„Die schützende Hand“ – Das Krimi-Buch zum NSU-Prozess

Erstveröffentlicht: 
30.12.2015

Deutschlands wohl politischster Krimi-Autor Wolfgang Schorlau rollt den Tod der Attentäter Mundlos und Böhnhardt neu auf. In seinem Buch „Die schützende Hand“ ermittelt der bereits aus anderen Büchern bekannte Privatdetektiv Georg Dengler, diesmal im Auftrag eines geheimnisvollen Unbekannten.

 

Eisenach die beiden NSU-Attentäter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Offiziell war es Selbstmord. Doch stimmt das wirklich? Oder war es nicht vielmehr Mord? Ein geheimnisvoller Unbekannter erteilt Georg Dengler den Auftrag, der Sache auf den Grund zu gehen. Der stets klamme Stuttgarter Privatdetektiv nimmt die lukrative Offerte zunächst ohne große Begeisterung an. Aber dann bringt das Aktenstudium immer mehr Ungereimtheiten, Widersprüche und sogar Vertuschungen ans Licht. Dengler scheint einem ungeheuerlichen Skandal von Sicherheitsbehörden und Verfassungsschutz auf der Spur.

 

Wolfgang Schorlau ist der wahrscheinlich politischste Krimi-Autor Deutschlands. Seinen Privatdetektiv Dengler ließ er bereits in Fällen ermitteln, die die Republik bewegten. So schickte er ihn unter anderem auf die Spur des Attentats an dem Treuhand-Chef Detlev Rohwedder oder er ließ ihn den Oktoberfestanschlag neu aufrollen. In beiden Fällen verwob Schorlau Fakten und Fiktion eng miteinander. Dieses Prinzip hat er in dem neuen Roman „Die schützende Hand“ noch perfektioniert. Angesichts des zurzeit in München laufenden Prozesses gegen Beate Zschäpe – der einzig Überlebenden des NSU-Mörder-Trios – bekommt Schorlaus Buch eine ganz besondere Brisanz.

 

Seitenweise zitiert Schorlau aus Polizeiprotokollen und Zeitungsartikeln, was seinem Roman ein hohes Maß an Authentizität verleiht, teilweise aber auch ermüdend wirkt. Im Zentrum steht der Tathergang von Eisenach. Beunruhigend viele Fragen bleiben offen: Ist der zeitliche Ablauf wirklich schlüssig nachgewiesen, sind die Indizien überzeugend, die Motive für den angeblichen Selbstmord einleuchtend oder wirkt das Ganze nicht doch eher inszeniert? Tatsächlich – und das ist das eigentlich Erschreckende – kann der Leser dem Autor folgen, der hier nicht nur Behörden-Schlamperei vermutet, sondern der dem Thüringer Verfassungsschutz sogar bewusste Irreführung und Vertuschung nahelegt. Auch der Fall Michèle Kiesewetter ist reich an dubiosen Umständen. Die Heilbronner Polizistin wurde 2007 ermordet, erst vier Jahre später konnte die Tat Mundlos und Bönhardt zugeordnet werden. Doch sind die Motive bis heute nicht ganz klar. Zudem: War es Zufall, dass Kiesewetter aus der gleichen Ecke stammte wie die Attentäter? Dass ihr Chef dem rechtsradikalen Ku-Klux-Klan angehörte, dass sich ein Mann des amerikanischen Sicherheitsdienstes in der Nähe des Tatortes aufhielt? Fragen über Fragen.

 

Schorlau hat seinem Stuttgarter Meisterdetektiv den gewieften Marius Brauer vom Erfurter LKA an die Seite gestellt. Zusammen nehmen die beiden Männer den Kampf gegen Harry Nopper auf, mit dem Dengler auch noch eine persönliche Rechnung zu begleichen hat. Der Vizechef des Thüringer Verfassungsschutzes ist der eigentliche Kopf des schwarzen Netzes aus Neonazis und V-Männern, das das Land mit seinen Machenschaften überzieht. Nicht immer sind die Methoden von Dengler und seinem Freund lupenrein, doch sie bringen Spannung und Action in eine Geschichte, die sonst doch allzu aktenlastig wäre.

 

Ob es sich im Fall NSU tatsächlich um ein „Staatsverbrechen“ handelt, wie Schorlau im Nachwort seines Romans meint, sei dahingestellt. Es bleibt spekulativ, ob die Mordserie wirklich vom Verfassungsschutz gesteuert wurde und welches Ziel er damit verfolgt haben könnte. Doch Schorlaus Roman ist immerhin so überzeugend und aufwühlend, dass man ihn mit einem mehr als mulmigen Gefühl liest. l Wolfgang Schorlau: Die schützende Hand. Denglers achter Fall, Kiepenheuer & Witsch, Köln, 382 Seiten, 14.99 Euro