In Dresden demonstrieren Tausende gegen eine vermeintliche Islamisierung. Der Politik trauen sie nicht, mit Medien reden sie nicht, aber im Recht sind sie ganz sicher. von Lenz Jacobsen, Dresden
Dunkel und sehr kalt ist es im Abendland, aber die Patrioten stört das nicht. Heimelig ist die Stimmung und die gemeinsame Sache wärmt. Ein paar Tausend Menschen stehen an diesem ersten Dezemberabend am Rande der Dresdner Altstadt. Familien, Rentner, Gruppen junger Männer und mittelalte Frauen mit rot gefärbten Kurzhaarfrisuren. Nazis sind keine zu sehen, aber die kann man ja längst nicht mehr an Äußerlichkeiten erkennen. Dazu müsste man schon mit ihnen reden, oder besser: Sie müssten mit einem reden.
Tun sie aber nicht. Die "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (Pegida) sind still. Nur einen Spruch rufen sie immer wieder: "Wir sind das Volk". Aber auf die Frage, welches Volk sie denn meinen, wer dazu gehört und wer nicht, möchten sie nicht antworten, zumindest der Presse nicht. Ein Volk hat sich nicht zu erklären. Es ist einfach da und hat deshalb recht.
Pegida hat sich in den vergangenen Wochen von einer Dresdner Mini-Demonstration in ein deutschlandweites Phänomen verwandelt. Jeden Montag ziehen mehr Menschen auf "Spaziergängen" durch die Innenstadt, obwohl keine Parteien oder andere schlagkräftige Organisationen dahinter stehen und obgleich überregionale Medien die Proteste bisher weitgehend ignorieren. Vergangene Woche waren es 5.500, diesmal wird die Polizei am Ende von 7.000 sprechen, trotz der Kälte. In etlichen anderen Städten gibt es mittlerweile kleine Ableger.
Es ist nach den Montagsmahnwachen und den "Hooligans gegen Salafisten"-Veranstaltungen die dritte Welle von Protesten, die sich gegen eine vermeintliche Islamisierung, aber auch gegen Politik und Medien richtet. Pegida kommt dabei weitgehend ohne die Gewalttätigkeit der Hooligan-Demos aus, und weitgehend auch ohne die Verschwörungstheorien der Montagsmahner und Reichsbürger, die in Flugzeugabgasen ein Mittel zur staatlichen Gedankenkontrolle vermuten. Nein, die Patrioten treiben andere Sorgen um.
Wird Christstollen umbenannt?
Lutz Bachmann nimmt sich ein Mikro, er ist der Veranstalter der Pegida-Demo. Ein nicht sehr großer Mann, dessen Gesichtszüge durch einen Vollbart weich wirken. Er schimpft ein wenig auf die "Heime mit Vollversorgung" für Flüchtlinge, während die deutschen Alten sich "manchmal noch nicht mal ein Stück Stollen leisten können zu Weihnachten". Überhaupt, der Stollen. "Es ist eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis auch der Dresdner Christstollen, der Nürnberger Christkindlglühwein oder Pulsnitzer Weihnachtslebkuchen umbenannt werden." Schließlich hieße jetzt in Berlin der Weihnachtsmarkt schon Wintermarkt, um die religiösen Gefühle von Nicht-Christen nicht zu verletzen.
Das sind so die Probleme hier. Die Angst vor Islamisierung hat viele Facetten. Sonder-Schwimmstunden für muslimische Mädchen gehören ebenso dazu wie Schlägereien zwischen Muslimen und Jesiden in deutschen Städten oder Berichte über die Greueltaten des IS in Syrien. Alles zusammen türmt sich für die Menschen hier zu einer gefühlten Bedrohung auf.
Dazu kommt, und vielleicht ist das entscheidender, das Gefühl, allein gelassen zu werden von der Politik. Verbitterung und Misstrauen sind die Folgen. "Wer denkt eigentlich an uns, wenn solche Gesetze erlassen werden", ruft Bachmann in die Menge. "Wir sind eigentlich der Gastgeber und sollten die Tischregeln bestimmen. Heute ist es wieder an der Zeit, den Herrschenden ganz klar Einhalt zu gebieten, und unsere Kultur zu schützen." Da jubeln sie so laut wie nie an diesem Abend. Bachmann erwähnt auch die Pläne des Innenministers Thomas de Maizière, der kriminelle Ausländer schneller abschieben will. Er findet das gut, traut dem Minister aber nicht. "Ich halte auch das wieder für Augenwischerei und Beruhigungstaktik, damit das Volk wieder auf der Couch vor dem RTL2-Programm Platz nimmt und bloß nicht anfängt zu denken."
Mit der Presse reden sie nicht
Das ist nun genau die Stelle, an der man mit Bachmann oder irgendwem anders hier endlich ins Gespräch und ins Denken kommen müsste. Darüber, warum sie allen Politikern nur Böses unterstellen. Wo denn für sie genau die Grenze verläuft zwischen der Akzeptanz von Muslimen und der kulturellen Selbstaufgabe des Abendlandes. Müssen alle so leben wie sie selbst, oder dürfen sie ihr Anderssein nur nicht zu deutlich zeigen? Und was wurde ihnen, so ganz persönlich, eigentlich schon kaputtislamisiert?
Fragen wir das mittelalte Funktionsjackenpärchen da drüben. Hallo, reden Sie mit der Presse? "Nein, das wird ja sowieso alles verdreht." Dann vielleicht der Mann mit der Wollmütze und der Deutschlandfahne, warum sind Sie hier? "Meine Mama hat mir beigebracht, dass es den Geist gesund hält, an die frische Luft zu gehen, deshalb bin ich hier", grinst er. "Mehr sage ich nicht."
So geht das immer weiter. Zwölf Anläufe, niemand will mit Journalisten sprechen. Selbst die Hooligans sind gesprächsbereiter, selbst die Rechtspopulisten von Pro Köln, die salafistischen Anhänger von Pierre Vogel oder die Verehrer des türkischen Ministerpräsidenten Erdoğan. Sie alle wollen argumentieren oder zumindest ihre Botschaft loswerden, sie wollen andere überzeugen, dass sie recht haben. Die Menschen bei Pegida wollen niemanden mehr überzeugen. Sie sind ja selbst schon das Volk.
Ärger über "Claudia Fatima Roth"
Lutz Bachmann selbst gibt eigentlich auch keine Interviews. Fragen der Sächsischen Zeitung beantwortete er nur schriftlich, und als sich der Journalist vorbehielt, die Antworten zu kürzen, fühlte sich Bachmann gleich an die DDR erinnert: "Diese Methoden sind den Bürgern noch allzu gut bekannt und sie werden auch diesmal, wie vor 25 Jahren, nicht funktionieren." Für ihn ist das alles Diffamierung, Diskreditierung. Auch die Fragen nach seiner Vergangenheit.
Bachmann ist mehrfach vorbestraft, er geht offen damit um, es ist viele Jahre her. Bachmann hat im vergangenen Jahr bei Facebook geschrieben, "Clauda Fatima Roth" und die "Öko-Terroristen" gehörten "standrechtlich erschossen". Dass all das hier nun wieder aufgeführt wird, wird er als Kampagne gegen sich verstehen. Aber vielleicht kann das ja jeder selbst entscheiden, ob diese Fakten "an der Sache, um die es Pegida geht, aber auch gar nichts ändern", wie Bachmann sagt.
Dann ziehen sie los, entlang der Dresdner Altstadt Richtung Elbe. Sie schwenken ein paar Deutschlandfahnen oder halten Ortsschilder hoch, um zu zeigen, wohin sich Pegida schon verbreitet hat. Von der anderen Straßenseite rufen die Gegendemonstranten herüber, mehrere Hundert sind es. "Pegida, Faschistenpack, wir haben euch zum kotzen satt", oder "Nationalismus, raus aus den Köpfen!" Manchmal versuchen einige der schwarz gekleideten Antifa-Jugendlichen durchzubrechen durch die Polizistenreihen zur Pegida-Seite, aber erfolglos. "Lasst die Kinder doch schreien", sagt ein Ordner zu den patriotischen Spaziergängern, und die grinsen nur über die Spinner da drüben.
Niemand hat Karl-Heinz als Nazi beschimpft
An der Elbe dann blockieren die Gegegendemonstranten den Weg, alles bleibt stehen, und es findet sich dann doch noch jemand, der reden will. Karl-Heinz, 68 Jahre alt, ärgert sich, dass er hier steht und nicht die Muslime. "Ich will die hier sehen, wenn es angeblich nicht islamisch ist, was der IS in Syrien macht." Jeden Montag ein muslimischer Spaziergang gegen islamistischen Terror, das wünscht er sich.
Karl-Heinz, graue Haare und randlose Brille, der seinen Nachnamen nicht nennen will, ärgert sich auch über Wirtschaftsflüchtlinge. "Wer wirklich leidet, die Syrer, die können ja gerne kommen, aber es war doch ein Fehler, für alle die Grenze zu öffnen, die arm sind." Offene Grenzen für Arme? Laut Asylgesetz dürfen Menschen doch nur dann hier bleiben, wenn sie aus politischen oder humanitären Gründen verfolgt werden.
"Jaja", sagt Karl-Heinz, "das ist ja auch gut so, aber dass hier auch welche versorgt werden, auch mit Gesundheitsversorgung und allem, die gar nicht eingezahlt haben, das geht doch nicht." Sie meinen die Asylbewerber? Aber die werden doch nur so lange versorgt, wie ihr Verfahren läuft und bis also festgestellt ist, ob sie einen Asylgrund haben oder wirklich nur wegen des Geldes hier sind. Was wollen Sie denn nun von der Politik genau?
Da sagt Karl-Heinz: "Ich bin der Meinung, das könnte schneller gehen. Das erkennt man doch schneller, warum jemand hier ist. Da setzt man die halt mal zum Psychologen." Also demonstriert er heute letztlich dafür, dass der Staat mehr Psychologen zur Behandlung der Asylverfahren einstellt?
"Natürlich ist das rechts hier"
Karl-Heinz grummelt die Frage weg und sagt: "Natürlich ist das rechts hier, ich würde mich schon als rechts bezeichnen, nur bloß nicht als rechtsradikal." Er ist jetzt in Fahrt. "Also das ist doch was anderes, das ist ja fürchterlich.Wie kann man dem entkommen, ohne das man gleich als Nazi beschimpft wird." Niemand hat Karl-Heinz als Nazi beschimpft.
Er hat übrigens eine Enkelin, die lebt in Berlin "und die sagt, ja, sollen sie doch kommen, immer mehr Ausländer sollen zu uns kommen, der können das gar nicht genug Ausländer sein". Man sieht Karl-Heinz an, dass er seine Enkelin nicht versteht. "Heute stünde die bestimmt da drüben", sagt er und deutet mit dem Finger hoch auf die Promenade, wo die jungen Linken zu ihm herunterschimpfen.
Irgendwann dreht der Pegida-Zug einfach um. Sie haben es nicht bis in die Altstadt geschafft, die Gegendemonstranten feiern das als Erfolg, so wie die Pegida-Läufer sich als die Sieger fühlen, weil sie heute eindeutig die friedlicheren waren. Dann geht das Volk, linkes wie rechtes, nach Hause. Bis nächste Woche.