Vor etwa einer Woche berichtete Die Welt über den Forderungskatalog des innenpolitischen SPD-Sprechers Burkhard Lischka zur „effektiveren Bekämpfung der Bedrohung durch islamistische Gefährder“, den wir nun hier im Volltext veröffentlichen. Denn wir sind der Meinung, dass politische Peinlichkeit nicht vor Veröffentlichung schützen darf.
Dass nach terroristischen Anschlägen und Co. der reflexartige Ruf nach mehr Überwachung ertönt, kennen wir bereits. Aber die Forderungen Lischkas übertreffen bisher von der Union geäußerte Vorschläge und haben dazu geführt, dass SPD-Parteivize Ralf Stegner zurückruderte und zu Protokoll gab, man sollte in der SPD „nicht über schärfere Gesetze reden, sondern unsere Arbeit machen.“
Lischka spricht in seinem Papier von „mindestens 420 hochgefährlichen Djihadisten“, die in Deutschland leben sollen. Eine ähnliche Zahl, 430, kolportierte der Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen gestern in einem MDR-Interview.
Weihnachtsmarktverbot für Verdächtige
Die Maßnahmen, die Liscka vorschlägt, um den „fanatischen Djihadisten“ entgegenzutreten, haben mit Rechtsstaatlichkeit nicht mehr viel zu tun, so auch der grüne Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz, der kommentierte, die SPD verabschiede sich von seriöser Innenpolitik.
Gefordert wird beispielsweise, Gefährdern und Verdächtigen „kriminielle Handlungsmöglichkeiten“ zu erschweren. Erreicht werden soll das durch Näherungsverbote für Orte wie „Weihnachtsmärkte, Fußballstadien oder andere Großveranstaltungen“. Das ist unsinnig und gefährlich zugleich, denn eine klare Regelung dafür, ab wann solch ein Verbot ausgesprochen werden sollte, ist kaum möglich – ebensowenig dafür, welche Arten von Veranstaltungen das noch betreffen könnte. Und im nächsten Schritt könnte man ja gleich den Zutritt zu Flughäfen, Bahnhöfen und vielbesuchten Orten einer Stadt verbieten. Die Kontrollen, die das erfordern würde, wären kaum durchführbar und würden in einer ständigen Kontrolle aller enden müssen.
Stadtteil-Arrest und Handyverbot
Doch Liscka geht noch weiter und redet von einer Art Stadtteil-Arrest:
Umgekehrt muss es möglich sein, Gefährder davon abzuhalten, sich bei akuten Gefährdungslagen räumlich unbegrenzt zu verändern, etwa in eine andere Stadt zu reisen. Daher sollten die Behörden in solchen Fällen Gefährder befristet zum Verbleib an bestimmten Orten, wie etwa dem Stadtteil der Wohnung, verpflichten können.
Doch es wird noch absurder. Auch die Kommunikation soll erschwert werden, wenn es nach Lischka ginge. Ein zeitlich begrenztes Nutzungsverbot, beispielsweise von Mobiltelefonen, wird vorgeschlagen. Dazu sollen auch Geldabhebungen erschwert werden. Sprich: Verdächtigen könnten die Grundlagen zur Kommunikation, zur Bewegungsfreiheit und zu jeglicher Art finanzieller Interaktion genommen werden.
„Ohne unnötigen bürokratischen Aufwand und langwierigen Vorlauf“
Um überhaupt daran zu denken, solche Maßnahmen durchzusetzen, bedarf es engmaschiger Überwachung. Auch dafür hat Lischka einen Vorschlag.
Die vor allem für die Polizeibehörden bereits bestehenden Möglichkeiten müssen hier erweitert und damit auch für den Verfassungsschutz in der Praxis handhabbar gemacht werden. Deswegen muss es beispielsweise dem Verfassungsschutz ohne unnötigen bürokratischen Aufwand und langwierigen Vorlauf möglich sein, zur Überwachung von Gefährdern im Einzelfall oder zur Beobachtung von Hotspots, wie einschlägige Treffpunkte oder etwa beim Aufeinandertreffen von Rechtsextremen mit Salafisten, Beobachtungsdrohnen einzusetzen.
Das soll den Aufwand im Hinblick auf individuelle Observation reduzieren. Wie das funktionieren soll, weiß nur Lischka allein. Genau so, wie die „normenklare Regelung im Verfassungsschutzgesetz“ umsetzbar wäre – so ganz „ohne unnötigen bürokratischen Aufwand und langwierigen Vorlauf“.
Anti-Terror-Zentrum für Europa
„Terroristen nehmen keine Rücksicht auf nationalstaatliche Grenzen in Europa“, stellt Lischka fest. Daher ist er der Meinung, auch die Sicherheitsbehörden sollten einfacher über Grenzen hinweg agieren dürfen. Ein „Anti-Terror-Zentrum auf europäischer Ebene“ soll her, denn „mit Kleinstaaterei“ lasse sich Terror nicht bekämpfen. Mit maßloser Überwachung aber auch nicht, den die löst nicht die Ursachen für Radikalisierung. Doch leider sind präventive Maßnahmen, welche die Ursachen von Radikalisierung angehen, etwa soziale Unzufriedenheit, langwierig und eignen sich nicht für politische Stimmungsmache.
Lischka schießt mit seinem Papier beispiellos über das Ziel hinaus, zieht rechts an der Unionsfraktion vorbei und begibt sich in fragwürdige Nähe zu AfD und Co. Doch er ist nicht allein, in Frankreich machten in der letzten Woche Meldungen über ein potentielles Verbot von Tor, die Überwachung von VoIP-Kommunikation und die Abschaffung freier WLANs die Runde. Die wurden mittlerweile durch den französischen Premierminister dementiert, doch die Tendenz zeichnet sich (nicht erst) seit den jüngsten Anschlägen in Paris deutlich ab: Weniger Grundrechte, weniger Freiheiten und mehr Überwachung. Nur, dass das auch in der Vergangenheit nicht gewirkt hat. Und auch in Zukunft nicht funktionieren wird.
Forderungskatalog im Volltext
Burkhard Lischka, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion:
Sieben Thesen zur effektiveren Bekämpfung der Bedrohung durch islamistische Gefährder 1. Terrorismus und Extremismus bedrohen unsere Freiheit.
Terroristische Attentäter wollen die Gesellschaft einschüchtern, ein Klima der Angst und Bedrohung schaffen. Bislang sind wir durch die gute Arbeit der Sicherheitsbehörden, die Unterstützung befreundeter Staaten, aber auch aus glücklichen Umständen heraus weitestgehend von vollendeten Anschlägen in Deutschland verschont geblieben. Allerdings dürfen wir nicht vergessen, dass wir im März 2011 den Anschlag eines Einzeltäters mit zwei Toten auf dem Frankfurter Flughafen zu beklagen hatten.
Die aktuellen schrecklichen Attentate u.a. in unserem Nachbarland Frankreich und die wegen einer konkreten Terrorgefahr erforderliche Absage des Fußballländerspiels in Hannover zeigen aber deutlich, dass Deutschland vor islamistischem Terrorismus keinesfalls sicher ist. Im Gegenteil: Auch wir sind erklärtes Angriffsziel fanatischer Djihadisten. Deshalb müssen wir alles tun, was in unserer Macht steht, um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger bestmöglich zu gewährleisten.
2. Die Täter sind den Sicherheitsbehörden oftmals bekannt.
Die Attentate der letzten Monate in Europa zeigen, dass die Attentäter für die Sicherheitsbehörden kein unbeschriebenes Blatt sind. Häufig zeigt sich, wenn es zu spät ist, dass die Täter bereits aufgefallen sind und bekannt waren, dann aber durch das Netz der Überwachung gerutscht sind. Dem begegnen wir durch eine bessere Ausstattung der Sicherheitsbehörden. Das ist aber nur ein Teil, es muss auch überlegt werden, welche Instrumente der Staat bekommt, um gegen die bereits bekannten Gefährder vorzugehen. Dem dienen die nachfolgenden Vorschläge und Überlegungen. Denn es gibt in Deutschland mindestens 420 hochgefährliche Djihadisten, von denen anzunehmen ist, dass sie jederzeit einen Anschlag begehen können.
3. Den Druck auf bekannte Djihadisten erhöhen.
Um diese Gruppe von hochgefährlichen Islamisten, gerade in unmittelbaren Gefährdungssituationen, effektiv überwachen zu können, schlage ich folgende Maßnahmen vor:
Gefährder und terroristische Bedrohungen besser überwachen.
Bei akuten Terrorlagen, nach erfolgten Anschlägen im europäischen Ausland oder ernstzunehmenden Terrorhinweisen in Deutschland müssen gewaltbereite Gefährder möglichst engmaschig überwacht werden, um die Gefahr terroristischer Anschläge zu minimieren. Dabei stoßen konventionelle Observationen mit einem erheblichen Personalaufwand an ihre Grenzen. Die vor allem für die Polizeibehörden bereits bestehenden Möglichkeiten müssen hier erweitert und damit auch für den Verfassungsschutz in der Praxis handhabbar gemacht werden. Deswegen muss es beispielsweise dem Verfassungsschutz ohne unnötigen bürokratischen Aufwand und langwierigen Vorlauf möglich sein, zur Überwachung von Gefährdern im Einzelfall oder zur Beobachtung von Hotspots, wie einschlägige Treffpunkte oder etwa beim Aufeinandertreffen von Rechtsextremen mit Salafisten, Beobachtungsdrohnen einzusetzen. Es bedarf dazu einer normenklaren Regelung im Verfassungsschutzgesetz, in dem die Anlässe und Voraussetzungen eines derartigen Einsatzes rechtsstaatlich geregelt werden.
Kriminelle Handlungsmöglichkeiten für Terrorverdächtige erschweren.
Wenn es einen konkreten Verdacht gibt, müssen die Sicherheitsbehörden präventiv tätig werden können. In einer Situation, in der es Hinweise auf eine ernsthafte Gefährdung der Bevölkerung durch einen terroristischen Anschlag gibt, muss den in der konkreten Lage relevanten Gefährdern das Agieren so schwer wie möglich gemacht werden:
Näherungsverbote für bestimmte Orte.
Deswegen muss es möglich sein, – wie analog bereits jetzt in Fällen von häuslicher Gewalt – gegenüber islamistischen Gefährdern zeitlich befristete Näherungsverbote für bestimmte Örtlichkeiten, etwa Weihnachtsmärkte, Fußballstadien oder andere Großveranstaltungen, auszusprechen.
Meldeauflagen.
Umgekehrt muss es möglich sein, Gefährder davon abzuhalten, sich bei akuten Gefährdungslagen räumlich unbegrenzt zu verändern, etwa in eine andere Stadt zu reisen. Daher sollten die Behörden in solchen Fällen Gefährder befristet zum Verbleib an bestimmten Orten, wie etwa dem Stadtteil der Wohnung, verpflichten können. Meldeauflagen, die derzeit bereits gegen gewalttätige Fußballhooligans verhängt werden können, um zu verhindern, dass sie zu bestimmten Spielen fahren können, könnten dazu auch gegen islamistische Gefährder verhängt werden, wenn eine konkrete Gefahrenlage dies erforderlich macht.
Kommunikation erschweren.
Auch terroristische Attentäter bedienen sich moderner Kommunikationsmittel bei der Planung und Durchführung terroristischer Anschläge. Wo eine konkrete Gefahr besteht und es taktisch sinnvoll und erforderlich ist, muss es möglich sein, auch die Kommunikation von Gefährdern untereinander zu erschweren, bis hin zu einer zeitlich befristeten Untersagung der Nutzung mobiler Kommunikationsmittel (z.B. Mobiltelefone).
Einschränkung von bestimmten Finanztransaktionen.
Die Vorbereitung terroristischer Anschläge bedarf in der Regel eines gewissen Mitteleinsatzes. Um rechtzeitig zu verhindern, dass Pläne in die Tat umgesetzt werden können, muss es möglich sein, Überweisungen und Bargeldabhebungen in bestimmten Fällen einzuschränken. Dabei sollte es möglich sein, Vermögensbestandteile, die mutmaßlich der Finanzierung von Terrorismus dienen, zumindest zeitweise präventiv sicherzustellen oder einzufrieren, um etwa Reisebuchungen oder den Erwerb von Waffen zu erschweren. Weiter müssen wir nach Möglichkeiten suchen, informellen Geldtransfers außerhalb der regulären Banken Herr zu werden, denn über das so genannte Hawala-System werden unkontrolliert international Milliarden bewegt, darunter versteckt auch Gelder zur Terrorismusfinanzierung. Dazu bedarf es engster internationaler Kooperation. Schließlich müssen an Grenzen und Flughäfen regelmäßig Kontrollaktionen durchgeführt werden, um illegale Bargeldtransporte über die Grenzen aufzudecken.
4. Zugang zu Großveranstaltungen besser kontrollieren.
Derzeit werden in einer Vielzahl von Fällen Zugangsberechtigungen zu Großveranstaltungen an Caterer, Ordner, ehrenamtliche Rettungskräfte u.a. erteilt, ohne dass eine irgendwie geartete Prüfung erfolgt, welchen Personen durch eine solche Berechtigung der Zugang ermöglicht wird. Zukünftig muss strenger darauf geachtet werden, wer Zugang zu Großveranstaltungen erhält, vor allem zu öffentlich nicht zugänglichen Bereichen oder ohne Durchlaufen von Sicherheitskontrollen am Eingang. Durch die Einbindung der Sicherheitsbehörden muss verhindert werden, dass Personen, die dem islamistischen Spektrum zuzurechnen sind, etwa als Wachleute bei privaten Sicherheitsfirmen, als Ordner oder Rettungskräfte zum Einsatz kommen können.
5. Private Sicherheitsfirmen durch Ausbildung ertüchtigen.
Bei Großveranstaltungen, die besonders gefährdet sind, kommen regelmäßig private Sicherheitsdienstleister zum Einsatz. Neben einer verbesserten Vorprüfung der eingesetzten Mitarbeiter dort müssen auch die Ausbildungsstandards verpflichtend erhöht werden, damit die Sicherheit von Großveranstaltungen auch künftig gewährleistet ist.
6. Koordinierte Deradikalisierung.
Wesentliche Bestandteile einer umfassenden Gegenstrategie gegenüber gewaltbereiten Islamisten müssen Prävention und Deradikalisierung sein, zum Beispiel auch in Justizvollzugsanstalten. Bestehende Deradikalisierungsprojekte müssen bundesweit besser koordiniert und verzahnt werden. Es darf weder regional noch thematisch weiße Flecken geben. Entsprechende Haushaltsmittel für eine solche Koordinierungsstelle haben wir bereits vorgesehen. Insbesondere Rückkehrer und verurteilte Islamisten sollten durch entsprechende Auflagen verpflichtet werden, an Deradikalisierungsmaßnahmen teilzunehmen.
7. Für ein gemeinsames Terrorabwehrzentrum auf europäischer Ebene.
Die furchtbaren Anschläge der letzten Monate in Brüssel, Paris und Kopenhagen haben deutlich gemacht, dass wir dringend eine engere Kooperation der Sicherheitsbehörden auf europäischer Ebene benötigen. Terroristen nehmen keine Rücksicht auf nationalstaatliche Grenzen in Europa. Alle europäischen Länder stehen im Fadenkreuz der Djihadisten Zu diesem Zweck sollte nach dem Vorbild des „Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums“ in Deutschland ein Anti-Terror-Zentrum auf europäischer Ebene errichtet werden, in dem ein ähnlich koordinierter und regelmäßiger Austausch der Sicherheitsbehörden der EU-Mitgliedsstaaten stattfindet. Hier gilt es, relevante Informationen zusammenzutragen, auszutauschen und gemeinsam zu analysieren. Dazu bedarf es auch einheitlicher europäischer Standards bei der Definition von Gefährdern. Wir brauchen einen lückenlosen Austausch über länderübergreifende Aktivitäten von Gefährdernetzwerken, gemeinsame Lagebilder und Gefährdungsanalysen. Mit Kleinstaaterei lässt sich der Terror nicht bekämpfen.