Unangemeldete Demos haben in Freiburg Tradition

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Erstveröffentlicht: 
13.07.2009

Unangemeldete Demonstrationen der linken Szene – in Freiburg sind sie fast schon Normalität. Protestzüge wie jener am Samstag sind zwar gesetzeswidrig, doch für Polizei und Staatsanwaltschaft ist dies ein schwieriges Terrain.

 

Die Crux für die Ordnungshüter: Anrufe zu unangemeldeten Demos erfolgen in aller Regel anonym. So wie in der vergangenen Woche: Im Internet – etwa auf einem eigens eingerichteten Blog – und durch wild geklebte Plakate in ganz Freiburg wurde mächtig die Werbetrommel für den Protestzug gerührt, auf dem am Samstagabend der G-8-Gipfel in Italien und der Kapitalismus im Allgemeinen gegeißelt wurden. Die Demonstration verlief zunächst friedlich, schlug dann aber doch noch in Gewalt um: Im Sedan-Viertel gingen unter anderem Fensterscheiben einer Bank und Sonnenschirme eines Restaurants zu Bruch.

Dass die Sachbeschädigungen eine Straftat darstellen, ist naheliegend – auch wenn es der Polizei im allgemeinen Tohuwabohu nicht gelang, die Täter dingfest zu machen. Doch wie verhält es sich mit den friedfertigen Demonstranten? Ist es strafbar, an einer unangemeldeten Demo mitzumachen? Nein. Die Teilnahme an einer solchen Veranstaltung ist maximal eine Ordnungswidrigkeit, wird aber gemeinhin nicht geahndet.


ANONYMES INTERNET: WER HAT WAS VERFASST?

Die Veranstalter unangemeldeter Demonstrationen machen sich dagegen durchaus strafbar. Werden sie identifiziert, müssen sie sich auf Ermittlungen wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz einstellen. Strafrechtliche Konsequenzen können aber nur "natürliche Personen" betreffen, wie Pressesprecher Wolfgang Maier von der Freiburger Staatsanwaltschaft erklärt: also kein Aktionsbündnis und keinen Verein, sondern einen Menschen. Und ein solcher ist oft nur schwer ausfindig zu machen. Maier: "Selbst wenn wir ermitteln können, von welchem Computer aus ein Aufruf im Internet gestartet wurde, bleiben noch viele Fragen offen: Wer ist zugangsberechtigt zum PC, wer hat den Aufruf tatsächlich verfasst?" Ihm sei jedenfalls kein Fall bekannt, in dem der oder die Verantwortliche einer unangemeldeten Freiburger Demonstration ermittelt und strafrechtlich belangt wurde.

 

Die Anmeldung einer Demo dient vor allem dazu, dass sich Polizei darauf vorbereiten kann – zum Beispiel mit Straßensperrungen und Umleitungen. Doch auch ein unangemeldeter Demonstrationszug muss sich an Autos und Straßenbahnen vorbeischlängeln – und hier führt dann auch für Uniform-scheue Autonome kein Weg an einer Zusammenarbeit mit der Polizei vorbei. Wie am Samstag. Da habe es Kooperationsgespräche mit einer Frau mit einem Zugang zur linken Szene gegeben, erklärt Karl-Heinz Schmid von der Freiburger Polizei. "Kurz vor und auch noch während der Demo haben wir auf diese Art Kompromisslinien gesucht und gefunden", blickt der Polizeisprecher zurück. Im Mittelpunkt solcher Verhandlungen steht in der Regel die Route, die die Protestierenden einschlagen wollen, können, sollen. "Es lief relativ problemlos und sorgenfrei", sagt Schmid, "den Verkehr haben wir spontan angehalten und umgeleitet."

DAS VERSAMMLUNGSRECHT GEHT INS DETAIL

Dass die Demo am Ende dann doch noch aus dem Ruder lief, scheint den Mann vom Polizeipräsidium sehr zu enttäuschen: "Das ist die Quittung für unsere Kooperation und Deeskalation", seufzt er. Die Frau, die als Ansprechpartnerin für die Polizei fungierte, habe sich von der anschließenden Randale distanziert – und sie habe, so Schmid, keine negativen Konsequenzen zu befürchten. Nach Einschätzung des Freiburger Anwalts Jens Janssen ist dies nicht immer so: "Es gab auch schon Fälle, in die Polizei bei einer unangemeldeten Demonstration einen Ansprechpartner suchte und aus einer Wortmeldung den Schluss gezogen hat, dass dies auch der Veranstalter sein musste."

Janssen, der während des Nato-Gipfels im April Demonstranten in rechtlichen Fragen beriet, sieht im baden-württembergischen Versammlungsrecht einen Grund dafür, dass viele Demonstrationen nicht angemeldet werden: Vieles werde bis ins kleinste Detail reglementiert – von der Benennung der Ordner bis zur Richtung, in die Transparente weisen dürfen. So ist es kein Zufall, dass die geplante Verschärfung des Versammlungsrechts den Stoff für neue Demos liefert – für unangemeldete Demos, versteht sich.

UNANGEMELDET: JA, GEHEIM: NEIN

"In Freiburg haben unangemeldete Demonstrationen der linken Szene Tradition", sagt Polizeisprecher Schmid, "überall in Deutschland werden Demonstrationen angemeldet, nur in Freiburg nicht." Allein im zurückliegenden halben Jahr gab es drei große unangemeldete Protestaktionen: Erst mitten im Weihnachts-Innenstadt-Trubel im Dezember, dann kurz vor dem Nato-Gipfel – und jetzt am Samstag mit rund 700 Teilnehmern. Hinzu kommen mehrere kleinere Aktionen. Das Nicht-Anmelden von Demonstrationen beschränkt sich übrigens auf die linke Szene. Andere Protestzüge, wie zuletzt etwa von südbadischen Erzieherinnen oder Freiburger Eishockeyfans, gehen den vorgeschriebenen Weg.

Von Seiten der Freiburger Antifa wird das zumeist so begründet wie von Jonas Spanier am Rande der Anti-Kapitalismus-Demo am Samstag: "Wir haben die Demonstration bewusst nicht angemeldet, weil wir in der Vergangenheit Repressalien der Polizei gegen die Verantwortlichen der Demonstration erfahren haben." Die Rechnung, dass eine unangemeldete Demo von weniger Polizei begleitet werden könnte, geht freilich nicht auf – auch das hat der Samstag gezeigt. Und das ist ja auch logisch – schließlich können nicht nur Sympathisanten der linken Szene lesen, was in einschlägigen Blogs vor sich geht: Auch die Polizei hat Internet.