Zahl der Plätze für Flüchtlinge steigt von 1800 auf über 5000 / Stadt rechnet mit Defizit im Haushalt
Von Evelyn ter Vehn, Robert Nössler und Mathias Orbeck
 Leipzig. Die Stadt Leipzig reagiert auf den anhaltenden 
Flüchtlingsstrom: In den kommenden beiden Jahren werden in der 
Messestadt 20 neue Gemeinschaftswohnquartiere für Asylbewerber eröffnet.
 Allein neun sollen noch in diesem Jahr bereit stehen, erklärte 
Sozialbürgermeister Thomas Fabian (SPD) gestern im Neuen Rathaus. Die 
Kommune reagiere mit dieser Überarbeitung des bestehenden 
Unterbringungskonzeptes auf die enorm gestiegene Zahl von Flüchtlingen, 
die in Leipzig untergebracht werden müssen. Aktuelle Prognosen gehen von
 5400 Menschen für das gesamte Jahr 2015 aus.
 Neben Umbauten bestehender Gebäude im ganzen Stadtgebiet, wie 
beispielsweise in Teilen der zum St. Georg gehörenden 
Robert-Koch-Klinik, der Pablo-Neruda-Schule oder der Messehalle 13 (Alte
 Messe), sollen auch große Containerdörfer auf der Alten Messe, an der 
Prager Straße und auf der Agra entstehen. An der Arno-Nitzsche-Straße 36
 will die Stadt für 350 Personen einen komplett neuen Wohnkomplex bauen -
 inklusive Park- und Sportanlagen. Bis zum Jahr 2017 soll sich die 
Kapazität der permanenten Leipziger Flüchtlingsunterkünfte so auf mehr 
als 5000 erhöhen - aktuell liegt sie bei etwa 1800.
Doch auch das könnte noch nicht reichen. "Die jetzigen Pläne sind nur 
eine aktuelle Lageeinschätzung", so Fabian. Weitere 35 Standorte in 
Leipzig würden derzeit geprüft. "Wir arbeiten mit Hochdruck daran, die 
benötigten Plätze rechtzeitig bereit zu stellen", sagte der 
Sozialdemokrat. Die Flüchtlinge sollen sich in Leipzig willkommen 
fühlen, wofür zunächst ein Dach über dem Kopf nötig sei. "Wir wollen sie
 auf dem Weg in unsere Stadtgesellschaft unterstützen. Dafür benötigen 
wir die Mitwirkung aller - Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft."
Wie Sozialamtsleiterin Martina Kador-Probst erklärte, bereite sich die 
Stadt Leipzig auch auf weitere Notfalllösungen vor - beispielsweise wenn
 der Freistaat nicht mehr selbst in der Lage sei, Platz für 
Erstunterkünfte zu finden. Diese Pläne sehen dann auch Unterbringungen 
in Turnhallen und in Zeltstädten vor. "Ich hoffe aber, dass wir diese 
Notfallpläne in der Schublade lassen können", sagte Kador-Probst. Das 
Aufbauen von hunderten Liegen nebeneinander wollen wir definitiv 
vermeiden."
Insgesamt werden die Bau- und Unterbringungskosten voraussichtlich in 
zweistelliger, wenn nicht sogar in dreistelliger Millionenhöhe liegen. 
"Genaue Angaben darüber zu machen, wäre zu diesem Zeitpunkt aber 
unseriös", sagte Fabian. Grundsätzlich werde die Stadt Leipzig von 
Freistaat und Bund eine komplette Kostenübernahme einfordern. Weil 
angesichts der aktuellen Lage nicht abgewartet werden kann, bis die 
Gelder letztlich auch fließen, müsse die Kommune aber in Vorleistung 
gehen. In den kommenden Jahren werde der Stadthaushalt deshalb mit einem
 beträchtlichen Defizit auskommen müssen, so Fabian weiter. Im aktuellen
 Haushaltsplan war die Kommune von nur 1500 neuen Flüchtlingen für 2015 
ausgegangen und hatte für Ausbau und Betreuung 33 Millionen Euro 
eingeplant.
Asylheime - das sind die 20 neuen Standorte
Die Stadt plant für den Notfall auch mit Turnhallen und Zelten - was sie für die Unterbringung zahlen muss, steht noch nicht fest
Von MATHIas Orbeck
 "Dezentral statt voller Saal" steht an einem Spruchband nahe der 
HTWK-Sporthalle Arno-Nitsche-Straße. Die Flüchtlinge sind seit gestern 
weg. Die Landesdirektion hat sie ins Erstaufnahmelager in die 
Friederikenstraße 37 verlegt. Große Hallen als Flüchtlingsdomizil will 
die Stadt Leipzig, der viele Flüchtlinge zugewiesen werden, möglichst 
vermeiden. Sie hält an ihrem Konzept fest, Asylbewerber rasch in 
Wohnungen unterzubringen. Trotz der gigantischen Aufgabe, ausreichend 
Unterkünfte bereitzustellen. Die Prognosen der Landesdirektion, wie 
viele Flüchtlinge kommen, ändern sich ständig. 5404 Asylbewerber muss 
Leipzig in diesem Jahr aufnehmen - 2701 waren bislang avisiert. Derzeit 
gibt es in den bestehenden Einrichtungen 1875 Plätze. "Wir arbeiten mit 
Hochdruck daran, die benötigten Plätze rechtzeitig bereitzustellen", 
sagt Thomas Fabian (SPD). Der Sozialbürgermeister stellte gestern ein 
überarbeitetes Konzept vor. Demnach sollen bis Jahresende noch neun 
Objekte in Betrieb genommen werden, weitere zehn werden für 2016 
vorbereitet - darunter die ehemalige Messehalle 13, ein Containerdorf 
auf der Alten Messe sowie auf der Agra. 
 Was passiert als nächstes?  
  
Die Stadt will bis Jahresende knapp 1000 zusätzliche Plätze schaffen. 
Noch im September sollen ehemalige Schulhäuser  (3. Grundschule/Pablo 
Neruda) bezugsfertig sein. Die werden als Interim genutzt, ab Herbst 
2016/Frühjahr 2017 beginnen Ausbauarbeiten als Schule. Ein 
Verwaltungsgebäude in der Rosenowstraße 26 soll bis Oktober nutzbar 
sein, bis November Häuser der Robert-Koch-Klinik in Grünau. Ab Dezember 
stehen neben dem Schulgebäude Zweenfurther Straße auch Wohnhäuser 
(Blücherstraße 44/46, Gustav-Mahler-Straße 21) sowie das Altenpflegeheim
 Waldstraße 74-80 für Flüchtlinge offen. Die alten Menschen, die derzeit
 darin leben, ziehen im November  ohnehin in den Neubau Goyastraße.
 Was ist für 2016 geplant?  
  
Die ehemalige Messehalle 13 soll allein 500 Menschen beherbergen. "Bett 
an Bett wird dort aber nicht stehen. Wir sorgen dafür, dass dort 
Bereiche abgetrennt werden", so Sozialamtsleiterin Martina Kador-Probst.
 Container- und Modulbaustätten entstehen zudem auf der Alten Messe, am 
sogenannten Prager Dreieck (Prager-, K. Siegesmund- und 
P.-Rosenthal-Straße) und auf der Agra. Das Areal Prager Dreieck sei groß
 genug, um es perspektivisch auch für die geplante Schule zu nutzen. Die
 ehemaligen Kitas Deiwitzweg 1 sowie Liliensteinstraße 1 werden 
umgenutzt, ebenso das Verwaltungsgebäude Friesenstraße 8. Darüber hinaus
 werden derzeit 35 weitere Standorte geprüft. Fabian: "Es gibt auch 
Verhandlungen mit privaten Vermietern. Darüber kann ich aber erst 
informieren, wenn die Verträge unterschrieben sind." Hinzu kommt: Die 
Sanierung des Objektes Torgauer Straße, die nach Hauseingängen erfolgt, 
wird beschleunigt. 500 Plätze sind dort geplant. Um gleich die volle 
Kapazität auszuschöpfen, werden Container aufgestellt. 
 Was entsteht 2017?  
  
Ein neuer Gebäudekomplex samt Park und Sportplatz an der 
Arno-Nitzsche-Straße 36 - möglichst kleinteilig, um auch verschiedene 
Nationalitäten unterbringen zu können. 
 Was wird mit den dezentralen Unterkünften?  
  
Die Stadt hält daran fest, mietet auch weitere Wohnungen an. Ziel sei 
es, die Geflüchteten nach maximal einem halben Jahr im eigenen Wohnraum 
unterzubringen. Derzeit leben 1276 Asylbewerber in einer eigenen 
Wohnung, davon 776 mit eigenem Mietvertrag, weitere 500 in sogenannten 
Gewährleistungswohnungen.
 Was ist, wenn das alles nicht aus- reicht?  
  
"Für den Notfall gibt es Pläne, vorübergehend Turnhallen zu nutzen. 
Außerdem bereiten wir geeignete Standorte vor, um Zelte aufstellen zu 
können", sagt Fabian. "Das wollen wir aber möglichst vermeiden."  
 Was kostet die Flüchtlingsunterbringung die Stadt?  
  
"Genaue Angaben wären zu diesem Zeitpunkt unseriös", betont Fabian. Die 
Stadt fordere von Freistaat und Bund, die Kosten komplett zu übernehmen.
 Allerdings könne Leipzig nicht warten, bis das alles geregelt sei und 
müsse daher in Vorleistung gehen. Erwartet wird ein Defizit im Etat 
2015/16. Mit der Landesdirektion soll aber geklärt werden, dass die 
Asylkosten extra gerechnet werden. Dabei geht es nicht nur um 
Investitionen, sondern auch um zusätzliches Personal in verschiedenen 
Ämtern. Laut Sozialamtsleiterin Kador-Probst sind derzeit 33 Millionen 
Euro im Etat eingeplant - da ist die Stadt aber noch von maximal 1500 
neuen Flüchtlingen ausgegangen.
 Wie sieht das bürgerschaftliche Engagement aus?  
  
"Es gibt deutlich mehr Hilfswillige als Flüchtlinge", sagt Sonja 
Brogatio vom Flüchtlingsrat. Handwerklich begabte Freiwillige stehen 
beispielsweise bereit, um Wohnungen herzurichten.
