Vor Antira-Demo in Rostock: Über Flüchtlingsproteste und Repression

AntiRa Rostock

Vor der Antira-Demo am Sonnabend in Rostock: Viel Interesse an Podiumsgespräch über Alltag und Aktivismus von Flüchtlingen am Donnerstag

Allein ihre Anwesenheit ist ein Akt des Widerstands. "Indem ich heute abend hier bin, breche ich zwei Gesetze", erklärt N.: Das Gebot, im Lager zu leben, und die Residenzpflicht, die zum Aufenthalt in bestimmten Gebieten zwingt. "Aber wir haben keine Angst mehr!"

 

"Wir werden bleiben"

 
N. stammt aus dem Sudan und ist eine von zwei Flüchtlingsaktivistinnen, die an diesem Donnerstagabend im Rostocker Peter-Weiss-Haus auftreten. Über ihre Lebenssituation in Deutschland, ihre politischen Kämpfe und die Zukunft der Proteste wollen sie örtliche linke Gruppen ausfragen, die am kommenden eine Demonstration "Refugees welcome" veranstalten. Und N. wie auch K., die vor mehr als einem Jahrzehnt aus dem afrikanischen Togo floh, erzählen vor dem vollbesetzten Saal bereitwillig. Von ihren Herkunftsländern, wo sie von Schergen der Diktaturen verfolgt und bedroht wurden. Von der Flucht, die sich über Monate hinzieht und oftmals tödlich enden kann. Und von der Ankunft in Deutschland und seinem System der Registrierung, Kasernierung und Bedrängung von Asylsuchenden. Wer es bis hierher schafft, erschöpft und häufig traumatisiert, gerät in die Mühlen einer Bürokratie, die den Flüchtlingen den freiwilligen Verzicht auf ihr Aufenthaltsrecht abtrotzen will.

Ein bürokratisches System, das Menschen zerbrechen lässt

Sie kontrollierten sie wie im Gefängnis, berichtet N. über ihre Ankunft in Deutschland, bei jedem Gang wurde sie von Polizisten begleitet. In Verhören fragten Beamte sie über ihre Flucht aus und achteten auf jedes Wort, das später eine Abschiebung rechtfertigen könnte. Um sie herum brachen Menschen bereits unter dem psychischen Druck zusammen. Auch K. weiß ähnliches aus dem Flüchtlingslager in Parchim zu erzählen, wo sie seit mehr als 10 Jahren leben muss. Der jahrelange Aufenthalt ohne Privatsphäre und Lebensperspektiven, dafür unter ständiger Beobachtung der Behörden und unter rassistischen Anfeindungen aus der Nachbarschaft, macht die Menschen krank. Erst im März diesen Jahres wurde ein Mann aus Nepal, der seit neun Jahren im Lager lebte und unter Depressionen litt, tot in seinem Zimmer gefunden.

Gegen die Entrechtung von Flüchtlingen sind vor mehr als einem Jahr selbstorganisierte Proteste entbrannt, die in ihrer Intensität und Häufigkeit in Deutschland neu sind. N. stellt vor, wie sie im Flüchtlingscamp am Oranienburger Platz in Berlin lebt, wie sie in den Bundesländern der Republik und den Nachbarstaaten in der EU unterwegs ist und über ihre Situation berichtet. Wie sie und ihre MitstreiterInnen Unterstützung erfahren, gemeinsam mit Berliner AnwohnerInnen kochen oder von linken AktivistInnen Kleidung und Geld erhalten. Und wie enttäuscht sie von der Politik sind, die sie von dem Platz weghaben will.

Eine neue Welle der Flüchtlingsproteste

Wer an diesem Abend eine politische Analyse erwartet oder politische Forderungskatalog ergründen will, wird enttäuscht. Auch für eine Auswertung der Flüchtlingsproteste oder ihre Organisationsformen bleibt kein Platz in den zwei Stunden, in denen bereits viel Zeit für Übersetzungen nötig ist. Wer will, kann jedoch viel über das gewandelte Verständnis der Beteiligten erfahren: Wie der Selbstmord eines Flüchtlings Auslöser einer Bewegung war, die den Bruch der deutschen Sondergesetze für Asylsuchende bewußt in Kauf nahm. "We don't have fear anymore", heißt das bei N. Von der Angst vor dem Gesetz, der Angst, seinen Aufenthaltstitel zu verlieren, will man sich nicht mehr einschränken lassen.

Es könnte auch heißen: Wir haben keine Hoffnung mehr.

Wo der Glaube an das deutsche Asylrecht geschwunden ist, ist das Vertrauen in die eigene Tat geblieben. Es wird an diesem Abend immer wieder beschworen. Und auch die Solidarität, die die AktivistInnen erfahren. Es geht ihnen dabei nicht nur um Demonstrationen, wenn sie etwa 2014 mit tausenden Menschen in Brüssel ausharren wollen. Sondern auch um kleine Dinge: Hausaufgabenhilfe für Kinder, Begleitung bei Behördengängen, Deutschkurse. Oder Zuhören: Schon das Erzählen, so N., kann für die traumatisierten, stigmatisierten und isolierten Menschen in den Flüchtlingslagern befreiend sein. Wer zuhört, kann etwa erfahren, dass das jüngste Drama in Lampedusa kein fernes Ereignis ist, sondern auch in Mecklenburg Menschen um ihre im Mittelmeer ertrunkenen Ehepartner und Geschwister trauern. Oder dass die Behörden in Bad Doberan ein Kind im Rollstuhl im zweiten Stock eines Heims untergebracht haben und von seiner Mutter die Treppen heruntertragen lassen, obwohl Räume im Erdgeschoss frei sind. Viele Geschichten, viele Tragödien, viele Skandale bleiben ungehört.

Doch dies hier ist keine Veranstaltung leiser Worte. "We are soldiers" - hier sitzen zwei Kämpferinnen, die ihr Schicksal in die Hand nehmen wollen und zur Unterstützung auffordern. An jene appellieren, die als Einheimische, weißer Hautfarbe und mit der Sicherheit der deutschen Staatsbürgerschaft, ein vergleichbares Schicksal nie erleben werden. "Als Bürger von Deutschland, was werdet ihr tun?", heißt es mehr als einmal in Richtung des Publikums. Doch wenigstens kurzzeitig kommt es zur Unstimmigkeit auf dem Podium. Eine der wenigen Fragen der ZuhörerInnen dreht sich um die Situationen von Frauen in den Protesten. "Wir unterscheiden nicht nach Männern und Frauen", sagt K., die Probleme sind die gleichen. N. widerspricht: "Gegenüber Männern sind wir Frauen selbst in Europa häufig Menschen zweiter Klasse." Frauen haben doppelt so viele Probleme wie Männer, führt sie aus, müssen sich um ihr Schicksal wie jenes ihrer Kinder kümmern. Werden in ihren Herkunftsländern bereits mit Kindern zurückgelassen, während die Männer sich auf den Weg nach Norden machen. Und sie werden in ihrem Engagement nicht ernst genommen. "Wir brauchen ein Bewusstsein für die besonderen Probleme von Frauen."

Welches Bewusstsein bleibt bei den ZuhörerInnen? Es reicht nicht, nur zur Demonstration am Sonnabend zu gehen, mahnt die Moderatorin. Eine Wandzeitung informiert unter der Überschrift "Was tun?", es gibt Buttons, Flugblätter und eine Spendenbox. Jedoch: Von jenen aktionistischen jungen Männern, die am Sonnabend am energischsten die Faust im Handschuh recken und hinter der Sonnenbrille entschlossen dreinschauen werden, sind heute wenige anwesend. Viele aus dem Publikum sind bereits in der einen oder anderen Form antirassistisch engagiert. "Wir werden weiterkämpfen", sagt K. abschließend und bedankt sich bei den Anwesenden. "Das ist keine Zeit des Redens, sondern des Handelns", ergänzt N. Und: "Wir werden bleiben."

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