Was ist politische Gewalt?

Erstveröffentlicht: 
06.08.2015

Diese Frage stellen sich viele in der Linken Szene. Wie viel Macht haben die Politik und das System? Darf man Gewalt für linke Ziele einsetzen? Diskussionen um solche Fragen werden besonders in Leipzig Connewitz geführt.

 

Connewitz ist für seine aktive, linke Subkultur so bekannt wie berüchtigt. mephisto 97.6-Redakteur Thilo Körting hat mit Juliane Nagel (die Linke) und dem Leipziger Soziologen Prof. Dr. Gert Pickel über linke Gewalt gesprochen:

Was will die linken Szene eigentlich?

Raketen fliegen quer über die Straße, Böller detonieren unter parkenden Autos und Pflastersteine zerstören Schaufenster. So sieht Neujahr in Leipzig Connewitz aus, wo es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Linken und Polizisten kommt. Wie in vielen Universitätsstädten ist auch in Leipzig die linke Szene besonders stark vertreten. Als linkes Zentrum gilt der Stadtteil Connewitz, nicht weil die Akteure von hier kommen, sondern weil es ein Treffpunkt für Antifa und ähnliche Bündnisse ist. Viele dieser alternativen Projekte sind inzwischen von der Stadt anerkannt. Aufgrund dieser Lebenskultur und einem gewachsenen linken Idealismus ist Connewitz bis heute für die linke Szene relevant, beschreibt Juliane Nagel (DIE LINKE).

Nagel vertritt Leipzig Connewitz im sächsischen Landtag und setzt sich für die Vernetzung der linken Szene ein. Die meisten Aktionsformen die Nagel anspricht, sind friedlich gedacht: es gibt Diskussionen und Demonstrationen. Besonders wichtig ist dabei, rechte Bewegungen zu verhindern, wie die Neonazi-Aufmärsche in den Neunzigern oder jüngst die Legida-Demonstrationen.

 

Woher kommt die Gewalt?

Doch die linke Szene kritisiert nicht nur rechte Bewegung, sondern auch das vorherrschende System. Das kann auch bis ins Extreme gehen. So fasst es der Verfassungsschutz zusammen:

"Linksextremisten streben die Überwindung der parlamentarischen Demokratie und die Außerkraftsetzung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung an. An deren Stelle wollen sie eine sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaft oder eine 'herrschaftsfreie' anarchistische Gesellschaft etablieren. Ihr politisches Handeln richten sie dementsprechend an revolutionär-marxistischen oder anarchistischen Vorstellungen aus."

Um diese Ziele durchsetzen zu können, ist die extremistische Linke auch bereit Gewalt einzusetzen. So heißt es im Verfassungsschutzbericht:

"Gewalt ist in Teilen der linksextremistischen Szene – vor allem bei den Autonomen – allgemein akzeptierter Grundkonsens. Die eigene Militanz wird dabei im Wesentlichen mit zwei Begründungen legitimiert: Zum einen handele es sich um Gegengewalt, mit der man sich gegen die ungerechtfertigte Gewaltausübung des Staates wehre. Zum anderen gebe es politische Anliegen, die den Einsatz von Gewalt rechtfertigen würden."

Mit ihrer Gewalt versuchen sie also das zu zerstören, was sie als problematisch ansehen. Wie zum Beispiel Geschäfte als Symbole des Kapitalismus. Ein weiteres Ziel ist die Sicherheitspolitik. So lautet ein beliebter Bannerspruch: No borders, no nations. Hier richtet sich die Gewalt vor allem gegen Polizeibeamte. So heißt es in einem Bekennerschreiben auf indymedia:

"Bulle dein Duldungsstatus ist aufgehoben und deine Aufenthaltserlaubnis erloschen wie das Feuer in dem Streifenwagen hinter der Wache und so wirst du von uns mit genau solcher Respektlosigkeit und Gewalt behandelt, wie du Flüchtlinge behandelst."

Weite Teile der linken Szene verurteilen diese Herabwürdigung von Polizisten. Doch nachdem die Polizei Überwachungskameras in Connewitz aufstellte, kam von vielen Seiten Kritik. Auch der neue Polizeiposten Connewitz markiert den Stadtteil als sozialen Brennpunkt. Hier kam es immer wieder zu Übergriffen. Deswegen zogen linke Extremisten am 5. Juni 2015 durch die Innenstadt und beschädigten Gebäude und Autos. Das sagt zumindest ein weiteres Bekennerschreiben:

"Die Gewalt beginnt nicht mit uns, sie beginnt bei euch und eurer Politik. Ihr werdet ja nicht müde, zu sagen, dass die Gewalt von uns aus gehen würde, dass ohne uns ein friedlicher Zustand herrschen würde. Ihr sagt, dass ihr alles tut, um Gewalt zu verhindern. Doch das stimmt nicht. Es stimmt deshalb nicht, weil die Gewalt schon da ist, bevor wir kommen."

 

Kann man mit denen noch reden?

Viele kritisieren, dass linke Gewalt dieser Art oft ignoriert oder heruntergespielt wird. Meistens kommen diese Stimmen aus einem konservativen bis rechten Lager. Doch nach diesem Krawallmarsch im Juni 2015 wollten Politik und Polizei aktiv werden, erklärte Innenminister Markus Ulbig laut der Leipziger Volkszeitung:

"Mit der Soko Johannapark werden die Konsequenzen aus den rasant gestiegenen linksextremistischen Gewalttaten gezogen. Die Soko hat ganz klar den Auftrag, an die Straftäter und Hintermänner heranzukommen  es muss gelingen, die Täter aus der Anonymität zu holen. Darauf zielt jetzt die Konzentration."

Doch die Gefahr besteht, dass diese Sonderkommission als weiteres repressives Mittel verstanden wird, als weitere Bedrohung. Davor warnt auch Extremismusexperte Prof. Dr. Gert Pickel von der Universität Leipzig.

Die Herausforderung vor der die Ermittler stehen ist die Unübersichtlichkeit. Die linke Szene ist äußerst breit gefächert. Zwar ist sie zu großen Teilen friedfertig, doch am äußersten Rand durchaus gewaltbereit. Ob diese Gewalt allerdings allein politisch motiviert ist, bleibt auch zu hinterfragen.