Dulig zur Zuwanderungswelle: "Wir brauchen jetzt eine Atempause"

Erstveröffentlicht: 
16.10.2015

Berlin. Sachsens SPD-Vorsitzender und Vize-Regierungschef Martin Dulig äußert sich zur Flüchtlingsproblematik.

 

Viele Bürger erwarten eine Eindämmung der Zuwanderungswelle. Ist das Boot voll?

 
Wir sind rein organisatorisch an der Belastungsgrenze. Ich weiß nicht, ob das Boot voll ist, richtig ist aber: Wir schaffen es zurzeit nicht mehr. Die große Integrationsaufgabe kommt ja noch auf uns zu. Deshalb brauchen wir jetzt eine Atempause, um uns zu organisieren.


Ihre Jusos nennen Sie deshalb "zynisch". Finden Sie solche "Gutmenschen" heimlich zum Kotzen?


Ich finde es gut, dass innerhalb der SPD eine solche intensive Auseinandersetzung geführt wird. Wir ringen ernsthaft darum, nicht nur mit dem Herzen, sondern auch mit dem Verstand. Es nutzt kein Drumherumgerede. Wir wollen eine echte Integration, aber dazu muss der Flüchtlingsstrom jetzt eingedämmt werden.


Gibt sich ein Staat auf, der seine Grenzen nicht dicht machen kann?


Ein Staat würde Europa aufgeben, machte er seine Grenzen dicht. Aber Europa würde auch zerbrechen, wenn wir es nicht schaffen, die Flüchtlingsfrage gemeinsam zu lösen.


Sind Transitzonen ein richtiges Stoppsignal?


Ich halte es für völlig ausgeschlossen, dass es an der deutschen Grenze eine Reihe von Haftanstalten für Flüchtlinge gibt, die zu uns kommen, um Asyl zu beantragen. Das ist gegen unser Grundgesetz. Wir müssen europäische Lösungen finden.


Nicht wenige meinen, der Staat müsse sich vor dem Verlust der nationalen Identität angesichts der vielen Flüchtlinge schützen. Wie?


Indem der Staat keine Angst davor hat, dass durch angeblich zu viele Flüchtlinge seine nationale Identität verloren geht. Gerade für Ostdeutschland ist es doch eine riesengroße Chance, endlich einmal auch den konkreten Umgang mit Vielfalt zu erleben. Sachsen hat einen Ausländeranteil von 2,5 Prozent.


Brauchen wir ein wirklichkeitsgerechteres praktisches Asylrecht?


Erstens müssen Staat und Verwaltung wieder handlungsfähig werden. Zweitens brauchen wir eine europäische Flüchtlingspolitik. Dann muss die legale Zuwanderung geregelt werden. Dann können wir darüber reden, ob das Asylrecht noch wirklichkeitsgerecht ist.


Ist der wirtschaftliche Schaden für Sachsen durch den Ruf als Pegida-Land bereits praktisch spürbar?


Der massive wirtschaftliche und kulturelle Schaden ist längst eingetreten. Internationale Wissenschaftler und Fachkräfte sind schwer für Sachsen zu gewinnen. Pegida trägt die Verantwortung dafür, dass in Sachsen eine Stimmung entstanden ist, in deren Folge sich Menschen das Recht herausnehmen, andere mit Hass und Verachtung und Gewaltandrohung zu verfolgen. Da zünden Leute Häuser an und werfen Steine. Das ist die Vorstufe zum direkten Angriff auf Mitmenschen. Für diese Stimmungslage trägt Pegida die Verantwortung. Die Grenze des Zumutbaren für den Staat ist mit Pegida längst überschritten. Jetzt ist die Staatsanwaltschaft dran. Interview: Dieter Wonka