Ecodefense für erfolgreiche Anti-AKW-Kampagne abgestraft

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Vor einer Woche erhielt die russische Umweltorganisation Ecodefense eine schriftliche Mitteilung aus dem Justizministerium, die Organisation sei infolge einer Überprüfung als "Ausländischer Agent" (Foreign Agent) eingestuft worden. Ecodefense sieht in der Brandmarkung eine Revanche für die erfolgreiche Kampagne gegen das "Ostsee-AKW" (Baltic NPP), dessen Bau letztes Jahr komplett auf Eis gelegt wurde. Die Organisation war auch an einem Kooperationsprojekt deutscher und russischer Anti-Atom-Gruppen beteiligt gewesen, das ein Ende der Uranmülltransporte aus der Urananreicherungsanlage (UAA) Gronau nach Russland erreichte. Als "Foreign Agent" könnte Ecodefense seine Arbeit nicht fortsetzen und müsste sich vermutlich auflösen.

 

Vergangenen Montag, 16. Juni 2014, gab es zwei gegensätzliche Statements unterschiedlicher Büros des russischen Justizministeriums zur Einstufung von NGOs als "Ausländische Agenten": in Murmansk widersprach das Ministerium der Auffassung der Staatsanwaltschaft die Menschenrechtsorganisation "Humanistische Jugend-Bewegung" (GDM - Гуманистическое движение молодежи)  erfülle die Kriterien als solcher, in Kaliningrad dagegen wurde die Umweltorganisation "Ecodefense" ohne viel Aufheben wie nach der Gesetzänderung vom 4. Juni möglich direkt zum Foreign Agent erklärt. In beiden Fällen geht die gerichtliche Auseinandersetzung weiter, so dass in den nächsten Wochen mit Entscheidungen gerechnet werden kann.

Als "Ausländischer Agent" gebrandmarkte Organisationen sind verpflichtet sich in jeglicher offiziellen Kommunikation und auf ihren Internetseiten selbst derart zu kennzeichnen. Mit der Verfolgung als Foreign Agent belastete NGOs, wie die Murmansker GDM, mussten bereits zweimal ihre Büroräume aufgeben, weil die vermietenden Organisationen Angst davor hatten die Repression würde sich auf sie ausdehnen. Kooperationen mit potenziellen oder bereits registrierten "Ausländischen Agenten" sind für registrierte russische NGOs riskant, weil dies leicht als Argument dafür herhält selbst als solcher klassifiziert zu werden. Folgerichtig erleben betroffene Organisationen, dass bereits die Verdächtigung zu Problemen beim Anmieten von Räumlichkeiten für Veranstaltungen oder Zusammenarbeit mit anderen Gruppen führte. Nicht zuletzt ist der Status "Ausländischer Agent" in der russischen Gesellschaft mit dem Begriff des Spions verknüpft, was erfolgreiche Kampagnenarbeit in der allgemeinen, unaufgeklärten Öffentlichkeit nahezu unmöglich macht.

Das russische "Ausländischer Agent"-Gesetz definiert die Kriterien zur Einstufung einer Organisation als solchen nur vage. Es genügt dafür Unterstützung aus dem Ausland zu erhalten, was meist, aber nicht zwingend, mit Zuschüssen gleichgesetzt wird, und Aktivitäten nachzugehen, die als "politisch" bezeichnet werden können. In vielen Fällen ist der Empfang von Spendengeldern oder Fördermitteln aus dem Ausland unstrittig. Viele Gruppen könnten ihre unabhängige, für die Behörden und Konzerne oft unbequeme, Arbeit ohne solche Zuschüsse gar nicht leisten - denn von denen dafür Förderung zu erhalten ist abwegig. Die Interpretation des Gesetzes durch die Behörden scheint sehr willkürlich, es gab Fälle, in denen keine ausländische Finanzierung vorlag; das "SOVA - Center for Information and Analysis" sammelt und publiziert regelmäßig Fälle von Missbrauch der Extremismus-Gesetzgebung, zu denen auch das "Ausländischer Agent"-Gesetz gezählt wird.

Sehr umstritten dagegen ist der Begriff der "politischen Aktivität". Der russische Diskurs ist diesbezüglich sehr begrenzt und meint parteipolitisches Engagement oder Beteiligung an Wahlen - kurz das Streben nach Machtübernahme im Staat. Darauf stützt sich die Argumentation der meisten betroffenen Organisationen, die erklären sie würden sich für das Wohl der Menschen und Umwelt engagieren, aber keinerlei Interesse an politischer Macht haben. Die Repressionsorgane dagegen versuchen diesen Diskurs seit vielen Jahren zu verschieben - schon in der Interpretation der Extremismusgesetzgebung versuchten FSB (russischer Geheimdienst - exKGB) und andere das Verständnis für politische Betätigung auf gesellschaftliches Engagement, Meinungsbildung und jegliche Form öffentlicher Aktionen zu erweitern - und sich damit dem westlichen Diskurs in der Interpretation des "politischen" anzunähern. Sicherlich ist die Motivation dazu in der Vereinfachung und Ausdehnung der Möglichkeiten der Verfolgung kritischer Organisationen zu suchen. Allerdings bestätigen russische Gerichte inzwischen immer wieder diese moderne Interpretation, was dazu führt, dass praktisch jede außerparlamentarische gesellschaftliche Aktivität als Rechtfertigungsgrund für die Verfolgung als "Ausländischer Agent" herangezogen werden kann.

 

Im Frühjahr 2013 führten russische Behörden bereits großflächig Prüfungen von NGOs auf die Erfüllung der Tatbestände des Foreign Agent durch. Davon war im April desselben Jahres auch Ecodefense betroffen, allerdings fand die Staatsanwaltschaft damals keine Anhaltspunkte für eine Einstufung als "Ausländischer Agent". Zwei Monate später wurden schließlich die Bauarbeiten am AKW bei Kaliningrad nach jahrelangen Kampagnen von Ecodefense und anderen Anti-Atom-Gruppen eingestellt. Vergangenen Monat wurde eine weitere Überprüfung durch das Justizministerium vorgenommen, die zu dem schon genannten Ergebnis führte, die Umweltorganisation habe sich als Agent fremder Interessen zu registrieren. Ecodefense betont, dass die Organisation durch ihre ganze Geschichte hinweg seine Entscheidungen durch einen Rat getroffen hat, der aus russischen Bürger*innen besteht, und niemals die Interessen fremder Institutionen verfolgt hat. Als Grundprinzip habe Ecodefense sich nicht an der Politik beteiligt, was sie als Anstrengungen politische Macht zu erlangen verstehen würden.

 

Die Entscheidung des Justizministeriums baut ganz offen und scheinbar ausschließlich auf der Kampagne gegen das Ostsee-AKW auf. Seit 2007 hatte sich Ecodefense hier engagiert. Gleichzeitig führte die Organisation aber auch ganz andere umweltbezogene Projekte und Kampagnen durch - spannenderweise schien sich das Ministerium jedoch nur für diese eine spezielle Anti-Atom-Kampagne zu interessieren. Auch deshalb interessant, weil sich an dieser einzigen als scheinbarer Beleg vorgebrachten Aktivität zwischen den zwei staatlichen Prüfungen nichts wesentlich verändert hatte. Es gab weder neue Ziele noch Methoden innerhalb der Kampagne. Daher interpretiert Ecodefense die Aburteilung als "Ausländischer Agent" als Revanche des Staates für die erfolgreiche Stoppung des AKW-Neubaus bei Kaliningrad.

 

Schon bevor die NGO selbst in den Fokus des "Ausländischer Agent"-Gesetzes geraten war, hatte sie zusammen mit zehn anderen russischen NGOs Klage gegen das Gesetz vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof eingereicht. Bisher hat sich das Gericht damit noch nicht befasst, obwohl ursprünglich damit gerechnet wurde, dass dies bereits im vergangenen Jahr geschehen würde. In der Zwischenzeit wurden mehrere Zeugnisse der fortlaufenden Beeinträchtigung von Menschenrechten durch das Gesetz durch die Organisationen nachgereicht.

 

Ecodefense hat erklärt, dass die Organisation "niemals in politische Aktivitäten involviert war und niemals fremde Interessen vertreten" hat. Ihr Ziel sei es die Umwelt und Menschen zu schützen. Die Organisation wurde 1989 in Kaliningrad gegründet; ihre Aktivitäten erfolgen vor allem durch die regionale Koordinationen in einer Vielzahl von Städten wie Moskau, Jekaterinburg, St. Petersburg und Kaliningrad. In den vergangenen 25 Jahren führte Ecodefense erfolgreiche Kampagnen den Import von Atommüll aus anderen Ländern durch und unternahm auch Projekte gegen eine Vielzahl anderer Umweltgefahren in Verbindung mit Atomkraft, Kohle, Ölgewinnung und andere industrielle Vorhaben mit schwerwiegende Folgen für Menschen und Umwelt. Auch in Aktivitäten zu Klimathemen und erneuerbaren Energien ist sie involviert. Hunderte Lehrer*innen und tausende Schüler*innen haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten bereits an den Umweltbildungsprogrammen von Ecodefense teilgenommen.

 

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