Ein kritischer Polizist über die Polizei, Innere Sicherheit und den Rest

Erstveröffentlicht: 
31.01.2010

Ein kritischer Polizist über die Polizei, Innere Sicherheit und den Rest

 

Thomas Wüppesahl, Bundessprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizistinnen und Polizisten (Hamburger Signal) e.V., hat mit Annika Kremer und Lars Sobiraj für Gulli ein langes Gespräch geführt. Es sind drei Teile geworten:Überwachung, ELENA & Schwarz-Gelb / Willkür und Polizeigewalt /Beweisunterdrückung und Vertuschung

 

Ich werde häufig gefragt, warum Staatsanwaltschaften und Polizei dies oder jenes tun, und obwohl ich mir darüber auch schon ein paar Gedanken gemacht habe, weiß ich es natürlich überhaupt nicht. Es ist ausgesprochen schwierig, InterviewpartnerInnen in den Behörden zu finden: das weiß ich von vielen, die es versucht haben, auch etwa völlig repektable Filmemacher wie z.B. Hans Weingartner. Polizeiforschung ist auch kein besonders beliebter Forschungszweig. 

 

Wer gern mehr über die Polizei wissen will, sollte das Interview, oder vor allem die Teile zwei und drei lesen. Ich zitiere hier mal eine Runde.

Aus Teil 2:

Sie sehen also, diese Mauer des Schweigens in der Polizei wird die ganzen Hühnerleiter hoch (= Hierarchien), bis hinein in die Ministerialbürokratien, einschließlich deren Spitzen, also Minister und Staatssekretäre, Staatskanzleien und Ministerpräsidenten, sowie großen Teilen der Parlamentarier gedeckt und sogar gewollt. Denn selbst viele oppositionelle Abgeordnete wissen darum und schweigen nicht aus Naivität oder mangelnden Einschätzungskompetenzen, sondern deshalb, weil sie im Falle der Regierungsübernahme genauso "komfortabel" ihre Polizei als unmittelbarstes Instrument des staatlichen Gewaltmonopols einsetzen können möchten, um dann ihre politischen Ziele bzw. jene der ihnen nahestehenden Kräften ggf. mit Gewalt durchsetzen zu können.

Für einen demokratischen Rechtsstaat ist es nachgerade absurd, dass Polizeibeamte über die uniformierte Ausstattung  - die sollte ja gerade im Auftreten vereinheitlichen, Neutralität signalisieren, und nicht Verantwortlichkeiten atomisieren - seiner Polizeibeamten die individuelle Verantwortlichkeit auf nahezu Null schraubt, bei geschlossenen Einheiten Ku-Klux-Klan-Effekte eintreten und dies bundesweit vielfachst durch RichterInnen, StaatsanwältInnen sowie parlamentarische Initiativen belegt ist. 

Mit Verlaub, ich arbeitete in einer Mordkommission: Die Grenze zum versuchten Mord könnte eher überschritten sein, wenn für den Nahkampf geschulte Beamte mit aller Gewalt einen Schlagstock ins Gesicht oder auf den Hinterkopf schlagen, übermotivierte Uniformträger Menschen bei willkürlichen Festnahmen mit aller Wucht den Kopf auf den Asphalt schlagen.

Das mag sich für die eine und den anderen wieder zu radikal anhören, aber erinnern wir uns: Am 9. Mai 2007 durchsuchten etwa 900 Polizeibeamte auf Grund von richterlichen Beschlüssen im Auftrag der Generalbundesanwältin Monika Harms 42 (!) Objekte in den sechs Bundesländern Berlin, Brandenburg, Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen. ...

Was wird erst los sein, wenn es in diesem Land zu tatsächlichen Anschlägen kommt, wenn die Halluzinationen, Albträumereien und Informationsdürste bestimmter Ermittler bereits bei einer ganz normalen polizeilichen Großlage aus dem Anlass des Besuches mehrerer Regierungschefs - mehr lag nicht vor - solche massiven Rechtsverstöße bewirken.

Unsere Position als Kritischer PolizeibeamtInnen besteht seit den 1980er Jahren. Der auch hier missbräuchlich als Ausforschungsparagraph benutzte § 129a ff StGB gehört abgeschafft.

Neben der Polizei geht es auch noch um andere Themen. Aus Teil 1 des Interviews:

Einen Monat nach Unterzeichnung des aktuellen Koalitionsvertrages, in dem die Koalitionäre versprachen, sich mit klaren Lösch- und Weitergaberegelungen, einen effektiven Rechtsschutz, strikter Zweckbindung, Begrenzung des Datenumfangs u.a.m., für einen stärkeren Datenschutz beim transatlantischen Austausch von Finanzdaten (SWIFT-Abkommen) einzusetzen, hat die FDP ihr Versprechen bereits gebrochen. Sie hat gepatzt, weil der Bundesinnenminister auf dem Ratstreffen am 30. November 2009 den Vertrag keinen vollen Tag bevor das europäische Parlament Nachbesserungen hätte durchsetzen können auf den Weg gehen ließ.

Wenn man sich bloß ansieht, wie viel Hunderte (!) mehr Personalstellen dem Bundeskriminalamt (BeKaaAaah) in den letzten 25 Jahren bewilligt wurden und wie schwach der BfD gehalten wird, dann muss schon naiv sein, wer an Zufall glaubt. Man kann Rechtskontrolle auch dadurch ausschalten oder zumindestens erheblich schwächen, indem man die Kontrollinstanzen in ihrer Wirksamkeit gering hält, sie mit schwachen Ressourcen ausstattet, um sich dann ganz doll und plötzlich zu wundern, wenn ein Datenskandal nach dem anderen bekannt wird.

Grundrechte sind Abwehrrechte des Bürgers gegenüber seinem Staat. Und das hat gute, sogar sehr gute, historische und materielle Gründe! Deswegen wäre eine effiziente Kontrolle unserer Polizeien so erforderlich. Diese Eingriffsverwaltung Nummer Eins, "Ihre Polizei", die dann wenn es hart auf hart kommt, dafür sorgt, das der Gesetzesvollzug umgesetzt wird. Denken Sie bitte an die Hartz IV-Proteste vor Sozialverwaltungen. Wer sperrte ab? Wer sicherte die Umsetzung der von Rot-Grün geschaffenen Armutsbürokratie durch die dienstleistenden Verwaltung ab? Richtig: "Ihre" Polizei.

.. mit einem solchen Projekt wie ELENA, wird vielmehr bei den Finanzämtern, den Polizeien, den Krankenkassen, anderen privaten Stellen (Banken, Versicherungen, Schufa usw.) eine eminent hohe Motivation bestehen, sie verwenden zu können. Und zumindestens bei den klassischen polizeilichen Büchsenöffnern gegenüber Bürgerrechten, also in den Fällen von Organisierter Kriminalität, Sexualdelikten, Rauschgift, Staatsschutzdelikten, Terrorismus sowieso ist doch jetzt schon absehbar, was von der heute noch versicherten Zweckbindungsklausel - mithin der Datensicherheit - dieser Mega-Zentral-Datei übrig bleiben wird.

ELENA ist die größte Volksbespitzelung seit der DDR. Sicher auch ein Fortschritt aus der Sicht ehemaliger DDR-Kader, die aktiv in der Politik bis in höchste Staatsämter gelangt sind. Dazu zählt eine Bundeskanzlerin, die in einem DDR-privilegierten Elternhaus aufwuchs, ehemalige Mitgliedschaften in der Pionierorganisation Ernst Thälmann, der Freien Deutschen Jugend aufweist, an der lediglich zuverlässigem Elite-Nachwuchs zugänglich gewesenen "Akademie der Wissenschaften der DDR" studieren und diplomieren konnte.

Das "Lustigste" daran ist aber die Analogie – und da sind wir ein Stück näher an bundesdeutscher Polizeispezifika -, dass wie in der DDR Systemkritiker, aber auch schon unbequeme Whistleblower, wie wir Kritischen, munter pathologisiert oder kriminalisiert (oder beides) werden. 

Es ist auch allen Fachkundigen bekannt, dass vor wenigen Monaten Saudi-Arabiens stellvertretender Innenminister Mohammed Bin Naif am 27. August 2009 in seinem Büro eine Sprengstoffexplosion überlebte, weil ein angeblich sich stellender, gesuchter Terrorist den auch für die neue Generation der Körperscanner nicht sichtbaren Sprengstoff im Magen-Darm-Trakt inkorporiert hatte.

Sie können die "Sicherheits"maßnahmen bis zum Anschlag durchführen. Es ist nicht möglich, professionellen Terror auf Null zu stellen. Entscheidend bleibt - fachlich betrachtet - die Denkfähigkeit der BeamtInnen, also genau das woran hart gearbeitet wird, es abzubauen, und - natürlich - die Politik. Aber weit bevor sie die "Sicherheits"maßnahmen bis zum Anschlag gedreht haben, ist ein freiheitlich republikanisches Gemeinwesen abgeschafft. Und genau auf diesen Weg befinden wir uns.

Das es auch anders geht, zeigt der Abgleich mit zum Beispiel den professionell auf die Fluggäste abgestellten Sicherheitschecks am Flughafen Ben Gurion, wo niemand sein Wässerchen abgeben muss oder in Socken herumsteht bzw. manchmal herumlaufen muss. Alleine die Israelis weisen unser Procedere - also das US-amerikanischer Machart - als das aus, was es ist: Ein Dressurakt eines Obrigkeitsstaates an seinen Untertanen.

Selbst wenn er mit den neuen Geräten gescannt worden wäre, hätte der in Somalien trainierte Nigerianer Umar Faruk Abdulmutallab seine 100 Gramm Pentaerythrityl Tetranitrat (= Nitropenta, oder: PETN) von den neuen Körperscannern unbehelligt mit an Bord transportieren können. Die Terahertz-Technik dieser Scanner nutzt bei den Spezialsprengstoffen nichts. Da kann doch niemand intellektuell seriös dran vorbei denken!

Aus Teil 3:

Zu meiner Ausbildungszeit hallte die APO der 68er Ära gerade nach: Die Ausbildungen wurden stark verändert, ziviler gestaltet, mit Mathematik, Deutsch, Englisch, Bürokunde u.v.a.m., um die tradierte Polizei der Nachkriegszeit der 1950er und 1960er Jahre mit dem Personal aus der Nazizeit und ihrer Prägung wegzubekommen. - Heute ist vieles von diesen Inhalten gestrafft oder sogar gänzlich gestrichen. Man brauche wieder richtige Polizisten, wie es ein Politiker formulierte.

Vollkommen zu recht beklagen die Berufsverbände von StaatsanwältInnen und RichterInnen seit rund 15 Jahren eine zunehmende Belastung durch Ressourcenabbau in den öffentlichen Haushalten für (besser: gegen) die Justiz. Also weniger Personal, schlechtere Sachausstattung etc.

Gerade der Zoll wird vollkommen unterschätzt. Er agiert an den Grenzen wie auch im Inland mit dem vollen Programm hoheitlicher Eingriffsbefugnisse und längst auch bei internationalen Polizeikooperationen oder bei gemeinsamen Fahndungsgruppen, in der Regel den Drogenbekämpfungsabteilungen, Geldwäsche mit seinen Steuerfahndern in Landeskriminalämtern. Und das BKA ist mithilfe der SPD in der gerade hinter uns liegenden großen Koalition nunmehr ein FBI deutscher Prägung geworden.

Dann erleben Sie vor solchen Gerichten, wie jetzt bei der Kleinen Strafkammer 1 des Landgericht Hamburg peinsamste Zeugenauftritte von KollegInnen: "Hab´ ich nicht gemacht." - Warum nicht? "Hab´ nicht dran gedacht." - Machen Sie das immer so? "Nein, sonst mach´ ich das immer regelgerecht!" - So primitiv, so intellektuell zumutend, so unmenschlich.

Und manches Mal ist es geradezu kurios, wie mehrere PolizeibeamtInnen behaupten, dass z.B. eine klein gewachsene zierliche Frau, die noch nie in Erscheinung getreten ist, die wüstesten Dinge gegen diese heldenhaft sich dagegen erwehrenden und körperlich kräftig gebauten PolizeibeamtInnen gemacht haben soll.

Und am besten ist, jeder hat von jedem eine Leiche im Keller - ob aus dem Einsatzgeschäft oder aus anderen rechtlichen Zusammenhängen. Hier liegt noch eine Analogie zur Organisierten Kriminalität (Stichwort: Omerta) vor, die ja auch deshalb so schwer aufzubrechen ist, weil die wechselseitigen Abhängigkeiten aufgrund von schwersten Straftaten gegeben ist.

Gerade bei der vor wenigen Wochen stattgefundenen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht zur Vorratsdatenspeicherung forderte der Bundesvorsitzende der GdP, Konrad Freiberg, neuerlich, dass die Polizeien auch dieses Vorfeld- und Nachrichtendienstliche Instrument erhalten sollen.

Während die Funktionäre der drei großen Berufsverbände kaum zu halten sind, wenn Polizeibeamte verletzt wurden oder ein neues Eingriffsgesetz geschaffen werden soll, sie geradezu nach jedem Mikrofon und Kamera fahnden und hechten, gehen sie auf Tauchstation, wenn mal wieder eine Kollegin oder ein Kollege offensichtlich rechtswidrig arbeitete.

Aber wenn PolizeibeamtInnen Bürger umlegen, dann sind diese in der Regel erst einmal tagelang vernehmungsunfähig. Das geht so weit, dass selbst PolizeibeamtInnen, die als ZeugInnen solcher Tötungsdelikte vorhanden sind, wegen Schockzustandes für vernehmungsunfähig erklärt werden. Aber erleben Sie mal live wie engagiert Vernehmungsbeamte bei frischen Taten durch Normalos auf Verdächtigte, Zeugen und Beschuldigte einwirken, dass die den Schnabel aufmachen.

Es gibt folgenden belegten Fall aus New York: Ein Bewerber zur New Yorker Polizei wies 131 Punkte beim Intelligenzquotienten auf. Super? Nein, die Einstellungsverantwortlichkeiten rieten ihm, sich eine andere Tätigkeit zu suchen, da ihn bei der Polizei keine Berufszufriedenheit erwarten dürfte! Dieses Beispiel illustriert unseres Erachtens mehr als 50 Seiten soziologische Exegese über das Für und Wider, ob die Polizei "doof" ist, ob sie "doof" gehalten wird oder ihre Intelligenzpotentiale geschickt versteckt.