Umfrage: Jeder Zweite fordert Integrationsschulung auch für Deutsche / Ein Drittel fürchtet mehr Armut
Von Anita Kecke
 Leipzig. Ratlosigkeit ist das, was es in Hülle und Fülle gibt 
angesichts der vielen Flüchtlinge, die in Europa, besonders in 
Deutschland, auch in Sachsen, Einlass begehren. Der Freistaat ist wegen 
der gehäuften ausländerfeindlichen Proteste und Krawalle besonders in 
den Fokus geraten. In einer gemeinsamen Umfrage wollten daher Leipziger 
Volkszeitung, Freie Presse und Sächsische Zeitung wissen, worin die 
Sachsen und die Deutschen insgesamt die Ursachen für 
Ausländerfeindlichkeit sehen, wer Schuld hat an der Krise und wie sie zu
 lösen ist.
 "Zur Schuldfrage hat die Bevölkerung eine klare Meinung", sagt Dr. 
Andreas Czaplicki, Chef des Leipziger Uniqma-Institutes, das die Umfrage
 durchführte. "Schuld an der Misere sind die Politiker. Diese haben es 
versäumt, Vorbereitungen zu treffen und auf europäischer Ebene nach 
einer Lösung für den Flüchtlingsstrom zu sorgen. Die Forderungen an die 
Politik sind groß", analysiert er die Ergebnisse.
Sehen bundesweit 47 Prozent der Befragten die Versäumnisse vor allem bei der Politik, so sind es in Sachsen sogar 60 Prozent. 
 Eine der Ursachen für die Zurückhaltung gegenüber den Flüchtlingen bis 
zu ihrer Ablehnung sehen 38 Prozent der Sachsen, aber auch ein gutes 
Drittel bundesweit, in der Befürchtung, für die Deutschen, denen es 
wirtschaftlich schon nicht gut geht, könnte es durch die 
Verteilungskämpfe noch schlechter werden. Es fällt auf, dass dies in 
Sachsen mehr Ältere als Jüngere sagen und mehr geringer Gebildete als 
Studierte. Das korrespondiert mit der Aussage, dass Deutschland keine 
Ausländer mehr verkraften könne. Diese Meinung vertreten in Sachsen 
ebenfalls mehr die über 65-Jährigen als Befragte zwischen 18 und 29 
Jahren und doppelt so viele mit dem Abschluss der 8. Klasse wie 
Studierte. 
 Dass es diese Befindlichkeiten und Ängste in nicht geringem Maße gibt, 
macht die Studie deutlich. Für die Politik kommt dies einer 
Handlungsanweisung gleich, mehr mit den Bürgern zu reden, aufzuklären, 
wie es steht, wer was bekommt, um Sorgen zu nehmen und der Neiddebatte 
zu begegnen. Immerhin hat der Bund jetzt beschlossen, die Länder 
finanziell nicht im Regen stehen zu lassen, sondern ihnen ab 2016 eine 
Pauschale von 670 Euro monatlich pro Asylbewerber zu zahlen.
In der Frage, ob Ausländerfeindlichkeit hauptsächlich ein Problem der 
sozial schwachen oder bildungsfernen Schichten ist, weil eine Konkurrenz
 um die Sozialleistungen befürchtet wird, sind die Sachsen gespalten. 
Ein Drittel stimmt zu, ein Drittel lehnt diese Problemzuschiebung völlig
 ab, und ein weiteres Drittel ist unentschieden in der Beurteilung. 
Bundesweit ganz vorn sind die Sachsen, wenn es um die Furcht vor fremden
 Religionen, sprich dem Islam, geht. Mit großem Abstand vor der übrigen 
Bevölkerung in West und Ost (35 Prozent) sehen die Sachsen (47 Prozent) 
andere Glaubensrichtungen eher als Bedrohung und als eine wesentliche 
Ursache für die Ablehnung der Flüchtlinge an. Auch das ist im Grunde ein
 weiterer Aufklärungsauftrag für die Politik. Dass sich unter die 
Menschen, die vor Krieg und Zerstörung fliehen, auch islamische 
Gotteskrieger mischen, schließen die Geheimdienste nicht aus. Aber sie 
gehen von Einzelfällen aus und ermitteln entsprechend. Die Masse der 
Menschen flieht schlicht aus Not und Elend.
"In der Frage, was nun getan werden muss, unterscheiden sich die Sachsen
 nicht wesentlich von der übrigen Bevölkerung", erklärt der Leiter der 
Studie, Andreas Czaplicki. "Die Grenzen einfach zu schließen, ist nach 
Meinung der überwiegenden Mehrheit jedenfalls kein Weg, um mit dem 
Flüchtlingsproblem fertig zu werden. Da geht es eher um ein 
EU-einheitliches Zuwanderungsgesetz und um eine Außenpolitik, die aktiv 
gegen Krieg und Bürgerkrieg vorgeht", sagt der Meinungsforscher.
Einig sind sich die Sachsen mit dem Rest der Republik auch, dass der 
Staat härter durchgreifen soll gegen gewalttätige Fremdenhasser und 
Rechtspopulisten. Dass die Integration nicht allein dem Staat überlassen
 werden kann, sondern die Gesellschaft und viele freiwillige Helfer 
gefordert sind, gehört auch zu den vorrangig genannten Lösungen. In 
Sachsen stimmen hier 70 Prozent zu, bundesweit 77 Prozent. 
Interessant ist, dass bundesweit - auch in Sachsen - mehr als jeder 
Vierte es für notwendig hält, dass die Bürger auch privat Flüchtlinge 
unterbringen in ihren Wohnungen und Häusern. Eine große 
Hilfsbereitschaft und Toleranz wird auch deutlich, wenn jeder zweite 
Deutsche, wiederum auch in Sachsen, es begrüßen würde, wenn es für die 
Deutschen ebenfalls so etwas wie Integrationskurse geben würde. Dort 
sollten sie mehr erfahren über andere Kulturen, Bräuche und Religionen. 
Integration ist keine Einbahnstraße, heißt das: Hier könnten sich die 
auf halber Strecke treffen, die von den Zugewanderten die Kenntnis der 
deutschen Kultur erwarten, und die, die auch von den Deutschen 
verlangen, dass sie dazulernen.
So hat die Studie eine Reihe von Antworten in die allgemeine Ratlosigkeit geschüttet, aber auch weitere Fragen.
Befragt wurden für diese Studie durch das Leipziger Institut Uniqma 
bundesweit vom 9. bis 15. September 1351 repräsentativ ausgewählte 
Männer und Frauen ab 18 Jahren, darunter 514 aus Sachsen. 
