Im Zweifel für den Angeklagten heißt es, aber im Fall von Josef S. wirkt es, als müsse nicht die Staatsanwaltschaft beweisen, dass Josef schuldig sei, sondern Josef und seine Anwälte, dass er es nicht ist. Josef sitzt seit dem 24. Januar in Untersuchungshaft und nichts von dem, was ihm vorgeworfen wird, konnte ihm bisher nachgewiesen werden—trotzdem wurde die U-Haft immer wieder verlängert, weil laut Staatsanwaltschaft und Gericht „Tatbegehungsgefahr“ bestehe, obwohl Josef zuvor in Österreich noch nie auffällig wurde. Amnesty International bezeichnete die verlängerte U-Haft als „menschenrechtlich bedenklich“. Eigentlich müsste der Aufschrei österreich- und vor allem auch deutschlandweit viel größer sein.
In einem Rechtsstaat sitzt ein 23-Jähriger im Gefängnis, alleine auf der Grundlage, dass ihn ein einziger Zeuge belastet, der sich noch dazu immer wieder in Widersprüche verstrickt. Ja, bei den Demonstrationen um den Akademikerball wurden sinnlos Scheiben eingeschlagen und Mülleimer geworfen, aber es gibt nun mal keine Beweise, dass der Mann, der deswegen seit einem halben Jahr im Gefängnis sitzt, daran beteiligt war. Seit wir selbst im Januar mitten in der Demonstration waren, haben uns die Folgen der NoWKR-Demo und vor allem Josefs Fall nicht losgelassen.
Zu sagen, es wäre schwierig gewesen, Josef S. zum Interview in U-Haft zu besuchen, wäre eine unglaubliche Untertreibung. Unzählige Telefonate, Warteschleifen, E-Mails und zwei Besuche in der Justizanstalt—natürlich ohne Josef zu sehen—gingen dem Ganzen voraus. Und dann, zwei Wochen später, darf ich tatsächlich persönlich mit ihm sprechen. Bevor ich das Interview führen kann, muss ich mich bei der Leitung der Justizanstalt Josefstadt vorstellen, die mich kennenlernen will und nach dem Interview noch einmal mit mir darüber sprechen möchte. Ich werde gefragt, wie ich Josef treffen möchte. Am liebsten natürlich ohne Scheibe zwischen uns, in einem Raum, in dem wir ungestört miteinander sprechen können.
Ein Justizbeamter begleitet mich in einen tristen Verhandlungsraum, der normalerweise zur Haftprüfung genutzt wird und mindestens seit den 80ern nicht verändert wurde. Die Tische sind in einem U aufgebaut. Ich setze mich an einen Tisch ganz außen, auf dem Tisch in der Mitte steht ein großes Kruzifix. Der Justizbeamte, der mich hergebracht hat, sagt mir, bevor Josef reinkommt, ich müsse mir keine Gedanken machen, Josef sei ganz friedlich und harmlos. Ich mache mir keine Gedanken—Josef ist tatsächlich einer der angenehmsten Menschen, die mir je begegnet sind. Er ist groß, bewegt sich langsam und spricht ruhig. Trotzdem wirkt er ein wenig nervös. Josef erzählt viele Geschichten über die Menschen, die er in U-Haft kennengelernt hat, viele habe ich gestrichen, weil das Interview sonst doppelt so lang gewesen wäre. Er hat den Drang zu erzählen—beinahe zwei Stunden sitzen wir zusammen. Er lacht viel, aber wenn er erzählt, wie einsam es in Haft oft ist, bricht seine Stimme und er blickt weg von mir, zur offenen Tür, vor der ein Justizbeamter auf und ab geht. Wir sind alleine im Raum.
VICE: Wie geht es dir?
Josef S.: Den Umständen entsprechend gut. Es ist schon ein trister Alltag—man überlebt, aber das ist kein Leben hier. Die Grundbedürfnisse werden gedeckt, man bekommt Essen, kann Schlafen und aufs Klo gehen. Fernsehen kann man auch, aber sonst passiert nicht viel. Wir haben eine Stunde Ausgang am Tag, wo wir in so einen Spazierhof kommen, der ist so groß wie dieser Raum [der Raum hat geschätzt ein wenig mehr als 30 m2], mit 30 Leuten, also man kann sich da nicht groß bewegen.
Aber das große Problem ist die Isolation. Die ersten zwei Tage waren schon schlimm. Ich konnte die ersten Tage nicht telefonieren, keine Briefe schreiben, hatte also keinen Kontakt zur Außenwelt. Ich konnte am Anfang auch keinen Besuch empfangen. Nur mein Anwalt durfte mich besuchen. Man ist einfach so alleine. Es sind lauter neue Leute um einen, aber eben niemand Vertrautes.
Wie viele Leute seid ihr in den Zellen?
Es gibt 2-, 4- und 8-Mann-Zellen. Jetzt bin ich in einer 2-Mann-Zelle, was ganz angenehm ist, weil man eher seine Ruhe hat, aber man ist halt wirklich den ganzen Tag alleine ... Man wartet einfach immer auf irgendetwas hier. Eine halbe Stunde auf den Anwalt oder beim Arzt. Auch vor dem Interview jetzt musste ich eine Stunde warten. Aber es ist ja eigentlich das Gleiche: Entweder sitze ich in der Zelle oder hier. Und das Große, auf das man halt wartet, ist dann der Prozess.
Was hast du in deiner Zelle? Wie vertreibst du dir die Zeit?
Es gibt eine Bibliothek, in der man sich immer drei Bücher ausleihen darf. Ich hab den Luxus, dass ich, weil ich studiere, meine Lehrbücher reinbekommen kann. Und auch die Pfarrer hier haben ein Repertoire an Büchern. Also man hat Bücher, ein Radio und einen Fernseher. Wenn man Glück hat, hat man eine Kochplatte.
In der Zelle?
Ja, und wenn man ganz viel Glück hat, hat man auch einen Kühlschrank. Also ich hab den Luxus, einen Kühlschrank zu haben. Das ist hier sowas wie das höchste Heiligtum.
Du nennst es Luxus. Da versteht man auf einmal was anderes darunter, wenn man hier drin ist ...
Ja, das ist es. Das Verhältnis ändert sich. Im Sommer ist ein Kühlschrank aber so wichtig. Da denkt man normalerweise nicht dran. Hier darf man einmal die Woche Dinge kaufen: Man bekommt eine Liste und darf aus zirka 300 Sachen auswählen.
Und da kannst du dann einkaufen?
Ja, man braucht halt Eigengeld und kann sich dann zum Beispiel Milch kaufen. Wenn man das einmal in der Woche machen kann, dann lernst du halt einen Kühlschrank zu schätzen.
Das ist also zusätzlich zum Essen, das ihr bekommt ... Esst ihr in der Zelle?
Genau. Man sitzt den ganzen Tag in der Zelle und dann geht die Tür auf und du bekommst deine Schüssel Essen. Die Toilette ist ja auch in der Zelle.
Du machst also einfach alles dort drin?
Ziemlich. Diese eine Stunde kann man eben Spazierengehen und zwei Mal die Woche kann man duschen. Man fühlt sich hier irgendwie immer dreckig. Es rauchen auch alle, also Beamte und Insassen. Deshalb riechst du einfach überall diesen kalten Rauch.
In der Zelle darf man rauchen?
Ja. Der, mit dem ich jetzt in der Zelle bin, raucht zum Glück nicht. Aber davor, als ich noch in der 4-Mann-Zelle war, haben alle außer mir geraucht. Dann hab ich meinen Job als Ministrant angenommen, damit ich ein bisschen mehr rauskomme und da bin ich dann in die 2-Mann-Zelle gekommen.
Wie ist das mit deinem Alltag außerhalb der Haft? Was studierst du denn?
Materialwissenschaften.
Wie ist das mit dem Studium jetzt?
Ich bin jetzt offiziell im Urlaubssemester, aber ich werde, so wie es jetzt aussieht, ein bis zwei Semester verlieren. Die Universität zeigt sich da ganz kooperativ, meine Anwälte haben das Anliegen vorgetragen und meine Professoren haben gesagt, dass sie alles Menschenmögliche tun. Sie haben auch meine Prüfungstermine extra verschoben, in der Hoffnung, dass ich am 6. Juni rauskomme. Meine Professoren haben mich da sehr überrascht, weil sie so unterstützend waren.
Wie läuft dein Alltag hier im Gefängnis?
Es ist natürlich ein komplett neuer Alltag. Obwohl es sich irgendwie nicht anfühlt wie Alltag, sondern eher wie ein Traum. Ich realisier das noch gar nicht richtig. Ich versuche mir hier drin einfach immer irgendwelche Aufgaben zu setzen. Es gibt immer irgendwelche Kleinigkeiten—zum Beispiel anderen Häftlingen zu helfen, versuchen, trotz der Umstände ein Mensch zu sein und nicht ein vollkommen egoistisches Arschloch. Die meisten Häftlinge sind auch zu mir sehr nett. Als ich gekommen bin, hatte ich zum Beispiel keine Kleidung und gar nichts. Die haben mir dann ein neues T-Shirt gegeben und was von ihrem Essen. Sie haben auch am Anfang immer versucht mir gut zuzureden. Also gesagt, dass ich bestimmt bald rauskomme.
Es gibt hier drin halt auch echt krasse Geschichten. Viele Menschen, die aus dem Ausland kommen und nach Jahren immer noch keine Arbeitserlaubnis bekommen, werden kriminell, weil sie einfach keine andere Möglichkeit mehr sehen. Die brauchen Essen und sie müssen irgendwie überleben, dann stehlen sie vielleicht zwei Parfums aus dem Supermarkt, oder dealen für die reichen Kiddies Drogen und landen deswegen hier. Du bekommst Geschichten und Schicksale mit, die am Anfang sehr schwer zu verkraften sind. Aber es gibt dann eben auch diese schönen Momente. Wenn mich zum Beispiel jemand fragt, warum ich hier bin und ich antworte, weil ich gegen die FPÖ auf der Straße war, gegen die FPÖ und gegen Rassismus. Und es sagt dann jemand, dass er das toll findet.
Warst du schon einmal bei einer Demonstration gegen den Akademikerball?
Nein. Das erste Mal.
Weshalb bist du extra nach Wien gefahren, um zu demonstrieren?
Ich habe ein paar Freunde in Wien und ich habe einfach das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden. Also zur Demo zu fahren und ein Wochenende in Wien zu verbringen. Das hat mit den Busfahrzeiten gut gepasst und war auch sehr preiswert zu dem Zeitpunkt.
Würdest du nochmal nach Wien kommen und demonstrieren, wenn du wüsstest, wie es ausgeht?
Zur Zeit sage ich noch „Ja“. Wenn ich mich jetzt einschüchtern lasse, haben sie ja gewonnen. Einige Beamten fragen auch manchmal, ob es sich gelohnt hat. Und jetzt sag ich noch: „Ja, es hat sich gelohnt.“
Würdest du zur nächsten Demonstration gegen den Akademikerball wiederkommen, wenn du Ende Juli freigesprochen wirst? Dürftest du überhaupt wiederkommen?
Wenn ich freigesprochen werde, dann dürfte ich schon wiederkommen. Wenn ich verurteilt werde, gibt es solche Dinge wie „Österreichverbot“, also da dürfte ich fünf Jahre nicht einreisen.
Und würdest du wiederkommen?
Wenn ich freigesprochen werde, dann werde ich glaube ich bei der nächsten Demo ganz vorneweg laufen. Nein, Scherz. Ich werde auf jeden Fall die Geschichte weitertragen. Und es wäre vielleicht ein gutes Zeichen, wenn ich sagen würde, ich komme wieder. Aber wer weiß, vielleicht gibt es bis dahin den Akademikerball auch gar nicht mehr.
Mich interessiert natürlich auch der Abend der Demonstration. Wie war deine Festnahme?
Die Festnahme war ja beim Burgtheater, da bin ich dann eine gefühlte Ewigkeit gestanden, Handschellen und Hände auf dem Rücken. Die Polizisten haben mich dann zu einem Gefangenentransporter gebracht, der mich zum Polizeianhaltezentrum Roßauer Lände gebracht hat—dort halt dann Ausziehen, Fingerabrücke, Fotos.
Wie ausziehen? Ganz ausziehen?
Ja, da musst du dich komplett ausziehen, man könnte ja was schmuggeln. Ich hab auch versucht zu diskutieren, aber das hilft natürlich nichts. Dann kommst du noch zum Arzt und danach auf die Zelle. In der Nacht sind noch welche von der Kriminalpolizei gekommen, die uns verhören wollten. Am nächsten Morgen bin ich dann hier in die Josefstadt verlegt worden. Da wird wieder ein Foto gemacht, du darfst kurz duschen und auf die Zelle.
Hast du auch nur geahnt, dass du so lange hier bleiben würdest?
Nein, auf gar keinen Fall. Am Anfang haben sie nur Landfriedensbruch gesagt und ich dachte, das wird nicht so schlimm sein. Auf der Polizeistation hieß es dann, ich hätte Am Hof randaliert und ich wusste gar nicht, was Am Hof ist. Als mir das dann vorgeworfen wurde, hab ich mir gedacht, dass das nicht so schnell vorbei sein könnte. Nach 48 Stunden werde ich ja dem Haftrichter vorgeführt und mir war klar, dass das eher langwierig wird, wenn ein Zivilbeamter mir diese Dinge anlastet. Aber man kann das ja nicht absehen.
Bei der Verhandlung am 6. Juni hat sich der Zivilbeamte ja in einige Widersprüche verwickelt und ich war mir so sicher, dass dich das entlasten würde, und dann das ...
Für mich kam das nicht so überraschend. Nachdem ich keine Aussage getätigt habe, hatte ich ja bei der Verhandlung nichts anderes zu tun, als den Richter zu beobachten. Eigentlich war ja die große Hoffnung, dass der Widerspruch mit der Handyaufnahme ausreicht. Es kam nicht völlig unerwartet, aber es wäre natürlich schöner gewesen, an diesem Tag rauszugehen.
Wie ging es dir, als der Prozess vertagt wurde?
Mein erster Gedanke war: „Ein Hexenprozess ist fairer gewesen.“ Also es war sehr emotional. Nach den Haftprüfungen ist das immer heftig, da sitzt man schon mal den halben Tag in der Zelle und weint. Gerade nach diesem Stimmgutachten war ich eher positiv gestimmt. Und es ist dann schon schlimm, weil man ja jedes Mal die Hoffnung hat, dass es vorbei sein könnte.
Das mit dem Stimmgutachten wusstest du von deinen Anwälten davor schon, oder hast du das erst bei der Haftverhandlung erfahren?
Das wusste ich davor schon von meinen Anwälten. Das war eine der schlimmsten Haftverhandlungen, weil meine Anwälte mich davor noch kurz sprechen wollten, mich dann aber doch nicht geholt haben und da war mir schon klar: Irgendwas stimmt nicht. Und als ich dann die versteinerten Gesichter von meinen Anwälten gesehen hab, war klar, es ist was passiert. Das war dann die zweite Aussage des Polizisten, die sie echt erst eine Stunde vor der Haftverhandlung bekommen haben.
[Nachdem das Stimmvergleichs-Gutachten mit dem Ergebnis vorlag, dass es nicht Josefs Stimme gewesen sei, haben seine Anwälte einen Enthaftungsantrag gestellt. Daraufhin wurde eine Haftverhandlung anberaumt. Der Staatsanwalt hat allerdings vor dieser Haftverhandlung den Belastungszeugen geladen und ihn als Zeugen einvernommen. Einer Enthaftung wurde schließlich nicht zugestimmt.]
Es kommen immer gute, dann wieder schlechte Nachrichten. Das ist schon schwierig, weil man halt auch nicht einfach jemanden umarmen kann oder mit jemandem drüber reden, wenn sowas passiert. Man hat hier drin ja nicht so richtige Vertrauenspersonen. Also es gibt schon ein paar Leute, die ich als Freunde bezeichne und mit denen ich auch über Sachen rede. Trotzdem ist es schwierig und scheitert auch manchmal einfach an den Sprachbarrieren.
Wie oft siehst du deine Freunde?
Ich habe zwei sehr gute Freundinnen in Wien. Meine Freunde aus Jena schreiben viel Post. Es ist natürlich schwierig, diese Freundschaften nur über Post aufrechtzuhalten. Vor allem wird ja alles gelesen, da schreibt man nicht so viel Privates, weil es einem ja unangenehm ist, weil immer jemand mitliest. Und man weiß auch nie, was dann irgendwann irgendwie gegen einen verwendet werden kann.
Wie ist das sonst mit Kontakt nach draußen?
Briefe werden gelesen, Telefonate abgehört, telefonieren kostet halt auch was. Man muss Wertkarten kaufen und wenn man eine Handynummer im Ausland anruft, ist das schon teuer. Am Anfang durfte ich nur Besuch von meinen Verwandten bekommen, weil angeblich Verdunkelungsgefahr bestand, was aber später aufgehoben wurde. Der Staatsanwalt hat dann noch den Paragraph ausgepackt, dass Besuch den Sinn der U-Haft untergräbt.
Was bedeutet das?
Ich bin ja laut ihnen Rädelsführer und ich könnte ja dann meine Rädelsführerschaft weiter aus der U-Haft ausführen.
Das klingt so bedrohlich. Aber sogar der Beamte, der mich hergebracht hat, hat gesagt, du seist so harmlos.
Ja, also meine Freunde sagen auch alle, dass sie mir das nicht zutrauen. Was mir da vorgeworfen wird, sind ja schon große Gewalttaten, und dass ein Mensch so komplett ausrastet, ohne davor so etwas getan zu haben, glaubt halt keiner. Für meine Eltern ist das, glaube ich, auch sehr schwer.
Finden deine Eltern es gut, dass du für deine Ansichten auf die Straße gehst? Oder finden sie das unnötig, weil du deswegen jetzt seit sechs Monaten in U-Haft sitzt?
Zum einen unterstützen sie, was ich mache. Zum anderen sagen sie auch, ich soll halt auch darüber nachdenken, was ich mache. Für meine Eltern ist das einfach schwierig. Sie sind in der DDR aufgewachsen, daher fehlt ihnen dieses Verständnis manchmal. In der DDR ist man eben nicht gegen Nazis auf die Straße gegangen. Und dadurch ist diese „radikale“ Ansicht schwer zu vermitteln, also dass man Rechten keinen Millimeter geben darf. Dass man diese menschenverachtenden Ideologien nicht dulden darf.
Wenn dich deine Eltern oder Freunde hier besuchen, wie finden diese Treffen dann statt?
Es gibt einen Besucherraum, da sitzt man hinter einer Glasscheibe und kann per Telefon mit ihnen reden.
Also immer nur durch eine Glasscheibe?
Ja. Es gibt die Möglichkeit des Tischbesuches—nach drei Monaten darf man so einen Tischbesuch haben und dann wieder nach sechs Monaten. Also alle drei Monate. Da darf man bis zu drei Personen sehen und darf sich auch mal umarmen und anfassen.
Das heißt, du hattest einen Tischbesuch seit du hier bist? Mit deinen Eltern?
Ja, genau.
Fuck.
Das große Problem hier ist, dass Häftlinge einfach teilweise unglaublich lange da sind. Es ist ja offiziell U-Haft. Nach dem Prozess soll man in eine Strafanstalt verlegt werden, wo die Haftbedingungen auch besser sind, wo man Sport machen kann und eine sichere Arbeitsstelle hat. Hier werden die Leute eher wie im Käfig gehalten. Vier Leute in eine Zelle, Fernseher rein und hoffen, dass es ruhig ist. Ich freu mich auch, dass ich Besuch hab, muss ich ehrlich sagen. Es ist einfach trist und grau hier und da wirst du auch im Kopf trist und grau.
Wie ist das mit der Seelsorge hier? Also hat man jemanden zum Reden?
Ja, also am zweiten Tag ist gleich ein Pfarrer auf mich zugekommen. Die wissen ja auch, dass es gerade denen schwerfällt, die zum ersten Mal hier sind. Ich hab auch einige von den Rapid-Ultras kennengelernt—die haben den Pfarrer auch gebraucht. Es sagen zwar immer alle, dass sie gut drauf sind, aber es kommen auch welche rein, die drei Wochen total fertig sind und den ganzen Tag heulen.
Wie gehen die Beamten hier mit dir um?
Die wissen ja genau, was mir vorgeworfen wird. Und laut diesem Vorwurf habe ich ja praktisch ihre Kollegen angegriffen. Polizei und Justiz sind ja so eng verknüpft. Aber mittlerweile sind sie sehr neutral. Sie sind weder besonders nett noch unfreundlich.
Merkst du, dass sie mit anderen Häftlingen anders umgehen?
Ja. Zum Beispiel reden manche Beamten mit Moslems darüber, sie sollten doch anfangen, Schweinefleisch zu essen, oder reden mit manchen Leuten konsequent Deutsch, obwohl sie wissen, dass sie nichts verstehen.
Würdest du sagen, du bist jetzt anders als noch vor einem halben Jahr?
Ja, auf jeden Fall. Ich schätze die einfachen Dinge viel mehr und ich glaube, ich habe auch viel an innerer Stärke gewonnen. Man lernt, sich durchzusetzen und auf Sachen zu beharren. Man bekommt auch so unglaublich viele Eindrücke—von Menschen, die ich nicht in meinem Umfeld habe. Die Lebensgeschichten von diesen Menschen zu hören, prägt einen schon sehr. Viele von denen haben das Gefühl, keine Stimme zu haben. Es sind so viele Menschen hier, die so viel Enttäuschung erfahren haben. Die haben zum Teil einfach keine Kraft mehr, aufzustehen und zu sagen, so geht es nicht weiter. So etwas mitzubekommen, festigt einen.
Gab es von Deutschland aus irgendwelche Bestrebungen, sich in den Fall einzumischen?
Die Botschaft hat schon gemerkt, dass das heikel ist. Also sie wissen von dem Fall. Wenn ich irgendwelche Haft-Probleme hätte, würden sie bestimmt vorbeikommen, aber generell mischen sie sich in den Fall nicht ein. Wenn es Bestrebungen von der Bundesregierung gäbe, würde bestimmt etwas passieren, aber ich glaube, dass sie bisher eher die Hoffnung haben, dass es klein gehalten wird. Nachdem ein paar Zeitungsartikel veröffentlicht wurden, ist die Botschaft aber auf mich zugekommen und hat schon nachgefragt, ob es mir überhaupt gut geht. Aber ich glaube, dass es noch Wellen schlagen wird. Nach dem nächsten Prozesstag bestimmt.
Machst du dir Hoffnungen? Oder versuchst du eher, dir nicht allzu viele Hoffnungen zu machen?
Ich glaube, der einfachste Ausweg für die Justiz ist, mich auf Landfriedensbruch zu verurteilen, weil das einfach ein Gummi-Paragraph ist. Dann verurteilt der Richter mich auf den Tag genau auf meine Haftzeit, dann bekomme ich keine Haftentschädigung und es ist auch kein Skandalurteil, weil Landfriedensbruch so ein schwammiger Paragraph ist.
Glaubst du, das wäre in Deutschland passiert?
Die deutsche Polizei ist anders aufgestellt. Die arbeitet unglaublich viel mit Kameras und verhält sich auch anders. Wenn sie Zivilfahnder haben, dann haben die auch die richtige Technik, um gute Aufnahmen zu machen. Und wenn in Deutschland Menschen verhaftet werden, dann ist sich die Polizei sicher, dass sie auf Band etwas gegen diese Menschen hat. In Deutschland gibt es auch das Amtsgericht, das Oberlandesgericht und den Bundesgerichtshof. Die kennen sich nicht einmal persönlich und in Österreich gehen die Staatsanwälte mit dem Richter Essen. Die österreichische Justiz ist einfach undurchsichtig. Sie haben zum Beispiel auch keine DNA-Spuren genommen, keine Fingerabdrücke von irgendwelchen Tatwaffen ...
Ja, und deine Handschuhe bis zum 6. Juni in deiner Zelle liegen lassen.
Sie haben auch meine Jacke erst nach zwei Wochen eingezogen. Die hätte ich in der Zeit jemandem schenken, oder sie in kleine Stücke schneiden können.
Wenn du rauskommst ...
Ich weiß nicht, was dann ist. Ich kann es mir noch nicht ganz vorstellen. Irgendwas zwischen freuen und zusammenbrechen. Ich kann mir das einfach noch nicht vorstellen. Das ist Tag X, auf den ich jetzt warte, an dem man wieder reden kann, was man will, kaufen kann, was man will und einfach durch die Straßen laufen kann. Es sind diese einfachen Dinge. Ein Kollege hat zum Beispiel letztens Zwiebeln gekauft und ich hatte seit Monaten keine Zwiebeln gegessen. Und die war so gut, ich hab den ganzen Tag alles mit Zwiebeln gegessen. Die Sinne fahren hier irgendwie runter. Man sieht immer die gleichen grauen Wände.
Hast du eine Idee, warum die Verhandlung vertagt wurde? Warum du immer noch hier in U-Haft sitzt?
Es gibt die Theorie, ob die Staatsanwaltschaft die Hoffnung hat, dass ich vielleicht doch irgendwann noch zusammenbreche und sage, ich gestehe alles. Oder ob sie die Hoffnung haben, dass ich ihnen sage, mit wem ich unterwegs war, oder dass sie noch etwas finden. Ich habe irgendwie das Gefühl, es gibt diesen Willen, dass ich lange in U-Haft sitze. Das Oberlandesgericht hat total harte Sachen geschrieben. Also man müsse auf Fluchtgefahr prüfen, weil ich sofort nach Deutschland abhauen würde und gar nicht zur Verhandlung erscheine. Sie haben auch geschrieben, dass ich eine Gefahr für die Öffentlichkeit bin. Das soll halt abschrecken. Wenn du nach Österreich kommst, dann sitzt du sechs Monate in U-Haft. Einen habe ich getroffen, der wegen zweifachen Mordes hier ist, aber sagt, er sei unschuldig. Der ist aber ganz guter Dinge und sagt, er wird schon rauskommen.
Das ist ja das einzige, an dem man sich in so einem Fall festhalten kann.
Wenn man unschuldig im Gefängnis sitzt, ist es halt echt fies. Wenn man etwas begangen hat, dann kann man es vielleicht eher als gerechtfertigte Strafe ansehen. Aber so denkt man nur, wozu das Leid? Ich mach mir halt die Illusion, dass ich für den Staat zu den unbequemen Menschen gehöre, mit denen es eben Reibungspunkte gibt und da kommt es zu Repressionen. Das war schon immer so. Man muss nur in die Türkei oder nach Ägypten schauen.
Aber wir sind eine Demokratie, ein Rechtsstaat, da sollte es anders laufen.
Ja, sollte. Aber die Realität sieht halt anders aus.