In Istanbul kommen wieder Tränengas und Gummigeschosse zum Einsatz. Dieses Mal sorgt ein umstrittenes Gesetz der Erdogan-Regierung für Ausschreitungen. Die Szenen erinnern an die Gezi-Proteste vom Sommer.
Bei Protesten gegen schärfere Internet-Gesetze der türkischen Regierung ist es in Istanbul zu schweren Zusammenstößen gekommen. Aus den Reihen der zu Tausenden aufmarschierten Regierungsgegner wurden Polizisten am Samstagabend mit Feuerwerkskörpern und Steinen beworfen, wie Augenzeugen berichteten. Demonstranten errichteten in der Umgebung des zentralen Taksim-Platzes Barrikaden und zündeten sie an. Die Polizei griff die Regierungsgegner mit Wasserwerfern, Tränengas und Plastikgeschossen an.
Oppositionsgruppen hatten zu der Kundgebung am Taksim-Platz unter dem Motto „Stoppt die Zensur“ aufgerufen. Die Polizei riegelte den Platz ab. Demonstranten forderten in Sprechchören den Rücktritt der Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan.
Das Parlament in Ankara hatte in der Nacht zu Donnerstag ein Gesetz beschlossen, das Behörden unter anderem erlaubt, Internetseiten ohne richterlichen Beschluss zu sperren. Das von Erdogan initiierte Gesetz muss noch von Staatspräsident Abdullah Gül unterzeichnet werden. Die EU hatte vom Beitrittskandidaten Türkei eine Neufassung des Gesetzes gefordert.
Erdogan sagte am Samstag nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu: „Mit diesem Gesetz wird das Internet auf gar keinen Fall zensiert.“ Stattdessen werde das Netz „sicherer“ und „freier“.
Bei der Kundgebung am Samstagabend waren zahlreiche Krankenwagen im Einsatz. Demonstranten errichteten Barrikaden unter anderem auf einer Straße zwischen zwei Krankenhäusern, woraufhin die Polizei auch dort Tränengas einsetzte. Ein örtlicher Pressefotograf wurde bei den Zusammenstößen verletzt. Lokale Medien berichteten von Festnahmen. Demonstranten beschädigten zahlreiche Geldautomaten.
Im vergangenen Sommer war es landesweit zu heftigen Protesten gegen die islamisch-konservative Erdogan-Regierung gekommen. Der Widerstand entzündete sich an der geplanten Bebauung des Gezi-Parks am Taksim-Platz.
Erdogans Regierung steht außerdem wegen Korruptionsermittlungen unter Druck, in deren Folge Ende 2013 vier Minister zurücktraten. Nachdem die Justiz Mitte Dezember mehr als 50 Verdächtige bei Razzien festnehmen ließ, enthob die Regierung Tausende Polizisten und Staatsanwälte ihres Amtes. Darunter waren zahlreiche mit den Korruptionsermittlungen befasste Beamte.
Erdogan sieht in den Korruptionsermittlung eine Verschwörung gegen seine Regierung. Hinter diesem „Komplott“ vermutet er unter anderem Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen. Dem in den USA lebenden Gülen wird großer Einfluss auf Polizei und Justiz in der Türkei nachgesagt. (dpa)