Ausgrenzung, Schikanen, Gewalt: Amnesty International hat die Situation der Roma in Europa untersucht. Das Fazit ist erschütternd - statt Diskriminierung zu bekämpfen, schüren Politiker den Hass. Von Maximilian Kalkhof.
Zehn bis zwölf Millionen Roma leben in Europa. In der Bundesrepublik sind es etwa 100.000. Welchen Anfeindungen und Übergriffen sind sie ausgesetzt? "We ask for Justice" heißt ein neuer Bericht von Amnesty International über die Situation der Roma, den die Menschenrechtsorganisation am Dienstag, dem internationalen Roma-Tag, veröffentlicht.
Er dokumentiert die Situation der Roma am Beispiel der EU-Länder Griechenland, Tschechien und Frankreich. In allen drei Ländern verzeichnet die Menschenrechtsorganisation zunehmend rassistisch motivierte Gewalt gegen Roma.
Das Fazit: Roma sind in der EU häufig Opfer von Zwangsräumungen, behördlichen Schikanen und gewalttätigen Angriffen. Anstatt die Gewalt gegen Roma zu verurteilen, geben Europas Politiker aber in vielen Fällen den Roma die Schuld an den Übergriffen, oftmals unter Bezug auf den angeblich mangelnden Integrationswillen der Roma.
"Es ist völlig inakzeptabel, dass an manchen Orten in Europa Roma in ständiger Angst vor gewalttätigen Ausschreitungen oder Anschlägen leben müssen", sagt Selmin Caliskan, die Generalsekretärin von Amnesty in Deutschland: "Statt entschlossen der Gewalt und Diskriminierung entgegenzutreten, schüren viele europäische Politiker sogar den Glauben, Roma seien für ihre Ausgrenzung selbst verantwortlich. Derartige Äußerungen feuern Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft nur noch weiter an."
Hasskriminalität in Griechenland
In Griechenland richtet sich Gewalt oft gegen Roma. "Zu einer Zeit, in der Griechenland eine starke Zunahme von rassistisch motivierten Angriffen und Xenophobie verzeichnet, ist Amnesty International über die inadäquate Antwort von Strafverfolgungsbehörden auf Hasskriminalität besorgt", schreibt die Menschenrechtsorganisation. Häufig würden nicht die Täter von Hasskriminalität, sondern die Opfer mit ungeregeltem Aufenthaltsstatus verhaftet, heißt es weiter.
Bereits 2008 hatte eine Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte gezeigt, dass 54 Prozent der griechischen Roma schon einmal Opfer von Gewaltverbrechen wurden.
In Griechenland sorgte auch der Fall der kleinen Maria für Schlagzeilen. Das fünfjährige Mädchen wurde sogar weltweit als"blonder Engel" bekannt. Es war von der Polizei bei einer Razzia in einem griechischen Roma-Lager gefunden worden. Wegen seines Aussehens vermuteten die Behörden, das Kind sei entführt worden. Später stellte sich heraus, dass die Mutter eine bulgarische Roma ist. Sowohl die leiblichen als auch die Adoptiveltern sprachen von einer einvernehmlichen Adoption. Doch zu diesem Zeitunkt hatten sich Politiker und Medien schon von Ressentiments verführen lassen und über Verbrechen wie Kindesentführung und Menschenhandel spekuliert.
Anti-Roma-Märsche in Tschechien
In Tschechien riefen rechtsextreme Gruppen 2013 zu einer Serie von Anti-Roma-Märschen auf. Am 24. August kam es in acht tschechischen Städten zu Roma-feindlichen Hetzveranstaltungen, die zum Teil in gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei endeten. Organisiert wurden die Märsche unter anderem von derArbeiterpartei für soziale Gerechtigkeit (DSSS), einer rechtsextremen Partei mit Kontakten zu deutschen Neonazis. Auch Passanten beteiligten sich mit Parolen wie "Zigeuner zur Arbeit" an den Demonstrationen. "Als ich das sah, dachte ich, so war es vielleicht unter Hitler", zitiert der Amnesty-Bericht einen tschechischen Rom aus der Stadt Ceske Budejovice.
Die Organisation kritisiert, dass tschechische Politiker die Märsche nicht eindeutig verurteilt hätten. Auch sagt sie für den Sommer 2014 neue Demonstrationen gegen Roma voraus.
Zwangsräumungen in Frankreich
Auch in Frankreich, wo ungefähr 20.000 Roma leben, kommt es immer wieder zu Gewalt gegen Roma. So sagte Manuell Valls, der damalige Innen- und heutige Premierminister Frankreichs, im September 2013 in einem Interview mit "Radio France International" über die in Frankreich lebenden Roma: "Diese Menschen haben Lebensstile, die sich von unseren stark unterscheiden. Deswegen sollten sie nach Rumänien oder Bulgarien zurückkehren."
Der Amnesty-International-Bericht moniert in Frankreich insbesondere die Verletzung internationaler Menschenrechtsstandards bei Zwangsräumungen. So seien 2013 Hunderte Roma aus Marseille ausgewiesen worden. Nur wenige haben laut dem Bericht Entschädigung erhalten.
In ihrem Bericht fordert Amnesty die Nationalregierungen Europas dazu auf, Hasskriminalität zu verurteilen und klarzustellen, dass rassistische Tatmotive nicht toleriert werden. Unter anderem schlagen die Menschenrechtler vor, Daten über Hasskriminalität zu sammeln und zu veröffentlichen.
Christoph Strässer (SPD), der Beauftragte der Bundesrepublik für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe, sagte zu dem Report von Amnesty: "Solange EU-Bürger ohne Perspektive von der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen leben, wird die Europäische Union ihren eigenen Wertemaßstäben nicht gerecht."