Nach dem Handgranaten-Anschlag: Der Fluch der bösen Worte

Erstveröffentlicht: 
30.01.2016

Hat sich der Hass nicht schon länger aufgeschaukelt? Nach dem Anschlag von Villingen fahndet eine Sonderkommission fieberhaft nach dem Täter – doch die braune Szene der Region ist groß.

 

Es hatte sich etwas zusammengebraut in und um Villingen-Schwenningen in den letzten acht Tagen.

Am Samstag die Kundgebung der Gruppe "Kein Heim in Schwarzwald-Baar-Heuberg" in Donaueschingen. Am Sonntag mit 1300 Teilnehmern die bundesweit größte jener Demonstrationen von Russlanddeutschen, die behaupten, wegen der angeblichen Vergewaltigung eines 13-jährigen Mädchens durch Flüchtlinge in Berlin um ihre Sicherheit zu fürchten.

Am Mittwochmorgen dann der Schlag gegen das Neonazi-Netzwerk "Altermedia" und die Verhaftung des 27-jährigen Ralph-Thomas K. aus dem 20 Kilometer entfernten St. Georgen. Und am Abend dann der Marsch von Neonazis mit Fahnen und Fackeln durch Villingen.

Nervosität und Hetze


Seit Tagen herrscht hohe Nervosität in dem beschaulichen Doppelstädtchen auf der Baar und seiner Umgebung, und für manchen Beobachter war es nur eine Frage der Zeit, bis die bösen Worte und Hetzparolen zu Taten wurden.

In der Nacht zum Freitag gegen 1.15 Uhr geschieht es tatsächlich: Unbekannte Täter werfen eine Handgranate auf das Gelände der Bedarfsorientierten Erstaufnahmestelle (BEA). Zum Glück explodiert sie nicht, aber dass sie explosiv war, zeigt sich vier Stunden später: Noch in der Nacht bringen Experten die Granate kontrolliert zur Sprengung. Das Schlimmste ist verhindert. Doch der Schock sitzt tief.

 

Die Handgranate
Bei der jugoslawischen Granate vom Typ M 52 handelt es sich nach Angaben von Experten des Landeskriminalamtes um ein absolut tödliches Wurfgeschoss. Sie präsentierten in Villingen-Schwenningen ein Modell des grünen, eiförmigen Sprengsatzes. Solche Waffen werden normalerweise in Kriegen eingesetzt. Die tödliche Wirkung erstrecke sich auf ein Umfeld zwischen 10 und 20 Metern. Nicht nur der kolossale Druck durch den Sprengsatz gilt als verheerend, sondern auch die Splitter. Durch die Druckwelle können auch Fenster bersten. Als scharf gelten Granaten nur, wenn sie neben dem Sprengstoff auch einen Zünder haben.


Noch am Nachmittag ist das Viertel um den Tatort unweit des Stadions abgesperrt. Ein direkter Nachbar der Unterkunft in den früheren französischen Kasernen schippt letzte Schneereste weg. "Am Anfang gab es etwas Ärger", berichtet er und meint das Zusammenleben mit den neuen Interimsnachbarn aus aller Welt, "aber in letzter Zeit hatten wir überhaupt keine Probleme mehr. Das lief gut."

Dann stellt der alte Mann die Schaufel weg und sagt: "Das ist eine Schande!" Das mit der Handgranate.

Derweil berichten im Villinger Polizeirevier acht Ermittler den Stand der Dinge. Sie sagen, dass es noch keine Hinweise auf den oder die Täter gebe und dass es ratsam sei, aus taktischen Gründen so wenig wie möglich über die laufenden Ermittlungen zu verraten. Keine zehn Minuten nach der Tat hätten umfangreiche Fahndungsmaßnahmen eingesetzt.

Der "Sonderkommission Container" gehörten 75 Mitglieder an, die jedem Hinweis "mit Nachdruck und in alle Richtungen" nachgingen – unter anderem in Richtung einer fremdenfeindlichen Tat. Denkbar sei aber auch, dass der Anschlag den Sicherheitskräften gegolten habe. Drei von ihnen hielten sich zur Tatzeit im Container auf, neben dem die Handgranate aufschlug. Sie hätten tot sein können.

Gab es einen Zünder?


Jetzt steht die Frage im Mittelpunkt, warum die Handgranate nicht explodiert ist. Funktionsfähig wäre sie nur mit einem Zünder. "Das ist entscheidend", betont der Konstanzer Staatsanwalt Johannes-Georg Roth, entscheidend auch für den Grad des Verbrechens. "Bei einem technischen Fehler wäre es ein schweres Verbrechen. Wenn kein Zünder dabei war, ginge es um das Vortäuschen einer Straftat mit einer entsprechenden geringeren Strafe."

Deshalb müssen Techniker des Landeskriminalamts mit komplizierten chemischen Analysen versuchen, eine Antwort zu finden. Das gestaltet sich zeitaufwendig, weil die Granate bereits "unter gewissen Gefahren", wie es heißt, gesprengt worden ist.

Vieles aber deutet darauf hin, dass die bisher in dieser Art bundesweit einzigartige Tat von Villingen der vorläufige Höhepunkt einer verhängnisvollen Entwicklung ist.

Ein brauner Fleck auf der Landkarte


Villingen-Schwenningen war schon immer ein brauner Fleck auf der Landkarte. Dafür steht vor allem Jürgen Schützinger (63), früher langjähriger NPD-Landesvorsitzender und seit drei Jahrzehnten stets mit hohen Stimmenzahlen wiedergewählter Stadt- und Kreisrat. Auf dem braunen Fleck wuchs eine rechte Szene mit vielen Facetten. Manche Gewächse kommen hoch, verschwinden wieder oder schließen sich dann anderen Gruppen von Gesinnungsgenossen an. Einzelne sind Mitglieder "mehrerer Kameradschaften", wie Rolf Straub, Leiter der Sonderkommission Container, weiß.

Da sind zum Beispiel die "Freien Kräfte", deren Mitglieder auch beim regionalen Pegida-Ableger SBH-Gida (SBH steht für Schwarzwald-Baar-Heuberg) gesichtet wurden. Der hat das Klima im vergangenen Jahr bei zehn Kundgebungen auf dem Villinger Münsterplatz aufgeheizt und sich dann überraschend Ende des Jahres unter bisher nicht geklärten Umständen aufgelöst.

Antifaschisten, bürgerliche Demonstranten und Rechte


Doch die Nachfolgeorganisation stand mit "Nein zum Heim in Schwarzwald-Baar-Heuberg" bereits parat. Sie hat sich die Nachbarstadt Donaueschingen, zehn Kilometer entfernt, als Schauplatz ausgesucht, und auch das ist kein Zufall: In der früheren Kaserne dort sind 2000 Flüchtlinge untergebracht; im gesamten Regierungsbezirk Freiburg ist das damit der größte Standort für Flüchtlinge.

Die Kundgebung vor einer Woche belegt eine neue Aufspaltung der hiesigen Bürgerschaft ebenso wie die Gesinnung der rechten Szene: Gerüchte einer Vergewaltigung machen die Runde. Es liegt eine Art kollektiver Angst über der Innenstadt. Die etwa 60 Antifaschisten auf der einen Seite äußern Angst vor "diesen Nazis". 250 bürgerliche Demonstranten auf der anderen Seite fürchten um die Unversehrtheit der Flüchtlinge, um die Streitkultur in Deutschland und nicht zuletzt um den Ruf von Donaueschingen.

Der Hass sitzt tief


Und ganz tief sitzt vorgeblich eine Angst bei den hundert Anhängern von "Nein zum Heim", geschützt durch ein großes Polizeiaufgebot und Sperrgitter auf beiden Seiten der Gegendemonstranten. Kein Wort ist den namentlich nicht vorgestellten Rednern zu groß, um solche Ängste angesichts der "Asylantenflut" zu beschwören und weiter zu schüren. Da ist die Rede von "Auflösung des deutschen Volks", von "Völkermord", von "Genozid", von "Germanenblut", und auch eine düstere Prophezeiung ertönte laut: "Es wird Krieg geben." Als Hauptverantwortliche gilt die Bundeskanzlerin, und so schallt es immer wieder durch die kalte Innenstadt: "Merkel muss weg!"

Andere Redner geben sich in der Wortwahl gemäßigter, aber in der Sache nicht minder radikal: "Eine Millionen Flüchtlinge – das sind 920 000 zu viel", ruft einer – nicht ohne hinzuzufügen: "Wir sind keine Rassisten."

Besorgte Bürger


Eine Frau, Generation 50 plus, gutbürgerlich gewandet, steht schweigend am Gitter und hört aufmerksam zu. Sie sei gegen den Willen ihres Mannes hergekommen, berichtet sie, weil sie sich große Sorgen mache. Da habe es zum Beispiel jüngst eine Vergewaltigung durch einen Flüchtling in Donaueschingen gegeben. Wo und wann? Das wisse sie nicht genau, sagt sie auf Nachfrage. Sie verstehe ja, dass Menschen aus Syrien flüchteten, und sei auch bereit zu helfen. Doch so könne es nicht weitergehen. Jetzt müsse etwas geschehen, und zwar schnell. "Wir schaffen das nicht", sagt sie und wiederholt den Satz. "Es sind einfach zu viele." Ihr gesamter Bekanntenkreis teile diese Ansicht.

Eigentlich wollte die Frau ans Mikrofon gehen und ihre Sorgen öffentlich kundtun. Dann aber tut sie es doch nicht. Auf diesem Niveau der Redner da oben wolle sie dann doch nicht diskutieren, sagt sie. Die Polizei versichert auf Anfrage, es gebe – ebenso wie in Berlin – keinerlei Hinweise, dass es eine Vergewaltigung in Donaueschingen gegeben habe.

Auch Ralph-Thomas K. ist gut vernetzt in der rechten Szene. Er hat für die "Deutsche Liga für Volk und Heimat", die Jürgen Schützinger anführt, für den Kreistag kandidiert, wenn auch vergebens. Er trat bei Pegida-Kundgebungen als "Ordner" auf. Er war bei anderen Treffen von "Kameradschaften" dabei.

War der Anschlag von Villingen in der Nacht zum Freitag eine Reaktion der rechten Szene auf die Verhaftung von Ralph-Thomas K. am Mittwoch? Soko-Chef Rolf Straub gibt sich zurückhaltend: "Wir ermitteln in alle Richtungen."