Dichtung oder Wahrheit

Erstveröffentlicht: 
10.12.2015
Ahnungslos, schuldlos, harmlos: Bei ihrer Aussage im NSU-Prozess schiebt die angeklagte Beate Zschäpe alle Schuld zwei Toten zu
Von Patrick Guyton

 

München. Am Morgen steht eine lange Warteschlange vor dem Eingang des Münchner Justizzentrums. Die Menschen wollen hören, was die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe zu sagen hat. Angehörige der zehn Opfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ quetschen sich durch. Gamze Kubasik etwa, die Tochter des 2006 in Dortmund ermordeten Kioskbetreibers Mehmet Kubasik. Wie immer sagt sie: „Ich möchte wissen, warum mein Vater sterben musste.“

 

Die Antwort aber, die sie und die anderen in der eineinhalbstündigen Verlesung erhalten, ist bescheiden. Im Kern lässt die 40-jährige Beate Zschäpe ihren Anwalt ausrichten: Die zehn Morde – an Einwanderern, die kleine Läden betrieben hatten, sowie an der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn – sind alle von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt begangen worden. Sie selbst aber, die 14 Jahre lang mit den beiden im Untergrund lebte, war nie daran beteiligt. Sie hat immer erst später davon erfahren und war dann regelrecht „entsetzt“ , „geschockt“ von den „unfassbaren Taten“. Sagt Beate Zschäpe.

 

Die Angeklagte, die nach zweieinhalb Jahren Prozess jetzt zumindest indirekt ihr Schweigen bricht, will an diesem Tag eine andere sein als sonst. Sie lächelt viel, wendet ihr Gesicht den Kameras zu, statt es wie sonst zu verstecken, plaudert mit ihren Anwälten. Sie lässt einen ihrer beiden neuen Verteidiger, Mathias Grasel, für sich sprechen. Grasel liest mit fester Stimme vor, 53 Seiten, in Ich-Form. Eine Mischung aus Unglauben und Schauder geht durch die Zuhörerreihen. Beate Zschäpe versucht sich an der Reinwaschung der eigenen Biografie. „Wann wird der Haftbefehl aufgehoben?“, flüstert ein Zuhörer ironisch.

 

Die beiden Männer, die angeblich allein zu den Tatorten in ganz Deutschland fuhren, können nichts mehr dazu sagen. Die NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt erschossen sich selbst, als sie am 4. November 2011 nach einem Banküberfall kurz davor waren, gefasst zu werden.

 

Beate Zschäpe aber hat nach eigenem Bekunden kaum mehr getan, als deren „letzte Wünsche“ zu erfüllen: das zynische Paulchen-Panther-Bekennervideo verschicken, die Wohnung in der Zwickauer Frühlingstraße „abfackeln“. Mehr hat sie nicht gewusst. Mehr hat sie nicht gewollt. „Ich war kein Mitglied eines Vereins mit Namen NSU.“

 

Die größte rechtsextremistische Mordserie in der Geschichte der Bundesrepublik ist für sie ein Drama von Liebe, Gefühlsverwirrungen und Langeweile.

 

„Sprachlos und fassungslos“ will Beate Zschäpe gewesen sein, als sie von den Morden an Abdurrah Özüdogru und Süleyman Tasköprü in Nürnberg und Hamburg im Juni 2001 erfuhr. Mundlos und Böhnhardt hätten ihr gegenüber Ausländerfeindlichkeit als Motiv genannt. Zschäpe fühlt sich in dem Moment in einem „emotionalen Dilemma“: „Ich war von den Taten abgestoßen, aber zu Uwe Böhnhardt hingezogen.“ Dieser war ihr Freund, zuvor war sie mit Mundlos zusammen gewesen. In der Gruppe sei es dann oft „eisig“ zugegangen, man habe sich „stundenlang angeschwiegen“. Die Zeit habe sie hauptsächlich mit Computerspielen zugebracht. Auf die beiden Uwes habe sie zwischendurch „stundenlang eingeredet, nicht mehr zu morden“. Passiert ist es allerdings immer wieder, die Terroristen waren tagelang weg. Zschäpe wusste angeblich nichts von ihrem Aufenthaltsort und ihren Vorhaben.

 

Immerhin sind Mundlos und Böhnhardt von ihrer Vertrauten nun erstmals klar als Täter für alle dem NSU zur Last gelegten Straftaten benannt worden. Bemerkenswert ist das Tatmotiv für den Polizistenmord von Heilbronn. „Es ging ihnen nur um die Pistolen der beiden Polizisten“, sagt Beate Zschäpe. Die eigenen Waffen hätten immer wieder Ladehemmungen gehabt. Zwei Morde, „um zwei gute Pistolen zu bekommen“. Als sie davon erfuhr, sei sie „hysterisch, handgreiflich geworden“.

 

Zschäpes Aussage ist maßgeschneidert auf die Anklagepunkte der Bundesanwaltschaft. Nach ihrer Version hat sie sich nie und nirgends schuldig gemacht. Nur mit den Raubüberfällen war sie einverstanden, schließlich musste man ja irgendwie an Geld kommen. Nach der Erörterung jeder einzelnen Tat fügt sie pflichtschuldigst den offensichtlich von ihren Verteidigern vorformulierten Spruch an, sie sei an dem Geschehen „weder bei der Vorbereitung noch bei der Durchführung beteiligt“ gewesen. Ein Zuhörer sagt vor sich hin: „Mein Name ist Hase.“

 

Wahrheit oder Legendenbildung? Zschäpe malt das Bild von einer etwas rechts stehenden, aber harmlosen Frau. Sie erzählt von einer zerrütteten Kindheit, einer Mutter mit Alkoholproblemen, die „den Haushalt hat schleifen lassen“. Von ersten Treffen mit Uwe Mundlos, bei denen man „gemeinsam Lieder mit nationalem Inhalt hörte“ und dazu „grölte“. Böhnhardt indes hätte eine „intensivere nationalistische Haltung“ gehabt. Mitglied der rechtsradikalen „Kameradschaft Jena“ sei sie selbst nie gewesen.

 

Passend zur Legende: Ein später enttarnter Spitzel des Verfassungsschutzes habe das rechtsextreme Treiben erst so richtig vorangebracht. Timo B. sei „Mittelpunkt aller Aktionen“ gewesen. Ohne ihn wäre nichts möglich gewesen, er „organisierte und stellte Geld zur Verfügung“. Auch dass in der von ihr angemieteten Garage Rohrbomben gebaut wurden, will Zschäpe verborgen geblieben sein. Das Auffliegen dieser Bombenwerkstatt hatte Anfang 1998 zum Untertauchen des Trios geführt.

 

Uwe und Uwe seien da für sie „wie eine Familie gewesen“. Im Untergrund habe sie immer Angst vor Verhaftung, vor dem Tod der beiden gehabt und dass sie Böhnhardt nicht mehr wiedersehe. Währenddessen „brüsteten“ sich die Terroristen etwa damit, sie hätten „vier weitere Ausländer umgelegt“. Dabei seien die beiden „zuvorkommende und tierliebe“ Menschen gewesen.

 

Bleibt am Ende eine Entschuldigung. Zu den Angehörigen sagt Beate Zschäpe, sie fühle sich „moralisch schuldig“, weil „ ich zehn Morde und zwei Bombenanschläge nicht verhindern konnte“. „Ich entschuldige mich aufrichtig bei allen Opfern und Angehörigen der Opfer der von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt begangenen Straftaten.“ Glauben tun es die wenigsten.

 

Nebenklage-Anwalt Sebastian Scharner meint: „Zschäpe als Ahnungslose, den beiden Mittätern unterlegene Frau, die von den Taten vorher nichts wusste – das glaubt ihr niemand.“ Die Aussage sei „konstruiert und ohne Belege“. Und Gamze Kubasik, die ihren Vater verloren hat, erklärt: „Diese ,Entschuldigung‘ nehme ich nicht an. Sie ist eine Frechheit.“

 

Wie viel Glaubwürdigkeit das Gericht der Angeklagten zubilligt, wird sich erst ganz am Ende dieses Mammutprozesses erweisen. Die Richter werden bald neue Fragen stellen. Die wollen Zschäpe und ihre Anwälte schriftlich beantworten. Der nächste Verhandlungstag wurde auf den kommenden Dienstag verschoben. Keiner weiß, wie mitteilungsbereit Beate Zschäpe dann sein wird.


 

 

Die Pannen der Ermittler und der Prozess des Schweigens

 

Die rechtsextreme Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) soll zehn Menschen ermordet haben. Beate Zschäpe steht seit Mai 2013 als Hauptangeklagte vor Gericht. Ein Rückblick auf das Verfahren:

 

4. November 2011: Nach einem missglückten Banküberfall werden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt tot in einem ausgebrannten Wohnmobil in Thüringen gefunden. Bei ihnen sind die Waffen zweier Polizisten, die 2007 in Heilbronn getötet beziehungsweise schwer verletzt wurden.

 

8. November: Beate Zschäpe stellt sich der Polizei in Jena.

 

11. November: Zum Polizistenmord von Heilbronn übernimmt die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe die Ermittlungen. Es gibt offenbar Verbindungen zu weiteren Morden.

 

8. November 2012: Die Bundesanwaltschaft erhebt Anklage.

 

6. Mai 2013: In München beginnt der Prozess.

 

22. August: Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages legt seinen Abschlussbericht vor. Er wirft den Sicherheitsbehörden schwere Versäumnisse bei den Ermittlungen vor.

 

21. August 2014: Ein Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtags kommt zu der Einschätzung, die Mordserie hätte verhindert werden können, wenn die Ermittlungsbehörden nicht so gravierende Fehler begangen hätten.

 

6. Juli 2015: Das Oberlandesgericht München ordnet Zschäpe auf eigenen Wunsch den Anwalt Mathias Grasel als vierten Pflichtverteidiger bei.

 

31. Juli: Zschäpe scheitert zum dritten Mal mit ihrem Ansinnen, ihre ursprünglichen Verteidiger loszuwerden.

 

11. November: Der Bundestag beschließt einen neuen NSU-Untersuchungsausschuss.

 

24. November: Ein Befangenheitsantrag des Mitangeklagten Ralf Wohlleben gegen alle Richter scheitert. Das Gericht lehnt zum zweiten Mal einen Antrag von Zschäpes drei Altverteidigern ab, von ihren Pflichtmandaten entbunden zu werden.

 

29. November: Auch Wohlleben will aussagen, kündigen seine Anwälte an.

 

9. Dezember: Zschäpe, die während des eineinhalbjährigen Prozesses beharrlich geschwiegen hat, bricht erstmals ihr Schweigen, indem sie ihren Anwalt eine Aussage verlesen lässt.

 


 

 

Nachgefragt ...
„Sehr unglaubwürdig“

Frau Mihalic, Sie waren selbst lange Polizistin. Finden Sie die Erklärung von Beate Zschäpe überzeugend?


Auf mich wirkt die Aussage sehr unglaubwürdig. Beate Zschäpe lebte so lange mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zusammen. Da kann ich mir einfach nicht vorstellen, dass sie von der Planung und Vorbereitung der Taten nichts mitbekam, dass sie von den Morden erst im Nachhinein erfuhr. Sehr unglaubwürdig.


Birgt die Aussage Erkenntnisse, die für Ihre Arbeit im neuen NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags wichtig sein könnten?


Im Anschluss an die Aussage haben wir Obleute eine Telefonkonferenz abgehalten. Wir sind uns einig, dass es keinen wesentlichen Erkenntnisgewinn für unseren Untersuchungsausschuss gibt. Zschäpe hat ja nur gesagt, was ohnehin schon bekannt war. Wir müssen wegen Zschäpe nicht unsere Agenda umwerfen.

 

Welche Frage treibt Sie im Fall NSU am meisten um?


Ungeklärt ist die Rolle der von den Sicherheitsbehörden eingesetzten V-Leute im Umfeld des NSU. Im Raum steht der Verdacht, dass erst das V-Leute-Wesen den Aufbau der NSU-Strukturen ermöglicht hat. Und auch die Parallelen zwischen den Neunzigerjahren und heute treiben mich um. Damals wie heute gab und gibt es Brandanschläge und Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte. Wir müssen sichergehen, dass aus der jetzt vernehmbaren rechten Stimmung kein zweiter NSU hervorgeht. Aus der Aufarbeitung des NSU-Komplexes müssen wir Lehren für heute ziehen.


Interview: Marina Kormbaki