Kongress der (Un-)Möglichkeiten in Berlin

Einstieg Ausstieg Deckblatt 1996

Kongress der (Un-)Möglichkeiten in Berlin »Vom 30. April – 10. Mai 2015 veranstalten das HATE Magazin im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien in Berlin mit Unterstützung des CCCs einen Kongress, der sich auf theoretischer und praktischer Ebene mit Interventionsmöglichkeiten im Internetzeitalter beschäftigt. (…) einen Kongress der Möglichkeiten: Die veränderten technischen Voraussetzungen und das konstatierte Ende der großen Erzählungen sind der Beginn einer neuen Form von Lebensentwürfen und ihrer Beschreibungen. Der Kongress versucht Fragen zu stellen und zu beantworten: Wie können wir gestalten? Welche Rückschlüsse lassen sich aus Erfahrungen mit den veränderten Bedingungen machen? Wie sieht eine konkrete Interventionspraxis in der digitalen Zukunft aus?«

 

Unter diesen groß gespannten Bogen suchte die an der Vorbereitung Beteiligten nach einem Beitrag, der die angekündigte »theoretische und praktische Interventionsmöglichkeit« bereits eingelöst hat. Sie stießen auf den Film ›How to come trough- Ein Spiel- und Lehrfilm‹ aus dem Jahre 1995/96: »Begleiten Sie uns auf einem Spaziergang zu den Schnittstellen der Informationsgesellschaft« (Ankündigungstext)

 

Der Film beginnt mit Nachrichten des Hessischen Fernsehens. Der Sprecher berichtet über einen Anschlag vom 1. Februar 1995 auf das Glasfasernetz rund um den Frankfurter Flughafen. Boarding-Computer fielen aus, Geldautomaten rückten kein Geld mehr heraus, Telefonverbindungen waren unterbrochen. Als Begründung für diesen Anschlag erwähnt der Sprecher ein Schreiben einer Gruppe namens ›Keine Verbindung e.V.«, die ihre Aktion mit der Bedeutung des Frankfurter Flughafens für die Abschiebepolitik Deutschlands in Verbindung brachte. Kurz darauf wird ein Sprecher der Telekom, die das Glasfaserkabelnetz unterhält, mit den Worten anmoderiert:

»Die Telekom wurde heute nicht müde, aller Kritik zum Trotz, stets das Eine zu betonen, ›dass unser Netz internationalen Standards Stand hält. Es ist so sicher, wie es eben nur sein kann. Allerdings ist auch unter Experten unumstritten, dass sie mit krimineller Energie fast alles oder gar alles tun können‹.« Der Film, die Erstürmung des Filmvorführungsortes in Frankfurt, des Cafe Exzess am 27.9.1996 durch die Polizei und die anschließende Diskussionen um genau diese ›Interventionsmöglichkeiten‹ sollte Gegenstand einer Veranstaltung im Rahmen des besagten Kongresses sein.

 

Auf der Suche nach dem Film stießen die Vorbereiter auf ein Strafverfahren, in dem dieser Film, meine Festnahme und die Beteiligung an mehreren Veranstaltungen, die folgten, erwähnt wurde. Der Anfrage, ob ich zu diesem Film und die daraufhin entfachte Diskussion etwas sagen könne und wolle, stimmte ich zu. Wer hätte bei diesem klar umrissenen Thema gedacht, dass das Thema Israel dem Ganzen einen Strich durch die Rechnung macht? Ja, in Berlin ist einiges möglich – vor allem so etwas … Die Redaktion des Hate Magazines durchleuchtete – im Zeitalter des Internets schnell und stichwortartig – meine politische Biografie. Sie gefiel ihr nicht:

 

»Lieber Wolf Wetzel, wir haben jetzt noch einmal genauer auf Deine Seite geschaut und haben leider ein Problem mit Deiner Einstellung zu Israel. Dass Du bei ken.fm warst, hätten wir ja noch irgendwie ignorieren können, aber Israel als Kindermörder zu bezeichnen und einen komplizierten Prozess auf einen Schuldigen zu reduzieren, deckt sich nicht zu unserer Vorstellung von linker und linksradikale Politik. Daher müssen wir Dir leider für den Kongress absagen. Viele Grüße Hate Redaktion«

 

Nun, natürlich hängt alles irgendwie miteinander zusammen. Aber was meint die Hate-Redaktion mit »meiner Einstellung zu Israel«?

Ich gehe einmal wohlwollend davon aus, dass die Hate-Redaktion nicht die vielen Beiträge und Positionspapiere gelesen hat, die wir als ›autonome LUPUS-Gruppe‹ verfasst und publiziert haben. (Sie befinden sich auch auf besagter ›Seite‹) So intensiv muss eine Internetrecherche wohl auch nicht sein – für eine Absage.

Dann wäre es zumindest ein Leichtes gewesen, eines sehr schnell zu belegen: Weder die autonome LUPUS-Gruppe noch ich haben in den mittlerweile 25 Jahren den Palästina-Konflikt auf ›einen Schuldigen reduziert‹. Es gibt ein langes und damals auch sehr viel diskutiertes Papier aus den 90er Jahren, in dem wir die nationale Rhetorik der (radikalen) Linken, die sich mit dem palästinensischen Widerstand solidarisiert hatte, kritisieren: ›Die verlorenen Unschuld – zum Teufel mit den Opfern‹ (Die Hunde bellen … Von A bis RZ. Eine Zeitreise druch die 68er Revolte und die milianten Kämpfe der 70er bis 90er Jahre, Unrast Verlag, 2001)

Das war zu einer Zeit, als die Hamas noch gar keine Rolle spielte und die Idee eines palästinensischen Staates Gewicht hatte, in dem weder die Religion, noch die nationale Zugehörigkeit eine Rolle spielen sollte; als es noch um mehr ging, als die jeweiligen nationalen Mythen und Erzählungen in Staatsanleihen umzuwandeln. Als es noch (natürlich nicht immer und überall) darum ging, nicht mit Opfern (Shoa – Al Nakba) Politik zu machen, sondern mit dem sich zu verbinden, was die Menschen an Zielen und Vorstellungen formulieren und umzusetzen versuchen!

Keine Frage, diese Form der Solidarität ist heute schwieriger geworden – in Palästina, wie fast überall auf der Welt. Dass aufgund dieser politischen Geschichte eine Solidarität mit den Opfern israelischer Politik heute noch dümmer ist, als vor 20 Jahren, dürfte nachvollziehbar sein. Traurige Tatsache ist auch, dass in Israel wie in Palästina die radikale Linke so schwach ist – wie hier, in Berlin und sonstwo. Dominant sind nationale, religiöse, kapitalismusimmanente, reaktionäre Erzählungen, die sich in Form der Hamas und der gegenwärtigen reaktionären israelischen Regierung nichts geben. Wenn sie sich nicht gerade auf den Füssen herumstehen würden, wäre sie beste Freunde, ideologische Seelenverwandte.

 

Was meinst also die Hate-Redaktion mit behaupteter Einseitigkeit, die sich nicht mit unserer Vorstellung von linker und linksradikale Politik deckt? Hier liegt in der Tat ein Kernpunkt, der uns möglicherweise in der Tat trennt, und zwar ganz grundsätzlich. Wenn sich die Hate-Redaktion einer linken und linksradikalen Politik zuordnet, dann wäre doch Herrschaftskritik ein zentrales Element dieser Gemeinsamkeit. Und genau darin begründet sich eine klare eindeutige Stellungnahme, die auch auf der ›Seite‹ zu finden ist, unter dem Titel: Wer hat angefangen? Gaza – ein Gefängnis ohne Wärter:

 

»Eine der zentralen Grundideen einer politischen Linken (jenseits aller notwendigen Unterschiede) ist, Herrschaftsverhältnisse offen zu legen, anstatt sie (mit) zu verschleiern. Wer ist einem Konflikt der ›Herr‹, wer ist der ›Knecht‹? Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob man den ›Knecht‹ mag! Wenn dies immer noch gilt, dann kann man Gottesverheißungen und Besatzungen, Raketenbeschuss und außergerichtliche Hinrichtungen, Selbstmordanschläge und Bombardierungen durchaus einordnen.

Dann geht es nicht darum, was schlimmer ist, was (nur) eine Reaktion ist, was der Antwort vorausging. Dann wäre der gemeinsame Ausgangspunkt folgender:

Der Schlüssel zur Beendigung von Besatzung und Vertreibung liegt nicht dort, wo diese Unterdrückung erlebt wird, sondern dort, wo sie erzeugt und aufrechterhalten wird.

Wer einen dezidiert ›jüdischen Staat‹ als einzige politische Antwort auf die Shoa und den nach wie vor existenten Antisemitismus sieht, ohne gleichzeitig und vehement für einen lebensfähigen palästinensischen Staat einzutreten, der kann diesen politischen Irrsinn nur mit Terror und Krieg ›verteidigen‹.«

 

Es geht also nicht mit einem Wort darum, die Hamas oder die palästinensische Autonomiebehörde zu ›verteidigen‹, sondern das Herrschaftsverhältnis zu benennen, es nicht hinzunehmen – weder in Israel. Noch in Deutschland. In der Absage wird weiterhin auf einen Beitrag hingewiesen, der den Titel trägt: ›Staatsterrorismus und Kindesmörder‹, der sich mit dem Gaza-Krieg 2014 auseinandersetzt.

Wenn man den Titel hört kommt man gerne und schnell zu dem Urteil, dass es sich dabei um ein antisemitisches Klischee handelt. Das sagt die Hate-Redaktion nicht, aber genau das steht mit der Absage im Raum.

Wer den Text genau liest, kann den Sinn dieses in der Tat provokanten Titels verstehen. Es geht darum, den Vorwurf des Kindesmordes in den jeweiligen Kontext zu stellen, anstatt ihn mit einem offenen oder unterschwelligen Antisemitismusvorwurf zum Verschwinden zu bringen. ›Kindesmörder‹ ist ein bekanntes antisemitisches Stereotyp, wenn es darum geht, Juden für etwas verantwortlich zu machen, was sie gar nicht begangen haben, Juden eine Grausamkeit und Hinterhältigkeit zuzuschreiben, die in ihrem Wesen läge, also nicht bewiesen werden muss. Im Antisemitismis - und das ist ein zentrales Axiom dieser Ideologie- werden die Herrschaftsverhältnisse auf den Kopf gestellt, den Juden eine Macht zugeschrieben, die sie gar nicht haben.

Wenn hingegen in Palästina, im zerbombten Gaza-Streifen Menschen ›Kindesmörder‹ rufen, weil alleine in diesem Krieg über 500 Kinder ermordet wurden, dann folgen diese Menschen keinem antisemitischen Ressentiment, sondern der nackten Wirklichkeit. Die israelische Armee, die israelische Regierung hat in diesem wie in den vorangegangenen Kriegen bestimmt, was vom Gaza-Streifen übrig bleibt, wieviel Menschen den Bombardements, der Aufrechterhaltung der Besatzung zum Opfer fallen, wenn sie der Maxime eines israelischen Ex-Generals folgen: Alle paar Jahre in Gaza den Rasen mähen …

Es lag einzig und alleine in ihrer Macht. Niemand konnte sie aufhalten, weder die Hamas, noch irgendeine Linke – geschweige denn all jene, die ihre bedingungslose Solidarität mit Israel verkünden.

 

In diesem Text ging es darum, einen klare Unterscheidung zu treffen:

Der Antisemitismus in Europa imaginiert einen Juden, der das, was man am Kapitalismus nicht schön findet, ins Reich einer jüdischen (Welt-)Verschwörung überführt. Wir hätten also genug damit zu tun, all diese Formen des Antisemitismus, hier, zu bekämpfen.

Im Palästina-Konflikt ist die Macht der Juden (in Gestalt des jüdischen Staates) keine Imagination, sondern Ausdruck eines Herrschaftsverhältnisses; es ist Alltag für all die Menschen, die den Lebensbedingungen in den besetzten Gebieten und im ›Freiluftgefängnis Gaza‹ ausgesetzt sind. Sich dagegen zu stellen ist, nicht irgendwo in der Mitte und angeblich ausgewogen, wäre eine zentrale Aufgabe einer radikalen, linksradikalen Linken … und eine Vorstellung am Leben zu halten, mit Leben zu füllen, die sich nicht über das Opfer-sein definiert, sondern über das, was über Herrschaftsverhältnisse hinausweist.

All das könnte man, sollte man diskutieren – anstatt Israel-Fahnen zu schwenken oder die Hamas als ›objektiven‹ Faktor im Antiimperialismus zu verkaufen.

 

Nun, der ›Kongress der Möglichkeiten‹ hat sich anders entscheiden. Schließlich ist das alles ja – eigentlich - nicht Thema des Kongresses.

Deshalb zurück zum Thema: Der Kongress sucht nach und fordert zu Interventionsmöglichkeiten auf. Nicht ganz so weit wie Israel liegt Berlin entfernt. Warum diskutiert der ›Kongress der Möglichkeiten‹ nicht wirklich naheliegendes?

Die Gruppen ›Das Grollen des Eyjafjallajökull‹ und ›Das Hekla-Empfangskommitee – Initiative für mehr gesellschaftliche Eruptionen‹ haben sich 2011 nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch zu diesem Thema geäußert. Es gab lange, heftige Debatten, quer durch alle Medien, sehr gut dokumentiert. Mehr als genug, um alles aus dem blinden Netz zu holen und ein bischen aus dem Spiel der ›Möglichkeiten‹ herauszutreten.

Warum greift der Kongress nicht diese Diskussion, diese Form der Intervention auf?

Ein wenig zynisch, vor allem verärgert könnte ich hinzufügen: Soweit mir bekannt ist, haben sich beide Gruppen nicht (einseitig) zu Israel geäußert.

 

Wolf Wetzel

 

Ein Gutes hatte diese Anfrage dennoch: Ich habe mir den Film noch einmal in Ruhe angeschaut. Ich habe die Diskussionspapiere dazu gelesen und habe beides in einem Beitrag zusammengefasst – der in dem Buch ›Der Rechtsstaat im Untergrund‹, das im PappyRossa Verlag, im Herbst 2015 erscheinen wird.