Wohlleben doziert im NSU-Prozess über deutsche Geschichte

Erstveröffentlicht: 
13.01.2016

Die Deutschen würden ihre Geschichte zu einseitig aufarbeiten, erklärt der Angeklagte. Über mögliche andere Helfer der Terrororganisation hat er dagegen wenig zu sagen.

 

Sein Haar ist streng gescheitelt, aber wenn Ralf Wohlleben spricht, wirkt er nicht unbedingt wie ein rechter Demagoge. Er redet ruhig, antwortet souverän auf die Fragen des Richters.

Dann allerdings kommt der Moment im NSU-Prozess, an dem der Angeklagte Wohlleben seine politischen Ziele erklären soll - und die Maske fällt. Er sagt: Das "Volk" müsse im Vordergrund stehen und vor dem Verfall geschützt werden. Und er bekenne sich "zu jedem Teil der Geschichte". Was das bedeutet? "Dass ich mich nicht von einem Geschichtsteil abwende und meine, das muss jetzt verteufelt werden." Die deutsche Geschichte dürfe nicht auf "zwölf Jahre" - die Zeit des Nationalsozialismus - reduziert werden. Man dürfe nicht die Hunderte und Tausende Jahre davor vergessen.

 

Die Deutschen würden ihre Geschichte zu einseitig aufarbeiten, so Wohlleben


Richter Manfred Götzl hakt nach: Wie Wohlleben denn nun zu den zwölf Jahren stehe? Die Aufarbeitung dazu, antwortet er, verlaufe zu einseitig. Man dürfe nicht nur die Kriegsschuld der Deutschen sehen, sondern auch, "welche Schuld der Amerikaner, der Engländer, der Pole und der Franzose trägt". Der Rechtsextremist und mutmaßliche NSU-Helfer Wohlleben sagt solche Sätze in einem Ton, als würde er über einen Familienausflug plaudern.

 

Vor Weihnachten folgte der 40-Jährige der Hauptangeklagten Beate Zschäpe und brach sein Schweigen. Die Anklage wirft Wohlleben vor, dem untergetauchten Trio geholfen und für den NSU die Ceska-Pistole mit Schalldämpfer organisiert zu haben, mit der die Terroristen neun Menschen ermordeten.

 

Der frühere NPD-Funktionär, der 2010 aus der Partei austrat, bestreitet nicht, seine drei Freunde in der Anfangszeit nach deren Flucht unterstützt zu haben. Seine Rolle sei aber keineswegs die einer steuernden Zentralfigur gewesen, wie die Bundesanwälte es darstellten.

Auch bei der Beschaffung der Waffe habe er keine entscheidende Hilfe geleistet. Uwe Böhnhardt habe ihn beauftragen wollen, eine scharfe Waffe zu besorgen. Er habe geantwortet, er kenne sich damit nicht aus, berichtet Wohlleben am Mittwoch. Er habe Böhnhardt hingehalten und nichts unternommen. Der Mitangeklagte Carsten S. hatte es anders dargestellt: Demnach soll sich Wohlleben sehr wohl darum gekümmert haben, eine Pistole zu beschaffen.

 

Was Wohlleben zugibt: Dass Casten S. schließlich mit einer Pistole zu ihm kam. Angeblich war Wohlleben überrascht, dass sogar ein Schalldämpfer dabei war. Er habe sich damals jedoch keine weiteren Gedanken gemacht. Nachdem S. die Waffe den Untergetauchten überbracht habe, hätten diese sich beschwert, dass die Pistole "Schrott" sei und man damit nichts anfangen könne. Es ist der nicht ungeschickte Versuch des Angeklagten, Zweifel zu streuen, ob es sich überhaupt um die Mordwaffe handelte.

 

Wohlleben sagt, er sei anfällig für Glücksspiele gewesen


Anders als Zschäpe spricht Wohlleben selbst. Über Stunden hinweg wird er vom Richter befragt. Immer wieder beruft sich Wohlleben darauf, dass er sich nicht mehr an alles erinnern könne. Andere haben ihn als Führungsfigur der rechten Szene beschrieben, er selbst stellt sich nur als "einfaches Mitglied" dar, das angeblich nicht mehr weiß, was auf den Flugblättern stand.

 

Ausführlich geht er dagegen auf seine Anfälligkeit für Glücksspiele ein. Er sei noch nicht 18 gewesen, da habe er in einer Gaststätte mit dem Namen "Balkan" sein Geld in Automaten geworfen. Später habe er gemeinsam mit Holger G., einem weiteren mutmaßlichen NSU-Helfer, viel Geld verspielt. Es habe krankhafte Züge gehabt.

So offen sich der Angeklagte gibt, als er über die Spielsucht spricht, die er irgendwann überwunden habe, so wenig Neues ist von ihm über das Helfernetz des NSU zu erfahren: Ein ihm unbekannter Mann habe ihn abgeholt, als er das Trio in Chemnitz besuchte. Wer der Typ mit Glatze war? Das wisse er nicht. Worüber während des Treffens gesprochen wurde? Hat er vergessen.

 

Auch über Zschäpe berichtet Wohlleben wenig. Er stützt - entgegen der Darstellung eines Belastungszeugen - Zschäpes Version, sie sei nicht dabei gewesen, als ihre Freunde einen Puppentorso mit einem Judenstern von einer Autobahnbrücke baumeln ließen. Über Zschäpes Persönlichkeit sagt Wohlleben, sie habe sich zu wehren gewusst. "Man konnte nicht hingehen und sagen: Du bist 'ne blöde Kuh. Sie hätte auf jeden Fall eine Antwort darauf gehabt."