NPD-Verbot Auf Drängen des Verfassungsgerichts legen die Länder Details über elf einstige V-Leute in der Partei offen – und räumen eine heikle Überwachung ein.
Die Warnung aus Karlsruhe erreichte die deutschen Innenminister auf einer Sonderkonferenz Ende März in Brüssel. Mit einem „Hinweisbeschluss“ machte das Bundesverfassungsgericht deutlich: Das von den Ländern angestrebte NPD-Verbot könnte scheitern. Die Richter verlangten konkrete Belege, wann und wie alle V-Leute in der Führungsebene der rechtsextremen Partei abgeschaltet worden seien. Ansonsten, so die unterschwellige Botschaft, werde auch dieser zweite Verbotsanlauf ein ungutes Ende nehmen. Nach außen gaben sich die Länderinnenminister damals gelassen. „Das werden wir hinkriegen, da bin ich ziemlich sicher“, sagte der nordrhein-westfälische Ressortchef Ralf Jäger (SPD). Doch in den Verfassungsschutzämtern sorgte man sich um den Schutz altgedienter V-Leute: Wie Karlsruhe informieren, ohne die einstigen Spitzel auffliegen zu lassen?
In dieser Woche haben die Länder nun ihre Stellungnahme samt mehreren Hundert Seiten Anhang an den Zweiten Senat des Verfassungsgerichts geschickt. Es ist ein Konvolut von Vermerken, Verfügungen und Protokollen aus dem Innersten der Sicherheitsbehörden. Mit der Vorlage dieser Dokumente sei man „an die Grenze des rechtlich Zulässigen gegangen“, schreiben die Verfahrensbevollmächtigten des Bundesrats, die Juraprofessoren Christoph Möllers und Christian Waldhoff.
Erstmals haben sich die Länder entschlossen, die Anzahl aller V-Leute zu nennen, die vor dem Verbotsantrag in der Führungsebene der NPD saßen. Demnach hatte der Verfassungsschutz zum Stichtag 1. Dezember 2011 nicht weniger als elf Quellen im Bundesvorstand oder den Landesvorständen der Partei platziert.
Drei der rechtsextremen Spitzenfunktionäre wurden vom Bundesamt für Verfassungsschutz geführt, zwei vom Bayerischen Landesamt und zwei weitere vom Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen. Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen und Niedersachsen hatten jeweils eine Vorstands-Quelle im Einsatz.
In allen elf Fällen, so versichern die Sicherheitsbehörden, sei die Zusammenarbeit mit den bezahlten Spitzeln rechtzeitig vor dem Verbotsantrag beendet worden, die letzte im April 2012. Mit Agentenromantik hatten die „Abschaltvorgänge“ wenig zu tun: Dem Papier zufolge wurden die V-Leute von ihren Quellenführern zu einem finalen Treff einbestellt, bei dem sie „Abschalterklärungen“ unterzeichnen mussten. Eine „Nachsorge“, so erfuhren die Spitzel, könne leider nicht stattfinden, jeder weitere Kontakt zum Geheimdienst müsse vermieden werden. Zum Abschied gab es eine „Abschaltprämie“.
Die Sicherheitsbehörden wollen die Namen der elf ehemaligen Zuträger weiterhin geheim halten. Eine „Offenlegung der Identität“, so heißt es in dem Schreiben an das Verfassungsgericht, würde sie nicht nur „erheblicher Gefahr“ aussetzen, sondern auch die „nachrichtendienstliche Tätigkeit in weiten Teilen unmöglich“ machen – potenzielle V-Personen würden abgeschreckt. Schon die Preisgabe der Anzahl und der „Abschaltdaten“ der elf NPD-Spitzel habe zu „deutlich erhöhten Enttarnungsrisiken“ geführt.
Höchstens ein sogenanntes In-camera-Verfahren sei noch vorstellbar, bei dem Vertreter des Bundesverfassungsgerichts die ungeschwärzten Geheimunterlagen hinter verschlossenen Türen einsehen könnten – inklusive der Namen der Spitzel. Ob die Karlsruher Richter sich darauf einlassen, ist jedoch fraglich. Das Verfassungsgericht wird zudem genau prüfen, ob die Länder sich an die Vorgabe halten, auf keinen Fall auszuforschen, mit welcher Strategie die NPD sich im Verbotsverfahren verteidigen will. Die Bundesratsvertreter haben dem Senat interne Rundschreiben vorgelegt, die den Behörden die „Entgegennahme nachrichtendienstlich erlangter Informationen über die Prozessstrategie der NPD“ verbieten.
Auch bei sogenannten G-10-Maßnahmen – also der Überwachung von Telefonaten, E-Mails oder Briefen – müsse sichergestellt werden, dass „keinerlei Informationen über ein NPD-Verbotsverfahren aufgenommen werden“.
In zumindest einem Fall hat sich der Verfassungsschutz jedoch nicht an diese Regeln gehalten, wie die Länder nun einräumen müssen. Es geht um einen NPD-Führungskader, der vom Brandenburger Verfassungsschutz überwacht wurde. Obwohl die Mitarbeiter des Geheimdienstes intern mehrfach „ausdrücklich darauf hingewiesen wurden, keine Inhalte zur Prozessstrategie der NPD im bevorstehenden NPD-Verbotsverfahren zu protokollieren“, sei bei dieser Überwachung im Dezember 2013 hierzu „eine Randerkenntnis“ festgehalten worden. Das brisante Protokoll landete bei fünf Landesgeheimdiensten – nur vier löschten es. In Sachsen liegt es bis heute in den Aktenschränken des Verfassungsschutzes. Denn dort darf nach dem Auffliegen der Terrorgruppe NSU nichts aus dem Bereich Rechtsextremismus gelöscht werden. Das Protokoll sei jedoch „für die Facharbeit gesperrt“, versichert man. „Sehr ärgerlich“ nennt ein Verfassungsschutz-Chef den Vorfall. Dass das Verbot daran scheitert, glaubt er jedoch nicht.
Die NPD wird sich die Panne vermutlich zunutze machen. Ihr Verfahrensbevollmächtigter, Peter Richter, hat schon abseitigere Vorstöße unternommen. In einem seiner Schriftsätze für Karlsruhe beantragte er, „Herrn Edward Snowden“ vorzuladen – zum „Beweis der Tatsache“, dass der amerikanische Geheimdienst NSA ihn und seine Partei ausspähe.
Hubert Gude, Sven Röbel, Wolf Wiedmann-Schmidt