Polizei und Security als politischer Arm der Reutlinger Stadtverwaltung?

kulturschock zelle

Konzessionierung der Zelle als unerwünschtes Thema für die bürgerliche Harmonie
Was ist passiert?
Delegation der Zelle auf dem Weg zum Neujahresempfang durch Polizei abgefangen und körperlich angegangen

 

Die Galerie Zelle e.V. wurde wie jeder Verein auch von der Stadt Reutlingen schriftlich zum bürgerlichen Neujahresempfang am 06.01.2014 eingeladen. Diese Einladung wollten wir wahrnehmen. Wir finden, wenn über das Jahr 2014 geredet wird, dann muss auch das Thema Jugendarbeit und damit der Versuch die Zelle in ein kommerzielles Korsett zu pressen thematisiert werden. Das muss es deswegen, weil in diesem Jahr, am 29.01.2014 um 11:00 Uhr, vor dem Landesverwaltungsgericht in Mannheim genau das entschieden werden soll. Es wird darum gehen, ob gute Jugendbildungsarbeit kommerzialisiert werden darf.

Aus diesem Anlass nahm eine Delegation der Galerie Zelle e.V. die Einladung der Stadt Reutlingen wahr. Als jene dann um ca. 12:00 Uhr vom ZOB (Zentraler Omnibusbahnhof) zur Stadthalle lief, wurde sie von 2 großen Funkstreifenwagen der Polizei auf dem Bürgerpark kontrolliert. Erst 2 Beamte und dann 2 weitere, stiegen aus und wollten die Personalien der dreiköpfigen Gruppe aus Zelle-Mitgliedern feststellen. Die Kontrolle geschah ohne ersichtlichen Grund. Die Delegation hatte kaum 10 Schritte auf dem Bürgerpark zurückgelegt, da waren
auch schon die ersten Beamten anwesend.

Es herrschte von vorneherein eine unkooperative und hochnäsige Stimmung seitens der Beamten. Diese wollten die Rucksäcke der Zelle Mitglieder durchsuchen, nannten ihnen jedoch weder einen Grund, noch eine angemessene Legitimation für die Maßnahme. Stattdessen wurde uns vorgeworfen, wir würden „nicht passen“, etc. Die Delegation drückte ihren Ärger und ihre Wut über die Situation verbal aus. Es kam zu keinerlei körperlicher Konfrontation unsererseits.

Es vergingen knappe 5 Minuten, in denen heftig über die nicht vorhandene Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme gestritten wurde, dann schlug die unkooperative Stimmung der Polizei in eine gewalttätige um. Herr Gutbrod griff einem Zelle Mitglied an den Hals und schuckte ihn ca. 2 Meter nach hinten. Die Situation eskalierte kurz und die anderen Beamten drängten die restliche Delegation der Zelle zurück. Als sich die Situation nach ca. 1 Minute wieder beruhigt hatte, wollten wir den Namen des gewalttätigen Beamten in Erfahrung bringen. Dieser wurde uns auch genannt. Jedoch wollte Herr Stegmeier keine Anzeige entgegen nehmen. Er sagte, er habe nichts gesehen. Ab hier gibt es Videoaufnahmen, in denen ganz deutlich erkennbar ist, wie die Beamten sich weigern eine Anzeige entgegenzunehmen. Wir wollen an dieser Stelle anmerken: Unabhängig davon, ob Herr Stegmeier das tatsächlich richtig findet oder nicht, hätte er die Anzeige entgegen nehmen müssen, denn über die Rechtmäßigkeit haben Gerichte zu urteilen. Er hob sich durch seine Verweigerung aber selbst in die Position der Judikative, indem er das Urteil fällte, bevor überhaupt eine Anzeige aufgegeben werden konnte. Die Polizei hält sich gegenseitig den Rücken frei. Das Video gibt es bei uns. Da auch ein Zelli erkennbar ist, wollen wir das nicht einfach so veröffentlichen.

Nach einiger Diskussion um die verweigerte Aufnahme der Anzeige, verließen die Delegierten das Gelände der Stadthalle wieder. Das war um ca. 12:30 Uhr.

 

 

Securities und andere Wachhunde

SympathisantInnen der Zelle in der Stadthalle schikaniert und unter fadenscheiniger Argumentation dem Gebäude verwiesen.

Den ganzen Mittag über waren SympathisantInnen und Mitglieder der Zelle – welche es doch noch in die Stadthalle schafften - unter strenger Beobachtung des Securitydienst. JEDER Zelli hatte mindestens 1-2 „Begleitpersonen“ in unmittelbarer Nähe, die einem sogar bis auf die Toilette folgten. Bereits beim Betreten der Stadthalle, hefteten sich diese an alle Gäste, die nicht in das Klischee eines gepflegten Bürgers passten. Wir werten dies als Diskriminierung. Nach und nach wurde immer mehr Zellis unter fadenscheinigen Gründen ein Platzverweis ausgesprochen. „Weil man mit Person X oder Y befreundet sei, müsse man das Gebäude verlassen“, etc.

Hier ein Ausschnitt aus einem Gedächtnisprotokoll eines Gastes des Neujahresempfangs:

„Um ca. 12:20 erreichten wir die Stadthalle. Wir gaben unsere Jacken ab und gingen in den ersten Stock,... bereits hier wurden wir von einem Security verfolgt. Wir gingen zum Buffet und unterhielten uns dort, wie auch auf der Terrasse mit Gästen des Neujahrsempfanges über den Zelle-Stadt-Konflikt. Gegen 13:30 standen wir auf der Treppe und unterhielten uns, als wir von drei Securities angesprochen wurden. Sie wiesen uns darauf hin, dass wir die Stadthalle binnen 5 Minuten zu verlassen hätten, sonst sähen sich die Securities gezwungen die Polizei zu Hilfe zu nehmen. Auf die Nachfrage unsererseits warum wir gehen sollten, und was uns vorgeworfen werde, bekamen wir die Antwort: "Einer von euch, und das konnten wir eindeutig zuweisen, hat die Veranstaltung gestört, das will die Besitzerin der Stadthalle heute nicht". Auf die Frage wer die Besitzerin der Stadthalle sei bekamen wir keine Antwort. Unsere Aussage wir hätten uns absolut friedlich verhalten wurde ignoriert. Um den Neujahrsempfang nicht durch einen Polizeieinsatz innerhalb der Stadthalle zu stören, verließen wir diese wie verlangt. Kaum hatten wir die Stadthalle verlassen wurden wir von zwei Polizeibeamten (Wolfer) einer "Personenkontrolle" unterzogen. Wir mussten feststellen dass wir bereits beim Einlass unter Generalverdacht gestellt worden sind, uns während der Zeit in der Stadthalle immer mindestens ein Security verfolgte, und somit auch feststellbar gewesen sein muss, dass wir uns absolut friedlich verhalten haben.“

Dennoch gab es während des Neujahresempfangs einige Solidaritätsaktionen für die Galerie Zelle e.V. und ihre Position im Konflikt um die Konzessionierung. So gab es einen Zwischenruf von einem Teilnehmer, in Bezug auf eine Erklärung von OB Bosch bzgl. Des JGRs: „Die Zelle leistet seit 45 Jahren gute Jugendarbeit und ihr macht sie kaputt!“. Außerdem erhielt Herr Keppler – während einem netten Gespräch unter Bürgern - eine Dusche aus Konfetti.


Spontane Kundgebung vor der Stadthalle

50 Personen besuchten die Kundgebung gegen Polizeigewalt und Repression. Guter Kontakt mit Passanten und Gästen. Gaststättenkonzession angesprochen.

Um ca. 14:30 Uhr versammelten sich 30 Zelle Mitglieder und UnterstützerInnen vor der Stadthalle, nachdem telefonisch eine spontane Kundgebung gegen Polizeigewalt und Repression angemeldet wurde. Wir waren mit einem Transparent, Infotisch, Megafon, Trillerpfeifen und viel Wut über den Angriff auf uns anwesend.

Es gelang uns, sehr schnell, sehr viele Leute zu mobilisieren und so wuchs die Kundgebung zügig auf 50 Personen an. Wir suchten den Kontakt zu den Bürgern und Bürgerinnen aus der und um die Stadthalle, um sie mit unserer Problematik um die Konzessionierung der Zelle und dem unverhältnismäßige Vorgehen der Polizei zu konfrontieren. Wir erlebten eine überraschend positive Resonanz. Das verteilte Flugblatt ist auf unserer Website dokumentiert.  https://kulturschock-zelle.de/files/2014/01/Redebeitrag_Neujahresempfang...

Die gesamte Kundgebung war von einem martialischen Aufgebot der Polizei begleitet. Mehrere Beamte und Securities sicherten den Zugang zur Stadthalle ab, während 4-5 kleine und 2 große Funkstreifenwagen am ZOB platziert wurden. Gleichzeitig fuhren unzählige Funkstreifenwagen in der Innenstadt Patrouille.

 

Demonstration zur Zelle

Um 15:30 Uhr zog eine entschlossene und laute Demonstration durch die Innenstadt.

Spätestens hier haben wir gemerkt, dass der Tag besser gelaufen ist als wir geplant hatten. Nicht nur, dass wir nun die Möglichkeit hatten das Thema „Konzessionierung der Zelle“ auf die Tagesordnung zu bringen, nein wir hatten sogar ein großes Podium dafür. Genau das wollte die Stadtverwaltung beim Neujahresempfang verhindern und erreicht damit das Gegenteil. Unser Plan ging auf. Wir bleiben unverträglich! So setzte sich– aufgrund der immer größer werdenden Kundgebung – eine Demo von ca. 50 Personen in Bewegung. Diese zog um ca. 15:30 Uhr von der Stadthalle aus durch das Tübinger Tor auf den Marktplatz, wo folgender Redebeitrag verlesen wurde.  https://kulturschock-zelle.de/files/2014/01/Flyer_NachAngriffAufDelegati...

Anschließend ging es durch die Wilhelmstraße über den Albtorplatz in Richtung Zelle. Während der gesamten Demonstration über wurden lautstark Parolen wie „Kein Tag ohne – Autonomes Zentrum“ und „Zelle bleibt! Autonom und Selbstverwaltet“. Viele Bürger und Bürgerinnen wurden auf die Demonstration aufmerksam und einige schlossen sich ihr sogar an. Das hat uns besonders gefreut.

An der Zelle angekommen wurde noch mal dazu eingeladen sich dort auf ein oder zwei Getränke einzufinden und den Tag gemütlich ausklingen zu lassen. Die Demonstration wurde bei der Einfahrt der Zelle aufgelöst. Die Polizei, welche die Demonstration die gesamte Strecke über mit 4 Streifenwagen verfolgte, hielt sich dennoch sehr im Hintergrund. Bei der Zelle angekommen rückte sie dann auch wieder ab. Dennoch waren den Abend über vermehrt Funkstreifenwagen und Zivilfahnder unterwegs. Diese rechneten wohl damit, dass es in der Nacht noch zu Solidaritätsaktionen kommen wird.

Wir möchten uns an dieser Stelle bei allen UnterstützerInnen bedanken und hoffen euch bald wieder in der Zelle sehen zu können. Wir öffnen am 15.01.2014 wieder mit dem Theaterstück „Demut vor deinen Taten, Baby“.


 

Fazit

Polizei und Security als politischer Arm der Reutlinger Stadtverwaltung!

Die Stadtverwaltung wollte unter keinen Umständen das Thema „Zelle“ auf dem Neujahresempfang haben. Zu groß war die Angst davor, dass das Scheinbild, einer „innovativen und sich für die Jugend einsetzenden Stadt Reutlingen“ gestört werden könnte.

Wir sind wütend darüber, dass die Polizei und der Security-Dienst sich dabei - wie Bauern beim Schach – zur politisch motivierten Verhinderung einer Konfrontation mit dem Thema „Zelle“ in der Stadthalle instrumentalisieren lassen.

Trotzdem sind wir froh darüber, dass der Plan der Stadtverwaltung Reutlingen nicht aufgegangen ist. Das Thema wurde nicht nur auf dem Neujahresempfang präsent gemacht, nein, es entwickelte sich auch noch eine Kundgebung und eine Demonstration, was eine weitaus größere und positivere Öffentlichkeit geschaffen hat, als wir es uns von dem Tag erhofft hatten.

In diesem Sinne: Vielen Dank für die Blumen!

 


 

Mannheim, 29.01.2014 – Alles oder nichts!

Präzedenzfall. Gerichtstermin vor Landesverwaltungsgericht wegen Einstufung der Zelle als Gewerbe.

Wir hoffen ebenso auf viele Unterstützer und Unterstützerinnen am 29.01.2014, wenn es in Mannheim darum geht, ob Jugendbildungsarbeit kommerzialisiert werden darf. Die Zelle steht dort vor Gericht, um gegen eine Einstufung als Gewerbe zu klagen. Dies würde die Zelle in ein derart kommerzielles Korsett pressen, dass es die Zelle – so wie sie heute ist – nicht mehr geben wird.

Das Gleiche kann dann aber auch für alle vergleichbaren Einrichtungen gelten. Denn das Urteil wäre dann auf Landesebene gültig. Es ist also ungemein wichtig, bei diesem Prozess darauf aufmerksam zu machen, was für eine negative Tragweite diese Einstufung hätte.

 


 

Zugtreffpunkte sind:

Tübingen Hbf: 06:45 Uhr (29.01.2014)
Reutlingen Hbf: 07:00 Uhr (29.01.2014)

Weitere Infos bald online auf:
konzession.kulturschock-zelle.de

Solidarische Grüße
Galerie Zelle e.V.