Ein Jahr Legida – Versuch einer Bilanz

Erstveröffentlicht: 
12.01.2016

Von Jan Emendörfer Fast auf den Tag genau vor einem Jahr marschierte Legida erstmals in Leipzig auf. Der hiesige Ableger der Dresdner Bewegung „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida), hatte damals auf einem Platz zwischen bürgerlichem Waldstraßenviertel und Red-Bull-Arena mobil gemacht und seine Sprecher gegen die „Knechtschaft durch den Staat“ wettern lassen. Angela Merkel wurde mit Erich Honecker verglichen und ein Gastredner aus Holland erklärte, dass Ausländern alles in den Hintern geblasen werde, während es Deutsche gäbe, die sich nicht mal mehr jeden Tag eine warme Mahlzeit leisten könnten.

 

Zu dieser Zeit war von Flüchtlings-strömen überhaupt noch keine Rede. Dennoch erreichte Legida damals an den frostkalten Januar-Montagen mit 4500 bis 5000 Demo-Teilnehmern schon den Höhepunkt der Bewegung. Heute leben 70 000 Flüchtlinge mehr in Sachsen als noch vor einem Jahr, 5800 mehr in Leipzig. Und doch hat die Legida-Bewegung kontinuierlich abgenommen, sich zuletzt bei 500 bis 1000 Demonstranten pro Montag eingepegelt. Auch gestern Abend blieb der von Legida erhoffte Großauftritt zum 1. Jahrestag aus, was jedoch nicht unbedingt Rückschlüsse auf eine geringer gewordene Zahl von Sympathisanten zulässt. Was also bleibt nach einem Jahr Legida?

 

Erstens: Der politische Umgangston ist wesentlich rauer und primitiver geworden. Die Auseinandersetzung wird immer mehr von Gewaltexzessen begleitet, so dass „normale Menschen“ zunehmend Angst haben, sich an Demonstrationen – gleich für welches Lager – zu beteiligen.

 

Zweitens: Die Demokratie ist nicht auseinandergebrochen, aber die Gesellschaft ist gespalten über den Umgang mit Pegida/Legida und den Umgang mit der Flüchtlingsproblematik. Der Riss geht zuweilen sogar quer durch Familien.

 

Drittens: Auch wenn es von Pegida und Legida seit fast einem Jahr kaum neue politische Forderungen gibt, versteht es die Bewegung, vor allem wohl aus Selbsterhaltungstrieb, das Schwungrad der allgemeinen Empörung am Laufen zu halten. Da hilft Bürgerkriegsrhetorik wie „Es geht bald los ...“, „Euch Drecksäcke kriegen wir alle ...“

 

Viertens: Es wird weitergehen, denn die Demonstrationen sind der Kitt, der die Bewegung zusammenhält. Wenn sich Pegida/Legida nicht zur Bodentruppe der rechtskonservativen Alternative für Deutschland (AfD) oder gar zu einer eigenen Partei entwickelt, dann müssen sie weiter marschieren, um nicht in die politische Bedeutungslosigkeit zu fallen.

 

Fünftens: In dem einen Jahr ist klar geworden, dass Legida keineswegs „Das Volk“ ist, und dass Tausende inzwischen die Nase voll davon haben, dass sich jeden Montag die Leipziger Innenstadt quasi im Ausnahmezustand befindet. Es muss doch möglich sein, der Bewegung woanders Raum zu verschaffen – beispielsweise am Platz vor dem Völkerschlachtdenkmal.