Sachsen, Silvio Lang, sieht die Vorfälle in Bautzen als logische Folge der Ereignisse im erzgebirgischen Clausnitz zwei Nächte zuvor. Dort hatte ein Mob aus rund 100 Fremdenfeinden einen Bus mit 20 neu ankommenden Flüchtlingen blockiert. Ein Video davon hatte im Internet für Entsetzen gesorgt. Es zeigt verstörte Menschen. In dem Bus weinen Frauen und Kinder. Draußen skandiert die Menge „Wir sind das Volk“ und „Holt sie raus!“. Ein Bundespolizist zerrt schließlich einen völlig verängstigten Teenager mit Gewalt aus dem Fahrzeug. Der Chemnitzer Polizeipräsident bezeichnet den Einsatz später als „absolut notwendig“ und „verhältnismäßig“. Zugleich macht er die Flüchtlinge mitverantwortlich, weil sie die Demonstranten mit Gesten provoziert hätten. In der Nacht besprühten Unbekannte das Chemnitzer Polizeipräsidium mit dem 8 mal 0,5 Meter großen Schriftzug „Reissmann mag Gewalt gegen Kinder!“
„Rechtsäugige Blindheit von Teilen der sächsischen Polizei“
Wenn die Polizei am Ende die Flüchtlinge zu Provokateuren umdeute statt gegen die blockierenden Rassisten vorzugehen, „dann fühlen sich auch überall anders in Sachsen Menschenfeinde ermutigt, noch offener aufzutreten und zu ihren Taten zu stehen“, sagt Lang.
„Langsam beginne ich, an eine selbstverordnete, rechtsäugige Blindheit von Teilen der sächsischen Polizei und vor allem ihres Dienstherrn zu glauben“, meint Sachsens Linke-Partei- und Fraktionschef Rico Gebhardt und fordert eine Sondersitzung des Landtagsinnenausschusses. „Wenn Zwangsmaßnahmen wie das Abführen im Polizeigriff so harmlos und gängig sind: Warum hat man diese Maßnahme nicht an den bedrohenden „Demonstranten“ durchgeführt, sondern an Frauen und Kindern, also an den Opfern statt an den Tätern?“
Bundesweites Entsetzen über Vorfälle in Sachsen
Auch bundesweit sorgt der Fall für Empörung. Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, spricht von „Polizeiversagen“. Seine Grünen-Kollegin Katrin Göring-Eckardt ebenfalls. „Es nicht zu benennen, ist eine Katastrophe“, twittert sie. Ihre Fraktion fordert, dass sich der Bundestag in einer Aktuellen Stunde mit den Vorfällen befasst. „Der Einsatz gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit gehört endlich auch ganz nach oben auf die Agenda der sächsischen CDU“, fordert die Generalsekretärin der in Sachsen mitregierenden SPD, Daniela Kolbe. Auch wenn die deutlichen Äußerungen Tillichs zu Clausnitz und Bautzen nun ermutigend seien: „Bisher wirkte die CDU sprachlos.“