Immer wieder gibt es unzutreffende und oft zu optimistische Einschätzungen, wann Aktionen – im Juristendeutsch: Straftaten – verjähren. Diese etwas trockene Materie hat leider durchaus Auswirkungen auf die Verfolgung von Aktivist_innen, wie auch das Beispiel des Verfahrens und Prozesses gegen Sonja und Christian in der jüngeren Vergangenheit gezeigt hat.
Zur Erinnerung: Die beiden wurden seit 1978 gesucht wegen Aktionen der Revolutionären Zellen. Sie wurden nach über 30 Jahren (!) an die deutsche Justiz ausgeliefert und zumindest Sonja auch verurteilt, obwohl die meisten – auch Rechtsanwält_innen (!) - von einer maximalen Verjährungszeit von 20 Jahren ausgegangen waren.
Infos zum Verfahren und den Sonja und Christian vorgeworfenen Aktionen (Brand- und Sprengstoffanschläge ohne Personenschäden) finden sich hier: www.verdammtlangquer.org.
Nun wird es leider etwas trocken, aber hochinteressant:
Die Verjährung ist in § 78 Strafgesetzbuch geregelt und richtet sich nach dem „Höchstmaß“ der angedrohten Strafe. Wenn eine Höchststrafe nicht ausdrücklich festgelegt ist, ist die höchstmögliche Zeit-Freiheitsstrafe 15 Jahre. Bei einer Straftat nach § 311 Strafgesetzbuch (StGB) (Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion) und nach § 306 a StGB (schwere Brandstiftung) ist die Strafdrohung mindestens ein Jahr, eine Höchststrafe in Jahren ist in diesem Paragrafen nicht festgelegt. Für die Verjährung der beiden oben genannten Straftaten ist eine Verjährungzeit von 20 Jahren gesetzlich festgelegt (§ 78 Abs. 3, Ziffer 2 StGB).
Es heißt zwar im Gesetz wörtlich „Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion“ bzw. „Besonders schwere Brandstiftung“ darunter fällt aber auch der Versuch so einer Tat. Es gilt auch beim reinen Versuch dieselbe Verjährungszeit, d. h. 20 Jahre.
Die Strafdrohung bei „einfacher“ Brandstiftung (§ 306 StGB) hat sich vor einigen Jahren geändert, sie beträgt „nur“ noch bis zu 10 Jahre, die Verjährung beträgt hier gesetzlich festgelegt 10 Jahre.
Diese Strafdrohung und Verjährung gilt auch für § 129 a StGB (Mitgliedschaft in einer „terroristischen Vereinigung“), wenn keine „Rädelsführerschaft“ vorliegt. Bei Rädelsführerschaft ist das Höchstmaß im Paragrafen nicht festgelegt – also bis zu 15 Jahren Zeit-Strafe wie oben erwähnt), die Verjährung beträgt bei „Rädelsführerschaft“ 20 Jahre.
In § 78 c StGB ist geregelt, welche juristischen Handlungen Verjährungsfristen unterbrechen können. Unterbrechung bedeutet tatsächlich, dass die Verjährungszeit noch einmal von vorn beginnt! Zu diesen juristischen Handlungen zählen u. a. die erste Vernehmung des Beschuldigten oder auch nur die Bekanntgabe des Straftatvorwurfs. Als Bekanntgabe gilt auch, wenn ein_e Rechtsanwält_in z. B. nur Akteneinsicht nimmt (!). Weitere Unterbrechungshandlungen sind z. B. richterliche Beschlagnahmeanordnungen, die Beauftragung eines Sachverständigen, der Erlass eines Haftbefehls usw.
(Im Falle von Sonja und Christian wurde z. B. irgendwann ein Haftbefehl von „einfacher“ auf „schwere“ Brandstiftung erweitert, da der Staatsanwaltschaft nach Jahren eingefallen war, dass ein hundert Meter vom Brandort entfernter Wachmann in der Nähe hätte sein können, als der Brand ausbrach, und die Täter_innen das in Kauf genommen hätten.)
Die Möglichkeiten der Justiz, die Verjährung neu beginnen zu lassen, sind also vielfältig und oft nicht für die Betroffenen erkennbar!
Nach jeder Unterbrechung beginnt die Verjährungsfrist erneut. Die Tat darf aber nicht mehr verfolgt werden, wenn das doppelte der Verjährungsfrist verstrichen ist, d. h. für die oben erwähnten Fälle und Paragraphen nach Ablauf von 40 (!) Jahren minus einem Tag.
Bei mehreren Beschuldigten gelten Unterbrechungshandlungen übrigens nur gegenüber der Person, gegen die sie sich richten. Es ist also immer individuell zu prüfen, wer von einer Unterbrechungshandlung betroffen ist.
Selbstverständlich können diese Hinweise keine jurististische Beratung ersetzen, sie sollen aber zumindest klar machen, dass auch die Verjährungsunterbrechung ein Mittel der Klassenjustiz gegen linke Aktivist_innen sein kann und sie sich dessen bewusst sein müssen.
AG Nichts ist so wie es wirkt und vorbei ist es schon gar nicht