Zwei Hände drücken Gitterstäbe auseinander, als wollten sie sich aus ihrer Gefängniszelle befreien. Links und rechts schwebt eine Siegrune: das Zeichen der SS - der Schutzstaffel, bekannt als "Leib- und Prügelgarde" in der Hitler-Diktatur (1933-1945). Schwarze Tinte auf einem rasierten Hinterkopf - in einer Bäckerei in der Neckarstadt. Wir, die Verfasser dieses Artikels, können nicht glauben, was wir da sehen. Aus Sicherheitsgründen wollen wir anonym bleiben. Wir sitzen beim Frühstück, als der tätowierte Mann den Laden betritt. Was ist in solch einer Situation zu tun?
Erst vergangene Woche erregte ein ähnlicher Fall aus Berlin bundesweit Aufsehen: Ein Mann hat auf seinem Rücken die Silhouette eines Konzentrationslagers und "Jedem das Seine" tätowiert - ein Satz, der so auch auf dem Haupttor des KZ Buchenwald stand. Bei seinem Besuch im Schwimmbad war das offen zu sehen. Ein Badegast beschwerte sich bei den Bademeistern, doch er blieb der Einzige, der an der rechtsradikalen Tätowierung Anstoß nahm. Erst auf mehrfache Nachfrage wurde der tätowierte Mann aus dem Bad verwiesen. Die Polizei Oranienburg sah zunächst keinen Handlungsbedarf. Eine Fehleinschätzung, inzwischen wurden Ermittlungen gegen den Mann eingeleitet.
"Was sollen wir denn tun?"
Eine ähnliche Erfahrung haben wir gemacht. Wir meldeten den Mann bei der Polizei. "Was sollen wir denn tun? Soll ich es ihm aus dem Kopf schneiden?" entgegnete uns der Polizist am Telefon. Das hat uns schockiert und ehrlich gesagt auch kurz hinterfragen lassen, ob unsere Reaktion angemessen war. Auf unseren mehrfachen Hinweis, dass diese Tätowierung verfassungswidrig ist, schickte der Polizist eine Streife. Diese war nach wenigen Minuten da und nahm den Mann mit. Die Polizei Mannheim äußerte sich gestern auf Anfrage nicht.
Das offene Zeigen und Tragen von verfassungswidrigen Symbolen ist verboten und wird als Propaganda-Delikt bezeichnet. Wer etwa in seiner Wohnung ein verfassungswidriges Lied hört, begeht keine Straftat. Ist es aber auch vom Nachbarn zu hören, ist die Öffentlichkeit hergestellt und das Hören des Liedes strafbar. Ähnlich ist es mit Tattoos: Sie müssen in der Öffentlichkeit verdeckt werden. "Verstöße dagegen werden mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe geahndet", sagt eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Mannheim.
Bei der großen Menge an verfassungswidrigen Symbolen sei es unmöglich, Polizisten in der Ausbildung mit all diesen bekannt zu machen, sagt ein Sprecher des Landeskriminalamts in Stuttgart. "Speziell geschult werden die Polizisten, die im Bereich Staatsschutz eingesetzt werden. Alle anderen haben ein reichhaltiges Nachschlagewerk", so der Sprecher.
603 Propaganda-Delikte gab es laut Landeskriminalamt im vergangenen Jahr in Baden-Württemberg. Doch viele trauen sich nicht, entsprechende Fälle anzuzeigen. "Dass solche Tattoos in Teilen der Gesellschaft kommentarlos hingenommen werden, ist nicht bestreitbar", sagt Professor Kurt Möller, Rechtsextremismusforscher an der Hochschule Esslingen. Sein Kollege Matthias Kohring, Professor für Kommunikationswissenschaften an der Uni Mannheim, erklärt sich das so: "Gesetzt den Fall, ich erkenne so ein Tattoo, dann kann ich mit relativ großer Sicherheit davon ausgehen, es mit einer gewaltbereiten Person zu tun zu haben. Diese Person damit zu konfrontieren, ist also riskant, sie festzuhalten, noch riskanter."
Also nichts tun? "Schlicht zur Tagesordnung überzugehen, wenn jemand solche Tattoos öffentlich zeigt, ist sicherlich nicht die angebrachte Reaktion", sagt Möller. "Denn gar nichts zu tun, führt zur Normalisierung, nicht nur solcher Zeichen-Symbolik, sondern auch der politischen Haltungen, die dahinter stehen." Beide raten, sich an die Polizei zu wenden.
"Wenn sich Menschen so sicher fühlen, dass sie ganz offen zeigen, dass sie Nazis sind, ist das ein erschreckendes Zeichen für unsere Gesellschaft", sagt der Mannheimer Matthias Kohler vom Bündnis gegen Rechts. "Da zu schweigen ist der falsche Weg", sagt er. "Es ist beängstigend, wenn die Leute sowas wahrnehmen und nicht reagieren."