Hat sich der Hass nicht schon länger aufgeschaukelt? Nach dem Anschlag von Villingen fahndet eine Sonderkommission fieberhaft nach dem Täter – doch die braune Szene der Region ist groß.
Es hatte sich etwas zusammengebraut in und um Villingen-Schwenningen in den letzten acht Tagen.
Am Samstag die Kundgebung der Gruppe "Kein Heim in
Schwarzwald-Baar-Heuberg" in Donaueschingen. Am Sonntag mit 1300
Teilnehmern die bundesweit größte jener Demonstrationen von
Russlanddeutschen, die behaupten, wegen der angeblichen Vergewaltigung
eines 13-jährigen Mädchens durch Flüchtlinge in Berlin um ihre
Sicherheit zu fürchten.
Am Mittwochmorgen dann der Schlag gegen das Neonazi-Netzwerk
"Altermedia" und die Verhaftung des 27-jährigen Ralph-Thomas K. aus dem
20 Kilometer entfernten St. Georgen. Und am Abend dann der Marsch von
Neonazis mit Fahnen und Fackeln durch Villingen.
Seit Tagen herrscht hohe Nervosität in dem beschaulichen Doppelstädtchen
auf der Baar und seiner Umgebung, und für manchen Beobachter war es nur
eine Frage der Zeit, bis die bösen Worte und Hetzparolen zu Taten
wurden.
In der Nacht zum Freitag gegen 1.15 Uhr geschieht es tatsächlich:
Unbekannte Täter werfen eine Handgranate auf das Gelände der
Bedarfsorientierten Erstaufnahmestelle (BEA). Zum Glück explodiert sie
nicht, aber dass sie explosiv war, zeigt sich vier Stunden später: Noch
in der Nacht bringen Experten die Granate kontrolliert zur Sprengung.
Das Schlimmste ist verhindert. Doch der Schock sitzt tief.
Die HandgranateBei der jugoslawischen Granate vom Typ M 52 handelt es sich nach Angaben von Experten des Landeskriminalamtes um ein absolut tödliches Wurfgeschoss. Sie präsentierten in Villingen-Schwenningen ein Modell des grünen, eiförmigen Sprengsatzes. Solche Waffen werden normalerweise in Kriegen eingesetzt. Die tödliche Wirkung erstrecke sich auf ein Umfeld zwischen 10 und 20 Metern. Nicht nur der kolossale Druck durch den Sprengsatz gilt als verheerend, sondern auch die Splitter. Durch die Druckwelle können auch Fenster bersten. Als scharf gelten Granaten nur, wenn sie neben dem Sprengstoff auch einen Zünder haben.
Noch am Nachmittag ist das Viertel um den Tatort unweit des Stadions
abgesperrt. Ein direkter Nachbar der Unterkunft in den früheren
französischen Kasernen schippt letzte Schneereste weg. "Am Anfang gab es
etwas Ärger", berichtet er und meint das Zusammenleben mit den neuen
Interimsnachbarn aus aller Welt, "aber in letzter Zeit hatten wir
überhaupt keine Probleme mehr. Das lief gut."
Dann stellt der alte Mann die Schaufel weg und sagt: "Das ist eine Schande!" Das mit der Handgranate.
Derweil berichten im Villinger Polizeirevier acht Ermittler den Stand
der Dinge. Sie sagen, dass es noch keine Hinweise auf den oder die Täter
gebe und dass es ratsam sei, aus taktischen Gründen so wenig wie
möglich über die laufenden Ermittlungen zu verraten. Keine zehn Minuten
nach der Tat hätten umfangreiche Fahndungsmaßnahmen eingesetzt.
Der "Sonderkommission Container" gehörten 75 Mitglieder an, die jedem
Hinweis "mit Nachdruck und in alle Richtungen" nachgingen – unter
anderem in Richtung einer fremdenfeindlichen Tat. Denkbar sei aber auch,
dass der Anschlag den Sicherheitskräften gegolten habe. Drei von ihnen
hielten sich zur Tatzeit im Container auf, neben dem die Handgranate
aufschlug. Sie hätten tot sein können.
Jetzt steht die Frage im Mittelpunkt, warum die Handgranate nicht
explodiert ist. Funktionsfähig wäre sie nur mit einem Zünder. "Das ist
entscheidend", betont der Konstanzer Staatsanwalt Johannes-Georg Roth,
entscheidend auch für den Grad des Verbrechens. "Bei einem technischen
Fehler wäre es ein schweres Verbrechen. Wenn kein Zünder dabei war,
ginge es um das Vortäuschen einer Straftat mit einer entsprechenden
geringeren Strafe."
Deshalb müssen Techniker des Landeskriminalamts mit komplizierten
chemischen Analysen versuchen, eine Antwort zu finden. Das gestaltet
sich zeitaufwendig, weil die Granate bereits "unter gewissen Gefahren",
wie es heißt, gesprengt worden ist.
Vieles aber deutet darauf hin, dass die bisher in dieser Art bundesweit
einzigartige Tat von Villingen der vorläufige Höhepunkt einer
verhängnisvollen Entwicklung ist.
Villingen-Schwenningen war schon immer ein brauner Fleck auf der
Landkarte. Dafür steht vor allem Jürgen Schützinger (63), früher
langjähriger NPD-Landesvorsitzender und seit drei Jahrzehnten stets mit
hohen Stimmenzahlen wiedergewählter Stadt- und Kreisrat. Auf dem braunen
Fleck wuchs eine rechte Szene mit vielen Facetten. Manche Gewächse
kommen hoch, verschwinden wieder oder schließen sich dann anderen
Gruppen von Gesinnungsgenossen an. Einzelne sind Mitglieder "mehrerer
Kameradschaften", wie Rolf Straub, Leiter der Sonderkommission
Container, weiß.
Da sind zum Beispiel die "Freien Kräfte", deren Mitglieder auch beim
regionalen Pegida-Ableger SBH-Gida (SBH steht für
Schwarzwald-Baar-Heuberg) gesichtet wurden. Der hat das Klima im
vergangenen Jahr bei zehn Kundgebungen auf dem Villinger Münsterplatz
aufgeheizt und sich dann überraschend Ende des Jahres unter bisher nicht
geklärten Umständen aufgelöst.
Doch die Nachfolgeorganisation stand mit "Nein zum Heim in
Schwarzwald-Baar-Heuberg" bereits parat. Sie hat sich die Nachbarstadt
Donaueschingen, zehn Kilometer entfernt, als Schauplatz ausgesucht, und
auch das ist kein Zufall: In der früheren Kaserne dort sind 2000
Flüchtlinge untergebracht; im gesamten Regierungsbezirk Freiburg ist das
damit der größte Standort für Flüchtlinge.
Die Kundgebung vor einer Woche belegt eine neue Aufspaltung der hiesigen
Bürgerschaft ebenso wie die Gesinnung der rechten Szene: Gerüchte einer
Vergewaltigung machen die Runde. Es liegt eine Art kollektiver Angst
über der Innenstadt. Die etwa 60 Antifaschisten auf der einen Seite
äußern Angst vor "diesen Nazis". 250 bürgerliche Demonstranten auf der
anderen Seite fürchten um die Unversehrtheit der Flüchtlinge, um die
Streitkultur in Deutschland und nicht zuletzt um den Ruf von
Donaueschingen.
Und ganz tief sitzt vorgeblich eine Angst bei den hundert Anhängern von
"Nein zum Heim", geschützt durch ein großes Polizeiaufgebot und
Sperrgitter auf beiden Seiten der Gegendemonstranten. Kein Wort ist den
namentlich nicht vorgestellten Rednern zu groß, um solche Ängste
angesichts der "Asylantenflut" zu beschwören und weiter zu schüren. Da
ist die Rede von "Auflösung des deutschen Volks", von "Völkermord", von
"Genozid", von "Germanenblut", und auch eine düstere Prophezeiung
ertönte laut: "Es wird Krieg geben." Als Hauptverantwortliche gilt die
Bundeskanzlerin, und so schallt es immer wieder durch die kalte
Innenstadt: "Merkel muss weg!"
Andere Redner geben sich in der Wortwahl gemäßigter, aber in der Sache
nicht minder radikal: "Eine Millionen Flüchtlinge – das sind 920 000 zu
viel", ruft einer – nicht ohne hinzuzufügen: "Wir sind keine Rassisten."
Eine Frau, Generation 50 plus, gutbürgerlich gewandet, steht schweigend
am Gitter und hört aufmerksam zu. Sie sei gegen den Willen ihres Mannes
hergekommen, berichtet sie, weil sie sich große Sorgen mache. Da habe es
zum Beispiel jüngst eine Vergewaltigung durch einen Flüchtling in
Donaueschingen gegeben. Wo und wann? Das wisse sie nicht genau, sagt sie
auf Nachfrage. Sie verstehe ja, dass Menschen aus Syrien flüchteten,
und sei auch bereit zu helfen. Doch so könne es nicht weitergehen. Jetzt
müsse etwas geschehen, und zwar schnell. "Wir schaffen das nicht", sagt
sie und wiederholt den Satz. "Es sind einfach zu viele." Ihr gesamter
Bekanntenkreis teile diese Ansicht.
Eigentlich wollte die Frau ans Mikrofon gehen und ihre Sorgen öffentlich
kundtun. Dann aber tut sie es doch nicht. Auf diesem Niveau der Redner
da oben wolle sie dann doch nicht diskutieren, sagt sie. Die Polizei
versichert auf Anfrage, es gebe – ebenso wie in Berlin – keinerlei
Hinweise, dass es eine Vergewaltigung in Donaueschingen gegeben habe.
Auch Ralph-Thomas K. ist gut vernetzt in der rechten Szene. Er hat für
die "Deutsche Liga für Volk und Heimat", die Jürgen Schützinger anführt,
für den Kreistag kandidiert, wenn auch vergebens. Er trat bei
Pegida-Kundgebungen als "Ordner" auf. Er war bei anderen Treffen von
"Kameradschaften" dabei.
War der Anschlag von Villingen in der Nacht zum Freitag eine Reaktion
der rechten Szene auf die Verhaftung von Ralph-Thomas K. am Mittwoch?
Soko-Chef Rolf Straub gibt sich zurückhaltend: "Wir ermitteln in alle
Richtungen."