Grüne fordern eine Facebook-Polizei

Erstveröffentlicht: 
08.09.2015

Rassistisch, menschenfeindlich, volksverhetzend: In sozialen Netzwerken ist der Ton rau - und mitunter strafbar

 

Von Dirk Schmaler

 

Die kleinen Schuhe, die nassen Haare, das Gesicht im Sand. Das Foto des toten syrischen Flüchtlingsjungen Aylan Kurdi an einem türkischen Strand hat Menschen auf der ganzen Welt berührt. Einem 26-Jährigen aus Berlin-Hellersdorf fiel zu dem Foto ein Satz ein, der es nun ebenfalls zu trauriger Berühmtheit gebracht hat. Er schrieb in einem Facebook-Eintrag zum Tod des Jungen: "Wir TRAUERN NICHT sondern wir FEIERN ES."


Fremdenfeindliche Hetze ist in sozialen Netzwerken wie Facebook längst keine Seltenheit mehr. Organisierte Gruppen nutzen die Plattformen für ihre Propaganda, aber auch Unzählige ohne Organisationen im Rücken fühlen sich am Computer offenbar derart unangreifbar, dass sie trotz Klarnamenzwang keine Hemmungen haben, menschenverachtende Kommentare zu veröffentlichen. Im Fall des Berliners hatte die Hetze im virtuellen Raum letztlich sehr reale Folgen: Nachdem Dutzende Strafanzeigen bei der Polizei eingegangen waren, stand diese am Wochenende vor seiner Tür, sie ermittelt nun wegen des Verdachts auf Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und Volksverhetzung.


Allerdings ist die Verfolgung oft schwierig. "Wenn Inhalte bei Facebook volksverhetzend oder Aufrufe zur Gewalt sind, drohen zwar Geld- und Freiheitsstrafen", sagt Peter Matzneller, Geschäftsführer vom Institut für europäisches Medienrecht. Die Ermittlungen seien jedoch oft sehr schwierig.


Zudem reagiert Facebook bisher nur äußerst zögerlich auf Hinweise von Nutzern, die problematische Kommentare melden. Zuletzt hatte sogar Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) über die rassistischen Einträge bei Facebook geklagt - und darüber, dass der US-Konzern oft keinen Grund sieht, die Inhalte zu löschen. Zwar würden Fotos von nackten Körperteilen konsequent aus dem Netz genommen, auch wenn sie rechtlich nicht problematisch seien. Volksverhetzende Einträge hingegen würden auch dann durchgewunken, wenn Nutzer den Artikel als problematisch gemeldet hätten. Maas will Mitte des Monats bei einem Termin mit Facebook-Vertretern nach Lösungen suchen.


Viel hat er dabei allerdings rechtlich nicht in der Hand. Zwar ergeben sich etwa aus der europäischen E-Commerce-Richtlinie durchaus Handlungspflichten für Plattformen wie Facebook bei rechtswidrigen nutzergenerierten Inhalten, wenn der Betreiber Kenntnis davon erhalte, erklärt Medienrechtler Matzneller. "Eine rechtliche Durchsetzung wird aber erschwert, wenn sich außereuropäische Unternehmen auf den Standpunkt stellen, nicht an deutsche und europäische Standards gebunden zu sein." Ein ausstehendes Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu dieser Frage könnte in den nächsten Wochen etwas Aufschluss geben.


Jan Philipp Albrecht, innen- und justizpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament, fordert angesichts der zunehmenden Hetze in sozialen Netzwerken eine europäische Antwort. "Wir brauchen dringend EU-weit einheitliche klare Regeln zu der Frage, was auf Plattformen wie Facebook eine Grenzüberschreitung ist und was nicht", sagt er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland, dem diese Zeitung angehört. Die vielen unterschiedlichen Gesetze machten es Facebook einfach, sich aus der Verantwortung zu ziehen und eigene Regeln aufzustellen. "Das kann nicht funktionieren, wenn Europa 28 Vorstellungen davon hat, was bei Facebook erlaubt ist und was nicht."


Gleichzeitig fordert Albrecht neuartige europäische Ermittlungsteams, die die Strafverfolgung in sozialen Netzwerken wie Facebook effektiv aufnehmen. "Wir brauchen eine eigene Abteilung bei Europol, die in Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden die Foren systematisch durchsucht und wirksame Strafverfolgung auch über Grenzen hinweg organisiert", sagt Albrecht. Eine solche Facebook-Polizei könne an das europäische Anti-Cyberkriminalitätszentrum in Den Haag angegliedert werden.


Das eigentliche Problem allerdings, meint der Grünen-Politiker, sei nicht mit dem Strafgesetz lösbar. "Man hat zugelassen, dass menschenfeindliche Positionen wieder salonfähig sind. Dagegen müssen wir arbeiten."