Regional statt national — Interview mit Indymedia linksunten

Erstveröffentlicht: 
31.10.2008

Seit einiger Zeit laufen die Planungen, mit einem regionalen Independent Media Centre (Indymedia) „linksunten“ online zu gehen (stattweb berichtete). Wir befragten das Kollektiv zu ihren Motivationen und Zielen.

 

STZT: Neben den deutschsprachigen Independent Media Centres (Deutschland, Schweiz, Österreich) soll am Ende des Jahres auch Indymedia linksunten online gehen. Was erhofft ihr euch durch diese Dezentralisierung?


Durch die Dezentralisierung soll die Einbindung regionaler Bewegungen erleichtert werden. Wir erhoffen uns einen besseren Austausch und weniger Missverständnisse aufgrund virtueller Kommunikation durch regelmäßige Treffen und vis-à-vis Kommunikation. Durch persönlichen Kontakt ist es für Linke leichter als MedienaktivistInnen aktiv zu werden. Dezentrale Strukturen schaffen Verlässlichkeit durch Redundanz, denn mehr Knotenpunkte erschweren Angriffe auf das Indymedia-Netz als Ganzes. Indymedia linksunten will in einem grenzüberschreitenden Bezugsrahmen agieren. Der Fokus soll auf regionalen Themen, aber auch Großereignissen wie dem NATO-Gipfel in Strasbourg und Baden-Baden liegen, zu dem international mobilisiert wird.

 

STZT: Teile von euch wurden Anfang des Jahres vom IMC Deutschland aus dem ModeratorInnen-Kollektiv ausgeschlossen. Was war damals vorgefallen?


Wir haben uns dagegen entschieden, den damaligen Konflikt mit den anderen ModeratorInnen von de.indymedia.org in der Öffentlichkeit auszubreiten.

 

STZT: Inwieweit überschneiden sich eure politischen Vorstellungen — was präferiert ihr, was lehnt ihr ab?

 

Wir sind in verschiedenen autonomen Projekten aktiv, wollen Staat und Nation abschaffen und den Kapitalismus überwinden. Indymedia linksunten versteht sich jedoch als strömungsübergreifendes Projekt: Die NutzerInnen bestimmen die Inhalte. Wir wollen durch die Moderation antiemanzipatorische Inhalte ausschließen, aber keine politische Linie durchsetzen. Außerdem verstehen wir unter dem Projekt mehr als nur die Website, denn Medienaktivismus findet in erster Linie auf der Straße statt.

 

STZT: Wie erklärt ihr euch, dass Indymedia - einer eigentlich tollen Idee zur Brechung des Monopols bürgerlicher Medien - in letzter Zeit weniger durch gut recherchierte Beiträge als durch einem Übermaß von beliebigen Nachrichten und die Diskussionspöbeleien auffällt? Wie wollt Ihr diese Ausfallerscheinungen vermeiden und eine Qualitätssteigerung erreichen?

 

Es geht uns bei Indymedia linksunten nicht um einen Qualitätssteigerung gegenüber Indymedia Deutschland. Wir wollen als Teil des globalen Indymedia-Netzwerks eine Plattform für Bewegungen linksunten aufbauen. Regelmäßige offene Treffen des linksunten-Kollektivs sind ein zentraler Bestandteil unserer Arbeit und direkte Kontakte zu AktivistInnen sind uns wichtig. Beides wird durch die regionale Verankerung ermöglicht. Wir wollen transparent moderieren und sind für Rückfragen im Chat erreichbar: https://chat.indymedia.org/?chans=linksunten.

 

Indymedia linksunten soll vor allem ein linkes Nachrichtenportal von unten sein. Wir haben jedoch bemerkt, dass es bei vielen NutzerInnen von Indymedia ein Bedürfnis nach mehr als nur "eigenen Berichten und selbst recherchierten Reportagen" gibt. Deshalb bieten wir neben dem Newswire auch Raum für Termine und ein Pressearchiv. Ähnlich wie Indymedia Deutschland wollen wir herausragende Artikel längere Zeit auf der Startseite platzieren. Sie werden im Kaleidoskop in der linken Spalte ähnlich dem Newswire in der rechten Spalte angezeigt. Es wird eine dynamische und flexible Mittelspalte mit guten Artikeln aus dem Newswire geben. Wie bei Indymedia üblich können Artikel ergänzt und kommentiert werden. Von den Kommentaren werden standardmäßig erst einmal nur die Titel angezeigt. Erfahrungsgemäß besteht bei vielen Indymedia-Artikeln Diskussionsbedarf. Zur Übersichtlichkeit wollen wir die Diskussionsstränge in einer Baumstruktur darstellen. Außerdem werden wir uns um eine zeitnahe Moderation bemühen, um Spam- und Troll-Posting zu verstecken.

 

Mit den Autonomen Medienkollektiven hat sich der Ansatz verbreitet, kontinuierlich und kollektiv linksradikale Medienarbeit zu machen. Im Südwesten gibt es in Freiburg und im Rhein-Neckar-Raum Autonome Medienkollektive, die versuchen, gut recherchierte Hintergrundberichte zu verschiedenen Themen auch optisch ansprechend zu präsentieren und damit eine Qualitätssteigerung der Berichte auf Indymedia zu erreichen. Auch aus anderen Regionen wurden Medienkollektiv-Artikel auf Indymedia veröffentlicht und wir versuchen das Konzept durch praktische Zusammenarbeit mit MedienaktivistInnen weiter zu verbreiten. Indymedia linksunten will diese Art von Gruppenarbeiten durch die Bereitstellung interner Wikis technisch unterstützen. Dadurch werden Entwürfe möglich, also Artikel, die zeitlich in mehreren Phasen auf linksunten.indymedia.org geschrieben und nach Fertigstellung veröffentlicht werden können. Weitere technische Neuerungen wie HTML-Editoren und die bessere Einbindung von Multimedia-Inhalten werden ebenfalls bei Indymedia linksunten integriert sein.

 

STZT: Ähnliche Dezentralisierungsbemühungen gab und gibt es bei den IMCs in anderen Ländern. In Nordrhein-Westfalen ist ein solcher Versuch auch schon gescheitert. Wie steht ihr zur Gefahr der Provinzialisierung?


Den Begriff "Provinzialisierung" lehnen wir als städtezentristisch und ausgehend von einem politischen Zentrum ab, Regionalisierung hingegen befürworten wir. Indymedia ist als dezentrales Netzwerk angelegt, nationale IMCs sind eher aus der Not heraus entstanden. Auch bei de.indymedia.org wird seit der Entstehung über eine Dezentralisierung diskutiert. Wir sehen die Notwendigkeit regionale Informationen zu bündeln, was aber nicht an nationalstaatlichen Grenzen orientiert sein sollte. Technisch lässt sich das mittels Syndizierung umsetzen, wie es in der Schweiz, in den USA und in Italien bereits erfolgreich praktiziert wird.

 

STZT: Wie bewertet ihr das Projekt der Stattzeitung/Stattweb und wie könnte eine Zusammenarbeit nach euren Vorstellungen aussehen?


Die Bedeutung der Stattzeitung liegt in ihrer kontinuierlichen Berichterstattung, dem regionalen Fokus und dem strömungsübergreifenden Ansatz. Informationen werden einem breiten LeserInnenkreis auch offline zur Verfügung gestellt. Das Konzept der redaktionellen Betreuung unterscheidet sich jedoch vom OpenPosting bei Indymedia.

 

Zusammenarbeit auf praktischer Ebene können wir uns über den gegenseiten Austausch von Inhalten vorstellen: automatisiert via RSS-Feed oder manuell durch Posten von Artikeln. Besonders interessant fänden wir eine Zusammenarbeit im offline-Bereich. Wir könnten beispielsweise neben jedem Artikel einen Button "Zum Druck in der Stattzeitung vorschlagen" integrieren. Im Moment suchen wir noch nach einer Möglichkeit, Spenden für Indymedia linksunten entgegenzunehmen. Vielleicht könntet ihr uns da behilflich sein.

 

Die wichtigste Zusammenarbeit jedoch wird der solidarische Umgang miteinander sein, denn allein machen sie uns ein!

 

Autoren: Friedrich, Sebastian