Zehntausende Flüchtlinge landen in Deutschland. Wer entscheidet, wo sie leben, wer sie versorgt, wo ihr Asylverfahren läuft? Erste Stationen in einem neuen Leben.
Von Marina Kormbaki
Es vergeht in diesem Sommer kein Tag, an dem die Bundespolizei keine Flüchtlinge aufgreift. Auf Autobahnen, auf Waldwegen, in Zügen, allein am Hauptbahnhof Frankfurt/Main 44 Menschen an diesem Mittwoch. Manchmal haben die Beamten Glück und ihnen fällt ein Schleuser in die Hände, meist aber lassen die ihre Fracht, die Schutzsuchenden, vor den deutschen Grenzübergängen raus.
Mit ihrer Ankunft findet die Reise der Flüchtlinge vielleicht  ein 
vorerst gutes Ende. Nun beginnt jedoch die mitunter lange, wohl immer 
nervenzehrende Prozedur ihres Asylverfahrens. Rund 160000 der derzeit 
rund 50 Millionen Schutzsuchenden sind in den ersten sechs Monaten 
dieses Jahres nach Deutschland geflohen. Mehr als 70000 sind seit dem 
1.Juli dazugekommen. Jedem Einzelnen steht ein faires Verfahren zu.
Die Erfassung, Verteilung und Unterbringung der Menschen - also der 
gesamte Ablauf eines Asylverfahrens - stellt auch den Bund, die Länder 
und Gemeinden vor große Herausforderungen. Jeder fühlt sich belastet: 
Niedersachsen zum Beispiel muss 9000 Neuankömmlinge unterbringen, hat 
aber nur Plätze für 5000 vorbereitet.  In der Erstaufnahmeeinrichtung im
 schleswig-holsteinischen Neumünster haben sich in den ersten zwölf 
Augusttagen 1000 Menschen gemeldet. Dem Freistaat Sachsen sind im Juli 
4000 Asylbewerber zugewiesen worden. Sind die Aufgaben fair verteilt? 
Ein Überblick über die wichtigsten Stationen:  Wie gelangen die Asylsuchenden nach Deutschland? 
Die meisten Kriegs- und Elendsflüchtlinge aus Europa, Afrika und Asien 
gelangen über die "West-Balkan-Route" nach Westeuropa. Sie wird auch  
"Schwarze Route" genannt, denn der Weg von Griechenland über Mazedonien,
 Serbien, Ungarn und Österreich ist so beschwerlich wie gefährlich. Doch
 trotz der kilometerweiten Fußmärsche und der lauernden Banden von 
Menschenhändler erscheint er vielen Flüchtlingen vom Westbalkan, aus 
Syrien, dem Irak und Afghanistan als einzige Möglichkeit. Allein 
zwischen Januar und Mai griff die EU-Grenzschutzagentur Frontex rund 
50000 Migranten auf ihrem Weg durch diese Länder auf - so viele wie im 
ganzen Jahr 2014 nicht. 
Nach Angaben der Bundespolizei reisen die meisten Asylsuchenden über 
Österreich nach Deutschland ein. Dagegen falle der Zustrom direkt aus 
Osteuropa bescheiden aus. Ein Sprecher sagt: "Die Bundespolizei konnte 
von Januar bis Juni 2015 im Zuständigkeitsbereich der 
Bundespolizeidirektion München über 36500 illegal eingereiste Personen 
feststellen. Im Bereich der Bundespolizeidirektion Pirna waren es im 
selben Zeitraum rund 2300 Personen." 
Bis Ende Juni haben beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 159927 
Menschen erstmals Antrag auf Asyl gestellt - deutlich mehr als doppelt 
so viele wie im gesamten Jahr 2014. Die Behörden waren darauf nicht 
eingestellt, es mangelt an Personal und Unterkünften. 
Der erste Kontakt mit den Behörden
 
Wer einreist, um Asyl zu beantragen, muss sich zunächst als asylsuchend 
melden. Dafür verfügt jedes Bundesland über Zentrale 
Erstaufnahmeeinrichtungen. Wird ein Migrant von der Polizei bei der 
Einreise aufgegriffen und kann keine gültigen Papiere vorweisen, droht 
ihm in der Regel nichts, wenn er sein Asylbegehr zum Ausdruck bringt. 
Aber die Polizei erfasst den Flüchtling erkennungsdienstlich: Er wird 
fotografiert, gemessen, seine Fingerabdrücke werden gescannt, alle Daten
 über Gestalt, Sprache, Einzelheiten wie Tattoos und Augenfarbe werden 
registriert. Auch Angaben über Narben, Folterspuren. Die Polizeibeamten 
leiten ihn an die nächstgelegene Erstaufnahmeeinrichtung weiter - 
vorausgesetzt, er stammt nicht aus einem als sicher eingestuften 
Drittstaat. Flüchtlinge, die auf eigene Faust in eine deutsche Stadt 
gelangt sind oder von Schleppern dorthin gebracht wurden, müssen 
ebenfalls in einer Erstaufnahmeeinrichtung vorstellig werden. Dort 
erhalten sie auch einen Krankenschein.
Die nächstgelegene Einrichtung ist jedoch nicht automatisch die 
zuständige. Diese wird bei der Registrierung des Flüchtlings über das 
Computerprogramm "Easy" ermittelt, das die Verteilung verwaltet. Muss 
der Flüchtling in eine andere Erstaufnahmeeinrichtung, erhält er dafür 
eine Fahrkarte.
Die Verteilung der Flüchtlinge
 
Ob ein Flüchtling in der Erstaufnahmeeinrichtung bleiben darf, hängt von
 mehreren Faktoren ab - etwa von der Frage, ob dort überhaupt noch 
Plätze frei sind. Zudem ist nicht jede Einrichtung für jedes 
Herkunftsland zuständig: Nur Flüchtlinge aus akuten Krisengebieten 
können überall vorstellig werden. Schließlich regelt eine feste 
Aufnahmequote die Verteilung der Flüchtlinge im Bundesgebiet: Der 
"Königsteiner Schlüssel" legt fest, welchen Anteil der Asylbewerber 
jedes Land aufnehmen muss. Er wird entsprechend der Steuereinnahmen und 
der Bevölkerungszahl berechnet. Der größte Anteil fällt derzeit 
Nordrhein-Westfalen mit 21,2 Prozent zu, der niedrigste dem Saarland mit
 1,2 Prozent. Die Herkunft der Schutzsuchenden spielt keine Rolle. Die 
Verteilung der Flüchtlinge ist vor allem eine statistische 
Angelegenheit. Aber: "Familiäre Bindungen im Bundesgebiet können von den
 Bundesländern bei der Unterbringung berücksichtigt werden", sagt 
Christoph Sander vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in 
Nürnberg.
Der Antrag auf Asyl
 
Angekommen in der ihnen zugewiesenen Erstaufnahmeeinrichtung, können 
Flüchtlinge Antrag auf Asyl stellen. Das tun sie nicht in der vom Land 
verwalteten Unterkunft, sondern in einem Büro des BAMF. Dort werden, 
wenn es nicht bei der Polizei geschehen ist, Personendaten, 
Fingerabdrücke und Fotos gespeichert. Die Daten werden vom 
Bundeskriminalamt ausgewertet, auch eine europaweite Überprüfung findet 
statt, um festzustellen, ob der Flüchtling bereits in einem anderen 
EU-Land Antrag auf Asyl gestellt hat oder gesucht wird. 
In einer persönlichen Anhörung muss jeder Flüchtling, der älter als 16 
Jahre ist, vortragen, warum er um Asyl ersucht. Im Beisein eines 
Dolmetschers muss er dem, wie es beim BAMF heißt, "Entscheider" 
schildern, wie und warum er politisch verfolgt wird. 
Während der Antrag bearbeitet wird, müssen die Flüchtlinge bis zu drei 
Monate in der Erstaufnahmeeinrichtung wohnen, um für Nachfragen leicht 
erreichbar zu sein. Sie erhalten Verpflegung, Kleidung und ein 
Taschengeld von 143 Euro im Monat. Ist ein Verfahren nach drei Monaten 
noch nicht abgeschlossen, ziehen die Flüchtlinge in 
Gemeinschaftsunterkünfte um, seltener auch in Wohnungen. Sie erhalten 
dann pro Monat 359Euro in bar ausgezahlt, Wohn-, Heiz- und Arztkosten  
werden vom Land erstattet. Wird ein Asylgesuch positiv entschieden, geht
 die Verantwortung vom Land auf die Kommune über. Lehnt das BAMF den 
Antrag ab und fordert zur Ausreise auf, kann der Flüchtling vor dem 
Verwaltungsgericht klagen. Mit dessen Entscheidung aber ist das 
Verfahren beendet, und die Abschiebung steht bevor. Von Januar bis Juni 
wurden 8178 Asylbewerber abgeschoben.
