Nachdem klar ist, dass der Anschlag auf das Asylheim von einem Anwohner verübt wurde, sind viele Escheburger bestürzt. Sie wollen die Flüchtlinge nun willkommen heißen.
Escheburg. Die Tür ist zu, der Kleinwagen im Carport. Doch niemand öffnet heute in der freundlich wirkenden Haushälfte mit der rotgestrichenen Holzfassade in Escheburg (Herzogtum Lauenburg): Der Hausherr ist vorerst festgenommen worden. Er hat gestanden, in das Haus nebenan einen Brandsatz geworfen zu haben. Weil dort Asylbewerber einziehen sollten. „Ich sage dazu nichts mehr“, knurrt ein direkter Nachbar. Dann beginnt er, auf die Presse zu schimpfen. Der Grund vor seinem Haus sei übrigens privat, da habe niemand etwas verloren. „Ja?“
Dass es der eigene Nachbar war, der heimlich einen gefüllten Kanister nahm, ihn mit einem Stoffstreifen entzündete und durch das Fenster der — noch leeren — Flüchtlingsunterkunft warf, will hier niemand gewusst haben. Auch, wenn manche dies anfangs vermuteten. Immerhin stürmten 15 Nachbarn gemeinsam das Büro der Leitenden Verwaltungsbeamtin im zuständigen Amt Hohe Elbegeest, um ihrem Unmut Luft zu machen. Dennoch geht auch die Polizei inzwischen von einer Einzeltat aus.
Und tatsächlich: Wer mit den Anwohnern spricht, merkt schnell, dass die Stimmung sich gedreht hat in Escheburg. Die anfängliche Empörung über die Ankunft von bis zu zwölf männlichen Asylbewerbern ist Bestürzung gewichen. „Dass das alles schlimm ist, was geschehen ist, muss man wohl nicht extra sagen“, meint ein Escheburger. „Schrecklich, dass so etwas vorkommt.“ Was ein Nachbar getan habe, färbe auf das ganze Dorf ab. „Der Rufschaden ist langfristig der größte Schaden.“ Es sei im übrigen richtig, die Unterkunft trotz allem wieder für Asylbewerber herzurichten. „Man muss diese Leute aufnehmen.“
Neue Töne, wo vorher Bedenken und Angst überwogen. Die Aufklärungsarbeit von Amt und Bürgermeister und eine gemeinsame Mahnwache mit Ministerpräsident Torsten Albig vorigen Sonnabend mögen dazu beigetragen haben. Vielleicht aber half auch das Entsetzen über die Tat - die nicht etwa von Fremden oder Neonazis begangen wurde, sondern von einem biederen Familienvater, den viele kennen.
Der 38-Jährige arbeitete in Hamburg als Finanzbeamter und macht auf seiner Facebook-Seite Werbung gegen die Verschmutzung der Meere. Ein sympathisch aussehender Mann, bisher völlig unauffällig.
„Traurig“, meint ein anderer direkter Nachbar, der den Brandstifter kennt. Er glaube an eine „dumme Idee“, eine „Tat im Affekt“. „Er wird es selbst am meisten bereuen, was er getan hat. Das war nicht durchdacht.“ Es eine Tragödie, dass M. sich zu der Tat habe „hinreißen lassen“. „Vor nur zwei Wochen war die Welt auch für ihn noch in Ordnung. Und nun das.“ Dass wohl kein Profi am Werk war, vermuteten die Experten von Polizei und Feuerwehr gleich. Viel mehr als eine kaputte Scheibe und einen verkohlten Fleck am Fußboden hat der Anschlag an sichtbaren Schäden nicht verursacht.
Während viele aber noch vorige Woche zwölf junge irakische Männer in Escheburg für untragbar hielten, allenfalls eine Familie akzeptieren wollten, scheinen nun fast alle geläutert. „Irgendwo müssen diese Menschen ja hin“, sagt Sonja K. (35). „Jetzt erst recht“, meint sie, man müsse ein Zeichen setzen nach dem Anschlag. „Ich denke, dass die Asylbewerber jetzt auf jeden Fall hier einziehen sollten“, bekräftigt auch der Escheburger Marc Brockmann (50).
Die Asylbewerber selbst, die ursprünglich in das Haus eingewiesen werden sollten, blieben nach Auskunft des Kreises vorerst in der Gemeinschaftsunterkunft in Gudow oder wurden in einer anderen Wohnung untergebracht. „Sie wussten bei ihrer Ankunft nichts von dem Anschlag“, so Kreissprecher Karsten Steffen. Inzwischen sei das anders, meint David Oruzgani (42, Grüne), der stellvertretende Bürgermeister von Escheburg. Er stammt selbst aus Afghanistan und lebt unweit vom Anschlagsort. Unter den Asylbewerbern gebe es durchaus eine gewisse Verunsicherung. Deshalb dürfe die Escheburger Unterkunft nun nicht zu schnell bezogen werden. „Das darf man diesen Menschen nicht antun.“ Manche hätten schreckliche Dinge erlebt. Er berichtet von einem Flüchtling, der bei einem Bombenanschlag Frau und Kind verlor und selbst schwer verletzt wurde.
Er selbst, so Oruzgani, sei seit 1979 in Deutschland und arbeite heute als IT-Manager. Er kenne die Vorurteile der Anwohner, versichert er. „Ich sage denen: ,Schaut mich an. Ich war auch mal ein Asylbewerber.‘“ Teilweise fehle ihm das Verständnis für die Befürchtungen seiner Nachbarn. Auch, was den Täter angehe. „Ich kenne den Mann natürlich. Ich verstehe vor allem nicht, wie er seiner Familie so etwas antun konnte.“ Die Tat habe „alles verkompliziert“. „Wir wollen jetzt eine Willkommenskultur einrichten.“ Am Montagabend soll dazu eine weitere Informationsveranstaltung stattfinden. „Es tut mir leid, dass es vorher so weit gekommen ist.“ Wie er ist auch Nicole Maack (44), deren Tochter Finja (10) die die Escheburger Grundschule besucht, deren Hof an das Asyl-Haus grenzt, „erschüttert über den Anschlag.“ „Wir müssen zeigen, dass man in Deutschland weiter ist.“