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1. Mai-Demo in Ulm NPD-Gegner: Freispruch für 23-Jährigen
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Erstveröffentlicht:
04.02.2010
Ulm. Das Amtsgericht Ulm spricht einen 23-Jährigen vom Vorwurf des Landfriedensbruchs frei. Der Mann hielt sich zwar im schwarzen Block bei der Anti-NPD-Demo am 1. Mai auf - gewalttätig war er aber nicht. Sage nur einer, die Videotruppe der Polizei habe den 1. Mai 2009 verschlafen. Nein, die Kameras surrten an einer Tour: Über 100 DVDs an Filmmaterial haben die Kameramänner gesammelt, Material, das hinterher von der Ermittlungsgruppe 1. Mai gesichtet wurde, um Straftätern auf die Spur zu kommen und sie vor Gericht zu stellen.
Einen dieser gewalttätigen Autonomen glaubten die Beamten in Moritz F. (Name geändert) gefunden zu haben. Der 23-Jährige taucht für etwa 30 Sekunden auf einem Video auf, das in der Sattlergasse gedreht wurde. Hier war gegen 10 Uhr morgens eine Gruppe Autonomer, teilweise vermummt und schwarz gekleidet, eingekesselt worden. Moritz F. stand in dieser Menge, einmal sogar in der ersten Reihe, bei den Nebenmännern rechts und links untergehakt. Für ein paar Sekunden und immer im Abstand von einem Meter zur Polizeikette, die das Vordringen des schwarzen Blocks auf den Weinhof verhindern wollte.
Dieses Video war die Grundlage für den Strafbefehl über 800 Euro, den Moritz F. im vergangenen November vom Amtsgericht Ulm erhalten hatte. Der Tatbestand: Landfriedensbruch. Für Verteidiger Thomas Oberhäuser eine "Unsäglichkeit sondergleichen", wie er gestern in der Verhandlung vor dem Ulmer Amtsgericht sagte. Aus seiner Sicht hatten die ermittelnden Beamten einen "Popanz" aufgebaut und Bruchstücke zusammengeschnitten, die überhaupt nichts mit seinem Mandanten zu tun hatten. So heißt es im Strafbefehl: "Gegen 10.12 Uhr . . . bildeten 40 bis 50 Personen durch Unterhaken mehrere Ketten. Die Personen begannen von 10 rückwärts zu zählen, ab 3 begann die Menge sich zu bewegen und rannte bei 0 auf die Polizeibeamten zu. Dabei wurde auf Polizeibeamte eingeschlagen, ein am Boden liegender Polizist wurde mit dem Schuh am Helm getroffen."
Das Video zeigte zwar diese Szene, sie hat sich aber nicht dort abgespielt, wo sich Moritz F. aufgehalten hat. Was einer der zwei ermittelnden Beamten, die übrigens beide am 1. Mai nicht in der Sattlergasse waren ("Ich weiß nicht, wie die Situation war"), auf Nachfrage von Amtsrichterin Birgit Hölzel einräumen musste. Diese Szene erscheine nur auf der DVD, um einen "Eindruck" von den Gewalttätigkeiten zu geben, sagte der Polizeikommissar. Rechtsanwalt Oberhäuser machte keinen Hehl daraus, dass er eine solche Vorgehensweise für "tendenziös" hält. "Das hat rein gar nichts mit dem Vorwurf gegenüber meinem Mandanten zu tun. Das ist eine Kriminalisierung von jungen Leuten, die ihre Grundrechte wahrnehmen." Abgesehen davon, falle ein bloßes Unterhaken noch nicht in den Tatbestand des Landfriedensbruchs, machte der Verteidiger in seinem Plädoyer deutlich; selbst ein Wegdrängen von Personen sei noch keine Gewalttätigkeit, bezog sich Oberhäuser auf ein entsprechendes Urteil des Bundesgerichtshofs.
Eine Einstellung des Verfahrens, wie von Richterin Hölzel nach der Beweisaufnahme angeregt ("das ist nicht der typische Fall"), war von der Staatsanwaltschaft abgelehnt worden. Deren Vertreter plädierte auf 20 Tagessätze à 15 Euro, der Verteidiger auf Freispruch. Richterin Hölzel schließlich sprach den jungen Mann frei, der Vorwurf des Landfriedensbruchs ließe sich nicht aufrechterhalten. "Das, was wir auf dem Video gesehen haben, reicht nicht aus, den jungen Mann zu verurteilen." Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse.
Wenn die Videotruppe der Polizei noch keine Abteilung "Spielfilm" hat, dann ist es an der Zeit, eine solche zu gründen. Die Kinos dieser Welt warten nur auf clever geschnittene Kurzgeschichten. Aber im Ernst: Mit der Realität hat das, was die ermittelnden Beamten in diesem Fall zusammengetragen haben, rein gar nichts zu tun. Da werden auf hanebüchene Art und Weise Szenen und Personen miteinander vermengt - mit dem Ziel, Stimmung zu erzeugen. Was offenbar auch gelungen ist, wie der markige Wortlaut des Strafbefehls zeigt. Allerdings: Wer das Video betrachtet, bemerkt schnell, dass der Vorwurf des Landfriedensbruchs nicht greift. Mag der Fehler noch der Übereifrigkeit oder Dienstbeflissenheit der Beamten zuzuschreiben sein, richtig peinlich ist der Fall für die Staatsanwaltschaft Ulm. Aufgrund dieser Beweislage einen Strafbefehl auszustellen, wirft kein gutes Licht auf die "objektivste Behörde der Welt", wie sich Staatsanwaltschaften gerne nennen. Vielleicht hat der zuständige Staatsanwalt das Video nicht oder nicht genügend geprüft? Vielleicht war er nur blauäugig und hat den Ermittlungen der Beamten vertraut? Vielleicht hat das Vorgehen auch System? Was wir nicht hoffen wollen. Denn auf diese Weise werden junge Menschen kriminalisiert. RUDI KÜBLER |