An die Substanz! – Ein Update

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Seit nunmehr zwei Jahren läuft in Schleswig-Holstein die antifaschistische Kampagne “An die Substanz!”, die es sich zum Ziel gesetzt hat, neonazistische Geschäftswelten ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Alle Antifaschist_Innen waren dazu aufgerufen, sich mit eigenen Aktionen und Inhalten in die Kampagne einzubringen und sie zu erweitern.

 

Ihren Anfang nahm die Kampagne im Sommer 2013, nachdem neofaschistische Wahllisten bei den Kommunalwahlen trotz offensichtlich stark geschwächter Strukturen überraschend erfolgreich waren. Der Schluss lag nahe, sich nicht nur auf ohnehin desolate Parteistrukturen zu konzentrieren, sondern Neonazistrukturen in den Fokus zu nehmen, die das Licht der Öffentlichkeit sonst eher scheuen. Denn davon gibt es auch in Schleswig-Holstein reichlich, zum Teil seit Jahrzehnten aktiv und von bundesweiter Bedeutung. Zunächst wurde eine handvoll konkreter Geschäftsstrukturen thematisiert, die vom Naziladen „PLS“ in Kiel-Gaarden, über den Eselpark in Nessendorf, dessen ehemaliger Betreiber aktives NPD-Mitglied war, bis zum Verlagshaus des völkischen Neonazis Dietmar Munier „Lesen & Schenken“ in Martensrade reichten, um nur ein paar zu nennen. Besonders hervorgetan hat sich das „Heilcentrum Pless“ in der Kieler City, das vom Neonazi Henning Pless geführt wird. Neben Munier ist Pless eine Führungsfigur der völkischen Neonaziszene. Pless sicherte sich im Laufe der Kampagne viel antifaschistische Aufmerksamkeit, indem er versuchte, die Proteste gegen sich zu kriminalisieren.

Bei einer ersten Fahrradtour wurden Geschäftsräume von Neonazis in Kiel besucht. Im Anschluss daran steuerte eine antifaschistischen Bustour im Oktober 2013 verschiedene Stationen der zuvor veröffentlichten Neonazistrukturen an. Neben Martensrade, Nessendorf und dem „Heilcentrum Pless“ war auch geplant, dem „Club 88“ und der Kneipe „Titanic“ in Neumünster, bis dato beides Treffpunkte für Neonazis, einen Besuch abzustatten. Bei beiden Anlässen sollten vor allen Objekten Kundgebungen abgehalten werden, um auf die braunen Hintergründe aufmerksam zu machen. Hier zeigte sich zum wiederholten Mal die repressive Strategie der Polizei im Bezug auf die Kampagne. Nicht nur wurde für die Bustour ein faktisches Demonstrationsverbot in Neumünster verhängt, sondern auch im Nachhinein versuchten die Behörden die Proteste zu kriminalisieren. Es folgten weitere öffentlichkeitswirksame Aktionen. Auch brachten sich verschiedene Antifaschist_Innen in die Kampagne ein, indem neben inhaltlichen Beiträgen auch Flyer verteilt, Neonazis geoutet oder Neonazistrukturen direkt angegangen wurden. Mit diesem Text möchten wir einerseits einen aktuellen Blick auf die Neonazistrukuren werfen, die im Fokus der Kampagne stehen, andererseits soll der Artikel die Kampagne auch unabhängig von den direkten Konsequenzen für die Neonazistrukturen reflektieren.

 

 

Wie geht es den Neonazis?

Es ist meist schwierig, die Wirkung antifaschistischen Engagements auf die Neonaziszene auf eine einzelne Aktion oder Kampagne zu reduzieren. Vielmehr muss das breite Spektrum von Antifa-Arbeit in den Blick genommen werden, in deren Kontinuität auch die Kampagne steht. In den letzten Jahren wurde in Schleswig-Holstein sehr erfolgreich Politik gegen NPD-nahe Strukturen betrieben, die sich vielfach kaum von freien Kameradschaften unterscheiden ließen. Nicht zuletzt diesem Engagement ist es zu verdanken, dass sich die NPD in Schleswig-Holstein in einem desolaten Zustand befindet und auch ähnlich geartete Ersatzstrukturen bislang in der Region keinen Fuß fassen konnten. Darüber hinaus konnte die Kampagne „An die Substanz!“ zum Teil an bereits bestehenden Protest gegen rechte Geschäftswelten anknüpfen und diese ergänzen. So eröffnete in Glinde im Kreis Stormarn 2011 ein „Thor Steinar“-Laden, der sich von Beginn an mit massiven Protesten eines breiten Bündnisses konfrontiert sah. Der seit den 90er Jahren etablierte Neonazi-Treffpunkt „Club 88“ war bis zu seiner Schließung 2014 das Ziel kontinuierlicher Antifa-Arbeit. Auch der erwähnte Laden „PLS-Werkzeuge“ im Kieler Stadtteil Gaarden war seit seiner Eröffnung Ende 2012 immer wieder teils massiven Protesten ausgesetzt. Gegründet wurde „PLS“ von Alexander Hardt, der der Mischszene zwischen militanten Neonazis und Rockern zuzurechnen ist. Mittlerweile ist es um den Laden ruhiger geworden, was vor allem einem Kellerbrand im Gebäude und auch der Inhaftierung Hardts geschuldet ist.

 

Ein wichtiger Fokus der Kampagne ist vor allem der Heilpraktiker Henning Pless und sein „Heilcentrum Pless“ in der Kieler Innenstadt. Hinter der unauffälligen Fassade verbirgt sich eine Führungsfigur der völkischen Neonazi-Szene. Pless war in den 90er Jahren 1. Bundesvorsitzender der “Heimattreuen Jugend” (DHJ), der Vorläuferorganisation der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ). Zudem organisiert Pless regelmäßig Treffen führender Neonazis und Rassist_Innen aus dem ganzen deutschsprachigen Raum und betreibt in geschichtsrevisionistischer Manier Initiativen zur “Wiederansiedlung” von vermeintlichen “Deutschen” in Russland. Von Anfang an war es Pless, der der Repression gegen aktive Antifaschist_Innen Vorschub leistete, indem er der Polizei mit fadenscheinigen Anzeigen in die Hände spielte. Letztlich zeigen diese fast hysterischen Reaktionen (Pless beauftragte unter anderem einen Fotografen damit, Teilnehmer_Innen einer Kundgebung vor seinen Geschäftsräumen zu belästigen) aber nur, dass die Angriffe gegen Pless und seine bürgerliche Fassade dort ansetzen, wo es weh tut. So hat er sich mittlerweile aus verschiedenen Unternehmensbeteiligungen zurückgezogen und tritt nicht mehr öffentlich als Veranstalter völkischer Veranstaltungen auf.

 

Thematisiert wurde auch der Eselpark in Nessendorf, dessen jahrelanger Inhaber Eckart August aktives Mitglied der NPD war. Nach einer ersten Konfrontation im Rahmen der oben erwähnten Bustour, stellte sich sein Sohn Friedrich August als neuer Geschäftsführer vor. Zwar hat dieser nach eigenen Angaben keine Verbindungen zur rechten Szene, von den Machenschaften seines Vaters, der noch immer als stiller Teilhaber vom Eselpark fungierte, wollte er sich dennoch nicht distanzieren. Noch dazu besaß er die Unverfrorenheit, sich aufgrund der Veröffentlichungen im Rahmen der Kampagne mit verfolgten Jüdinnen und Juden im „Dritten Reich“ zu vergleichen. Mittlerweile ist der Altnazi Eckart August zwar aus dem Impressum des Internet-Auftritts gestrichen, eine Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit sieht allerdings anders aus.

 

Bei einigen Strukturen blieben spektakuläre Änderungen aus. Wie erwartet, sind vor allem solche Strukturen schwer zu treffen, die nicht oder nur wenig auf ein bürgerliches Image angewiesen sind und ihre Geschäfte maßgeblich in rechten Parallelwelten abwickeln. Heilpraktiker und Streichelzoo sind notgedrungen auf eine Kundschaft angewiesen, die mit Neonazis eigentlich nichts zu tun haben will. Insbesondere für das rechte Verlagsimperium von Dietmar Munier in Martensrade gilt das sicher nicht. Verlegt werden hier vor allem rechte und militaristische Publikationen, wie die Zeitschrift „Zuerst!“ und die „Deutsche Militärzeitschrift“. Daneben engagiert sich Munier zusammen mit Henning Pless, getreu ihrer Blut-und-Boden-Ideologie, für eine “Wiedererlangung” vermeintlich deutscher Gebiete in Osteuropa.

 

Auch die rechtsoffene Kneipe „Titanic“ in Neumünster gibt es leider immer noch. Die Kneipe fungiert seit Jahren als Treffpunkt für Neonazis, auch wenn vom Wirt und NPD-Kandidaten Horst Micheel immer wieder Lippenbekenntnise zu vernehmen sind, mit Neonazis nichts zu tun haben.

 

Als Positivbeispiel für das Wirken antifaschistischer Bemühungen ist aus jüngster Zeit das Outing von Peter Kochanowski zu nennen. Kochanowski unterhält rege Kontakte zu Neonazis und scheut auch den öffentlichen Auftritt neben NPD-Funktionären nicht. Gleichzeitig betrieb er lange Zeit eine Dorfdisko im nordfriesischen Bredstedt. Zwar wurde Kochanowski mittlerweile vom Geschäftsführer zum Türsteher degradiert, dennoch sorgte die Veröffentlichung durch eine örtliche Antifa-Gruppe hier für mächtig Wirbel.

 

Beispielhaft zeigt dieses Outing, wie auch mit relativ einfachen Mitteln Neonazis effektiv bedrängt und ihre geschäftlichen Umtriebe behindert werden können. Offensichtlich bedarf es bei anderen Strukturen einer größeren Hartnäckigkeit. Das diese Anstrengungen dennoch nicht vergebens sind, zeigen kleine Erfolge bei Pless & Co. und die langjährigen Kämpfe verschiedener Kampagnen, wie z.B. des Bündnis gegen den „Club 88“ in Neumünster, die letztlich dafür gesorgt haben, dass der Neonazitreffpunkt sein Ende gefunden hat.

 

Selbstorganisation

Der Schwerpunkt der geplanten Aktionen im Rahmen der Kampagne „An die Substanz!“ lag auf Öffentlichkeitswirksamkeit, die der Aufklärung über Geschäftsstrukturen von Neonazis dienen sollte. Von Beginn an waren aber auch alle Antifaschist_Innen dazu aufgefordert, selbst aktiv zu werden und sich mit eigenen Aktionen einzubringen. In einigen Fällen gelang diese selbstorganisierte Ergänzung der Kampagne auch sehr gut. So fand im November 2013 ein antifaschistischer Rave durch die Kieler Innenstadt statt, der sich explizit als Teil der Kampagne verstand. Inhaltlich wurde die Kampagne durch verschiedene Outings und Veröffentlichungen aus Neumünster und Pinneberg ergänzt. Auch eine direkte Aktion gegen den NPD-Kader Jens Lütke bezog sich auf die Kampagne. Die Mobilisierungskraft der Kampagne erstreckte sich dabei vor allem auf die Region Kiel-Neumünster-Plön. Eine Ausweitung auf die umliegenden Regionen ist wünschenswert und notwendig, um braune Geschäftsstrukturen landesweit ins Licht zu rücken. Als Grund dafür, dass es hier keine stärkere Partizipation anderer Antifastrukturen oder Einzelpersonen gegeben hat, sehen wir dabei weder einen Mangel an Bekanntheit noch einen inhaltlichen Dissens. Der Anspruch an eine selbstorganisierte Linke sollte sein, nicht nur antifaschistische Inhalte zu konsumieren, sondern selbst aktiv zu werden. In einigen Fällen hat das funktioniert, in anderen Fällen sehen wir hier Nachholbedarf.

 

Repression

Wie schon erwähnt, war die Kampagne schon anfänglich der Repression ausgesetzt, vor allem von der Kieler Polizei, der die erfolgreiche antifaschistische Öffentlichkeitsarbeit offensichtlich ein Dorn im Auge ist. Es wurde massiv versucht, öffentlichkeitswirksame Aktionen zu unterbinden. So wurden Teilnehmer_Innen der genannten Fahrradtour auf einem Friedhof, fernab vom Ort des Geschehens, festgesetzt und abfotografiert. Die erwähnte Bustour im September 2013 wurde daran gehindert, auch in Neumünster vor „Club 88“ und der rechtsoffenen Kneipe „Titanic“ halt zu machen. Im Nachhinein wurde regelmäßig gegen Anmelder_Innen und Redner_Innen antifaschistischer Kundgebungen ermittelt. So warf man der Anmelderin der Kundgebung vor dem „Eselpark“ der Familie August in Nessendorf ein Verstoß gegen das Versammlungsrecht vor. Besonders hervorgetan hat sich im Zuge der Repression der völkische Neonazi Henning Pless. Um Kundgebungen vor seinen Geschäftsräumen zu behindern, überzog er die Aktivist_Innen mit Anzeigen wegen vermeintlichem Hausfriedenbruchs und Ähnlichem. Ein Redner, der den ehemaligen HDJ-Funktionär als „Neonazi“ bezeichnete, erhielt dafür eine Anzeige wegen Beleidigung. Trotz dieser haarsträubenden Vorwürfe bietet sich die Kieler Polizei als willfährige Helferin an, offenbar dankbar, Anlässe für Ermittlungen geliefert zu bekommen. Offensichtlich richtet sich das Vorgehen der Polizei hier nicht gegen vermeintliche Straftaten, sondern, wie so oft, gegen einen konsequenten Antifaschismus. Dass die konkreten Vorwürfe selbst nach bürgerlichem Rechtsverständnis völlig haltlos sind, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass bis jetzt kein einziges Verfahren zum Nachteil der Betroffenen ausging. Sämtliche Ermittlungen wurden eingestellt oder bis heute verschleppt.

 

Fazit

Festhalten lässt sich, dass es der Kampagne gelungen ist, verschiedene neofaschistische Strukturen in das Licht der Öffentlichkeit zu rücken, denen bis dahin nur wenig oder keine antifaschistische Aufmerksamkeit galt. Durch öffentlichkeitswirksame Aktionen und Aufklärung konnten sowohl Neonazis direkt in ihrem Handeln beschränkt werden, als auch weitere Antifaschist_Innen motiviert werden, selbständig aktiv zu werden. In Bezug auf die Ausweitung auf bisher unbeachtete braune Geschäfte sehen wir hier aber auch durchaus noch Spielraum. Wir rufen daher auch weiterhin alle Antifaschist_Innen dazu auf, sich mit ihren Möglichkeiten und Vorlieben einzubringen, um Neonazis ihre Existenzgrundlage zu nehmen. Die Erfahrungen nicht nur dieser Kampagne zeigen, dass bereits mit einfachsten Mitteln Neonazis kräftig in die Bredouille gebracht werden können. Ebenso hat sich wieder einmal gezeigt, dass auch die Polizei ein Teil des Problems ist und vor allem gesellschaftlich akzeptierte Neonazis wie Henning Pless oder Eckart August nach Kräften unterstützt. Rigoros verfolgt die Staatsmacht Antifaschist_Innen und versucht sie zu kriminalisieren, selbst wenn auch nach bürgerlicher Rechtsauffassung kein Vergehen vorliegt.

 

An die Substanz!