Die deutsche Öffentlichkeit schaut voller Unbehagen nach Dresden: Dort ziehen fremdenfeindliche Demonstrationen inzwischen Tausende an. In anderen Städten wird versucht, das Modell zu kopieren.
"Ausländer raus"-Parolen wird man auf den wöchentlichen Demonstrationen der "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (Pegida) vergeblich suchen. Stattdessen sind die Organisatoren um ein freundliches Bild bemüht: Die Deutschland-Fahnen, der Slogan "Wir sind das Volk" und der Montags-Termin sollen an die Montagsdemonstrationen erinnern, die vor 25 Jahren die Regierung der DDR zu Fall brachten. Die professionell gestalteten Transparente bleiben vage: "Für die Erhaltung unserer Kultur", "Gegen religiösen Fanatismus", "Gegen Glaubenskriege auf deutschem Boden". Die Organisatoren distanzieren sich vom Rechtsextremismus, sprechen von der "christlich-jüdischen Abendlandkultur" und differenzieren zwischen Islam und Islamismus, zwischen "Kriegs-" und "Wirtschaftsflüchtlingen". Und doch weiß jeder, worum es hier eigentlich geht: dass Islamist für Muslim und Wirtschaftsflüchtling für Flüchtling steht - und beide zusammen eine Chiffre für Ausländer sind.
Das Rezept hat Erfolg. Dem ersten Aufruf waren Mitte Oktober nur einige hundert Demonstranten gefolgt, danach stieg ihre Zahl kontinuierlich. Am vergangenen Montag zählte die Polizei 7500 Teilnehmer. Zwar sehe man auf den Demonstrationen stadtbekannte Nazis, Hooligans und Rocker, sagt die linke Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz. Zugleich seien dort aber auch normale Bürger, die durch Berichte über islamistischen Terror oder durch diffuse Ängste wegen neuer Flüchtlingsheime in ihrem Umfeld aufgeschreckt worden seien. "Es ist also ein Konglomerat aus Trägern einer rassistischen Ideologie und besorgten Bürgern, die in diesem Prozess radikalisiert werden", so die Sprecherin für antifaschistische Politik der linken Landtagsfraktion.
Inzwischen gibt es in anderen Städten Versuche, das Konzept zu kopieren - mit unterschiedlichen Ergebnissen. In Chemnitz lockte eine islamfeindliche Demonstration Ende November rund 400 Menschen an; die Gegendemonstration war ebenso groß. In Kassel wurden am vergangenen Montag rund 80 Demonstranten von 500 Gegendemonstranten gestoppt. Neben der Kasseler "Kagida" finden sich auf Facebook inzwischen die Bonner "Bogida", die Darmstädter "Dagida" und zahlreiche andere Gruppen. Ein Facebook-Profil ist schnell eingerichtet, doch ob sich das Mobilisierungs-Konzept aus Dresden so ohne Weiteres kopieren lässt, muss sich erst noch zeigen.
"Kleinunternehmer und Kümmerexistenzen"
Denn die Bewegung in Dresden weist einige Besonderheiten auf. So stecken hinter den Demonstrationen offenbar keine Neonazi-Strukturen. Zu den ersten Pegida-Versammlungen hätten die Organisatoren, die bis dahin politisch nicht aufgefallen waren, vor allem in ihrem Umfeld mobilisiert, sagt Danilo Starosta vom Kulturbüro Sachsen, das unter anderem die rechte Szene beobachtet. "Das sind Kleinunternehmer und Kümmerexistenzen, also der kleine Mann und die kleine Frau, wenn man so will", sagt Starosta. Erst in den Folgewochen seien nach und nach organisierte Neonazis dazu gestoßen.
Andreas Zick, Direktor des Bielefelder Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung, hält es für keinen Zufall, dass sich die neue Bewegung in Dresden gebildet habe. Er verweist auf die jahrelangen Neonazi-Aufmärsche zum Jahrestag der Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg. "Die sind erfolgreich bekämpft worden", sagt Zick. "Jetzt hat sich dort eine bürgerlich-rechtspopulistische Bewegung gebildet, gegen die es viel schwieriger ist zu protestieren, weil sie weniger als extremistisch angreifbar ist." Der Gegendemonstration am Montag gelang es zwar, den Pegida-Zug zu stoppen, doch mit tausend Teilnehmern war sie deutlich kleiner. Verschiedene Institutionen und Organisationen wollen das ändern: Für kommende Woche planen sie einen großen Sternmarsch in Dresden.
Zicks Institut untersucht jedes Jahr in einer großen Studie, wie verbreitet Feindseligkeit gegenüber verschiedenen Minderheiten ist. "Klare rechtsextreme Einstellungen gehen zwar zurück", sagt Zick. "Zugleich gibt es aber recht stabile Gruppen - das sind bürgerliche Mittelschichten -, die Zuwanderung stark ablehnen und eine chauvinistische Grundeinstellung haben." Die Pegida-Bewegung habe das Potenzial, sich bundesweit auszubreiten, da sie vorhandene Einstellungen bediene, sagt Zick. Rund ein Viertel der Bevölkerung sei empfänglich für rechtspopulistische Ideen.
Testlauf in Düsseldorf
Ein Testlauf startet am kommenden Montag unter anderem in Düsseldorf. Auf der Facebook-Seite der Dügida haben sich bereits mehr als tausend Teilnehmer angemeldet, wie viele tatsächlich kommen werden, lässt sich noch nicht abschätzen - zumal die Mobilisierung weit über die Stadtgrenzen hinaus geht. Inzwischen ist eine Gegendemonstration geplant, zu der ein breites Bündnis aufruft.
Anders als in Dresden ziehen bei dem Protest in Düsseldorf und in anderen Städten offenbar organisierte Rechtsextreme die Fäden. Berichten zufolge stehe hinter Dügida ein Anwalt, der als Rechtsaußen der rechtskonservativen Partei "Alternative für Deutschland" bekannt ist und der erst unlängst bei einer Demonstration von Neonazis und Hooligans in Hannover auftrat. "Diese Demonstration stößt vor allem im Spektrum rechts außen auf Zuspruch", sagt der Düsseldorfer Rechtsextremismus-Forscher Alexander Häusler. "Parteien wie die Republikaner oder offen neonazistische Gruppen wie die Splitterpartei 'Die Rechte' mobilisieren ihre Anhängerschaft dorthin."
Genau das aber könnte viele potenzielle Teilnehmer abschrecken. "Eine Bewegung, die mit dem Feindbild Islam breitenwirksam erfolgreich sein will, darf nicht mit offenem Rechtsradikalismus in Verbindung gebracht werden", sagt Häusler. "Sie muss den Schein des Bürgerlichen, des Seriösen nach außen tragen."