Der bekennende Neonazi Mario M. hat in persönlichen Briefen aus der Justizvollzugsanstalt Rosdorf heraus massive Drohungen gegen linke Strukturen ausgesprochen, insbesondere gegen die Solidaritätsorganisation Rote Hilfe e.V. Deren Bundesgeschäftsstelle hat ihren Sitz in Göttingen, also gerade ein paar Kilometer von der JVA entfernt, in der M. zurzeit noch einsitzt, aber eigenen Angaben zufolge immer wieder „Freigang“ hat. Der mittlerweile 38-Jährige hat in den Briefen - mit festem Blick auf die „linken Spasemacken“ - angekündigt, nach seiner Haftentlassung wieder von „echten Schusswaffen“ Gebrauch zu machen (beispielsweise von einem „45er Colt ... mit fiesen »Hohl-Spitz-Smileys«, die pilzen am Mann immer so herrlich auf!“). Dann könnten die von ihm als politische Gegner_innen gebrandmarkten Personen ihr „blaues Wunder“ erleben.
Unterzeichnet war einer der direkt an die Geschäftsstelle der Roten Hilfe gesandten Briefe mit dem einschlägig als nazistisch bekannten Zahlen-Code „14 / 88 - Oier Messer“. „14“ bezieht sich auf die „14 Words“, das rassistische „Glaubensbekenntnis“ des US-amerikanischen Neonazis David Lane, „88“ steht für „Heil Hitler“. Mit „Oier“ bringt Mario M. sein Selbstverständnis als rechter Oi-Skinhead zum Ausdruck; an anderer Stelle heißt es: „Oi ain’t red - I hate Commie-Scum“. Die martialisch klingende Unterschrift „Messer“ ist nicht nur ein Bestandteil seines Nachnamens, sondern auch das Eingeständnis, dass eine „Nacht der langen Messer“ durchaus zu seinen Aktionsformen im Umgang mit dem politischen Feind zu zählen ist.
Die Rote Hilfe e.V. lässt nun über einen Göttinger Anwalt ihres Vertrauens herausfinden, wie es dazu kommen konnte, dass solche offenen Morddrohungen aus dem Gefängnis heraus ihren direkten Weg zu den politischen Gegner_innen der Nazis finden konnten und wann konkret mit einer Haftentlassung des Absenders zu rechnen sei. Das hat kürzlich zur Mitteilung des in dieser Strafvollstreckungssache eingesetzten Oberstaatsanwalts geführt, in der JVA Rosdorf sei hinsichtlich der von dem Verurteilten versandten Schreiben von einer bislang angewandten „Sichtkontrolle“ zu einer „Überwachung des Schriftwechsels mit Textkontrolle“ übergegangen worden - zumindest für die nächsten drei Monate.
Ohne seinem von zwanghaften Verschwörungstheorien und projektiven Gewaltphantasien geprägten Narzissmus noch weiter Vorschub leisten zu wollen, muss jedenfalls konstatiert werden, dass Mario M.s Ankündigungen, diese Vorstellungen von der physischen Vernichtung des politischen Feinds in die Tat umzusetzen, sehr ernst zu nehmen sind. Er hat im November 2008 in der Tabledancebar „Moonlight“ in Göttingen nach einem Streit mit einer Pumpgun auf den Inhaber geschossen und anschließend zusammen mit zwei anderen Nazis versucht, das Lokal mit Molotow-Cocktails in Brand zu setzen. Der als völlig unberechenbar einzustufende Mario M. wollte das „Moonlight“, in dem er bereits Rechtsrockkonzerte organisiert hatte, in einen regionalen Nazi-Treffpunkt verwandeln, was ihm aber, auch aufgrund des starken antifaschistischen Widerstands, nicht gelang.
Eine Aktivistin der Antifaschistischen Linken International (A.L.I.) stellte nach der Urteilsverkündung am 19. Juni 2009 fest: „Im Zuge der nach dem militanten Fascho-Angriff aufs »Moonlight« in die Wege geleiteten polizeilichen Ermittlungen trat nun zu Tage, wovor Antifaschist_innen schon seit geraumer Zeit warnten, ohne dass sich die bürgerliche Öffentlichkeit dafür interessiert hätte: Niedersächsische Neonazis haben sich gezielt mit funktionsfähigen Schusswaffen wie Maschinenpistolen, Scharfschützengewehren und Pumpguns bewaffnet und sind - wie im Falle des Hauptangeklagten - auch bereit, diese einzusetzen. Gegen wen, spielt keine Rolle, das kann selbstverständlich auch mal der politische Feind sein!“ Verurteilt wurde Mario M. „nur“ wegen des Verstoßes gegen das Waffen- und Kriegswaffenkontrollgesetz, wegen Bedrohung und wegen Beleidigung - zu insgesamt fünfeinhalb Jahren Gefängnis. Die Vorwürfe der versuchten schweren Brandstiftung und des versuchten Totschlags wurden fallengelassen, weil das Gericht keine zielgerichtete Absicht erkennen wollte. M.s Strafe wurde dann aber nochmals um zwei Monate verlängert, weil er einen Brief ans Landeskriminalamt Niedersachsen mit „deutschem Gruß“ unterzeichnet hatte, was vom Gericht als „unerlaubtes Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ gewertet wurde.
Die Rote Hilfe wird alles in ihrer Macht Stehende tun, die eigenen Strukturen vor möglichen faschistischen Angriffen zu schützen; das bezieht sich in diesem Falle ausdrücklich auf die ins Visier Marios geratene Bundesgeschäftsstelle in Göttingen. Schon jetzt zeigt sich, dass die Oberstaatsanwaltschaft nicht willens zu sein scheint, einen äußerst gefährlichen, nazistischen Waffennarr davon abzubringen, Menschen aus linken Zusammenhängen ernsthaft zu bedrohen. Aber was ist schon von Ermittlungsbehörden zu erwarten, die auf dem rechten Auge blind sind und sich - wie im Falle des NSU-Netzwerks - vom involvierten Verfassungsschutz vorschreiben lassen, wann sie trotz konkreten Tatverdachts gegen rechtsterroristische Aktivist_innen vorzugehen haben - und wann nicht?! Dazu passt dann auch, dass der damalige niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU), der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, den „linken Sumpf“ vor allem in Göttingen auszutrocknen, verharmlosend die Waffenfunde bei den Faschisten kommentierte: "Viele Rechtsextremisten haben eine hohe Affinität zu Waffen. Ob und inwieweit sie diese auch zum politischen Kampf einsetzen, müssen die Ermittlungen zeigen.“
Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!
Göttingen, den 08.07.2013