Quelle:
Erstveröffentlicht:
20.05.2013
Aus der Schweiz wurden die Gestalter eines
radikal-klerikalen Internetsenders vertrieben. Nun sammelt sich die
katholische Fundamentalistentruppe in Wien
Das Haus Große Sperlgasse 33 in der Wiener Leopoldstadt wirkt
unspektakulär: ein Betonklotz, eingepfercht zwischen Altbauten. Einzig das hellrote Gitter vor
dem Eingang sticht ins Auge. Es ist nicht ohne Grund angebracht. Wer hier eingelassen wird,
betritt eine Parallelwelt, die Welt der katholischen Fundamentalisten. Das Haus ist Sitz des
Österreichablegers von Human Life International (HLI), einer weltweiten Organisation von
militanten Abtreibungsgegnern - und ein Zentrum für die Verbreitung von katholischem
Glaubensfuror.
Hier haben nämlich auch Gesinnungsgenossen Unterschlupf
gefunden, die an der Türklingel gar nicht aufscheinen: das
österreichische Team von Gloria TV,
einem Internetportal, das einen extremistischen Katholizismus
propagiert. Eva Doppelbauer, 30, und Julia Blaimschein, 29, zwei
Theologie-Doktorandinnen an der Uni Wien, produzieren hier
Gloria Global,
eine tägliche Nachrichtensendung, in der konservative
Kirchenleute gepriesen und Verbündete aus der Politik in den Himmel
gehoben werden.
In dem Newsflash für Intensivchristen (Begrüßung:
"Laudetur Jesus Christus!")
wird der Salzburger Weihbischof Andreas Laun für seine harte
Linie in Abtreibungsfragen beweihräuchert, oder der BZÖ-Politiker Ewald
Stadler darf seine Verschwörungstheorien über Freimaurer ausbreiten. Nach dem Verschwinden von kreuz.net, einem häufig hetzerischen Internetportal, ist Gloria TV
eine der ersten Adressen für fundamentalistische Katholiken. Nach
eigenen Angaben verzeichnete die alternative Glaubensplattform allein im
März über fünf Millionen Zugriffe.
Ursprünglich nur eine Außenstelle,
ist das Studio in Wien inzwischen die einzige feste Bastion der
digitalen Kreuzritter. Wohl deshalb sah man Eva Doppelbauers Bruder
Markus, wie er vor einigen Wochen, mit drei Reisekoffern bepackt, nahe
der Großen Sperlgasse aus einer U-Bahn-Station stieg. Der ausgebildete
Informatiker und geweihte Priester reiste aus dem Schweizer Bergdorf
Sedrun an, wo er die vergangenen sieben Jahre lebte. Im Pfarrhaus des
Ortes in Graubünden war bis dahin die Zentrale von Gloria TV
untergebracht. Der Kopf des Portals, der Schweizer Reto Nay, wirkte dort
als Seelenhirte. Doppelbauer war ohne offizielles Amt in Sedrun, Nay
stellte ihn stets als "Privatvikar" vor.
Eine
weitere Mitstreiterin, die Moldawierin Doina Buzut, war als
Haushälterin des Dorfpriesters gemeldet. Vom Pfarrhaus aus betreuten die
drei die Webseite. Anfang März gingen Nay und seine Entourage zu weit:
Sie diffamierten deutsche Bischöfe, welche Verhütungspillen befürworten,
mit einem Hakenkreuz. Die Sedruner Kirchenbehörde entließ Reto Nay, der
mit seiner Entourage abtauchte. Hin und wieder meldet er sich nun mit
Videobotschaften zu Wort.
Wo sich Nay, genannt Don Reto, aufhält, ist unbekannt. Gut möglich, dass er in Österreich Unterschlupf sucht. Hier ist Gloria TV entstanden.
Hoffnungsträger der Fundamentalisten
Die
Geschichte der Gruppe beginnt in den späten neunziger Jahren in Linz.
Dort bildete sich die katholische Bewegung Jugend fürs Leben, die gegen
die Fristenlösung und aufgeklärte Katholiken agitierte. Mit dabei waren
die Doppelbauers und Julia Blaimschein.
Auch
ein Dozent von Markus Doppelbauer, der nach einem Informatikstudium am
Internationalen Theologischen Institut, einer päpstlichen
Privatuniversität in Gaming, Theologie studierte, freundete sich mit der
Bewegung an: Reto Nay. Er hatte am päpstlichen Bibelinstitut in Rom
seine Doktorarbeit geschrieben und galt als Hoffnungsträger der
katholischen Fundamentalisten. Bei Veranstaltungen der Jugend fürs Leben
profilierte er sich als brillanter Redner in einem Milieu, das nicht
gerade mit intellektuellen Überfliegern reich gesegnet ist. Die selbst
ernannten Lebensschützer sahen zu Don Reto auf. Für Markus Doppelbauer
wurde der Prediger zum Mentor.
Als im Herbst 2003 im Priesterseminar der Diözese St. Pölten ein Skandal
um kinderpornografische Bilder und Filme aufflog, war Markus Doppelbauer Kaplan von Bischof
Kurt Krenn. Der tat den Skandal als "Bubenstreich" ab und musste den Hut nehmen. Auch der
damals 25-jährige Doppelbauer ging und trat ins Priesterseminar Liechtenstein ein - ein
bekannter Hort erzkatholischer Kräfte.
Reto Nay wirkte derweil in Moldawien und soll dort im Jahr 2005 Gloria TV
gegründet haben. Ein Jahr später kehrte er in die Schweiz zurück und
übernahm in Sedrun das Amt des Dorfpfarrers. Mit dem Gehalt der
katholischen Kirche konnten er und seine Haushälterin Doina Buzut sich
ernähren, während die Sorge für die 1.700 Seelen des Ortes genug Zeit
ließ, um den Onlinesender zu betreuen.
Alle, die Reto Nay in dieser Zeit besuchten, erzählen, dass er der Kopf des Senders sei. Eine direkte Beteiligung an Gloria TV
lässt sich ihm freilich nicht nachweisen. Der Server befindet sich in
Moldawien, eingetragen ist der Sender auf eine lokale Firma für
Toilettenartikel, die Doina Buzuts Schwester gehört. Die Lage in der
rechtsstaatlichen Peripherie macht die Onlinemissionare schwer
angreifbar. 2011 verklagten sie den Chefredakteur der Linzer
KirchenZeitung
nach einem kritischen Artikel, verloren den Prozess und hätten
die Gerichtskosten berappen müssen. Doch ein Pfändungsverfahren verlief
im Sand.
Parallele Kirche
Die
Macher entziehen sich nicht nur der Justiz, sondern auch der
Institution, für die sie streiten, der Kirche. Die Webseite ist das
typische Produkt einer Parallelkirche, welche erzkonservative Katholiken
gerade unter den letzten beiden Päpsten aufbauen konnten. Sie
verteufeln jegliche Konzession an die moderne Gesellschaft und kämpfen
für eine reaktionäre Version des Glaubens: Abtreibungen, Schwulenehen
und Priesterinnen sind darin des Teufels, während die alte lateinische
Liturgie ebenso als gottgefällig gilt wie prächtige Ornate und
autoritäre Seelenhirten. Sie stellen der Amtskirche ein komplettes
Angebot, inklusive Medien und Akademien, entgegen. Die Protagonisten
agieren wie moderne Missionare - flexibel und international vernetzt.
"Obwohl sie Tradition, Hierarchie und Gehorsam hochhalten, meiden sie
die kirchlichen Strukturen und kochen ihr eigenes Süppchen", sagt ein
Kenner der Szene.
Markus Doppelbauer, der
eigentlich seiner Liechtensteiner Diözese Vaduz zu Diensten stehen
müsste, folgte Reto Nay ohne bischöflichen Auftrag nach Sedrun. Erst
nach dem Hakenkreuzskandal im März bat der Churer Bischof seinen Vaduzer
Kollegen Wolfgang Haas, Doppelbauer weitere Tätigkeiten in Sedrun zu
verbieten. Doch der ultrakonservative Haas hält weiter seine schützende
Hand über den Glaubenseiferer. Anfragen zu dem Verbleib des
Österreichers weist der Generalvikar des Erzbistums unter Berufung auf
Datenschutz barsch zurück.
Beinahe hätte
Doppelbauer 2009 sogar eine eigene Pfarrei bekommen. Papst Benedikt XVI.
hatte Gerhard Wagner, den Pfarrer von Windischgarsten, zum neuen
Weihbischof der Diözese Linz ernannt, und Doppelbauer sollte seine
Nachfolge antreten. Gloria TV feiert die Berufung des gestrengen
Gottesmannes, doch nach einer Welle von Kirchenaustritten reichte dieser
wenig später seinen Rücktritt sein. Doppelbauer blieb in Sedrun.
Trotzdem war er regelmäßig in Wien zu Gast - bei seiner Clique aus Linzer
Tagen. Julia Blaimschein und Eva Doppelbauer hatte es nach einem Theologiestudium in St.
Pölten für ihre Dissertation an die Universität Wien gezogen. Die beiden verkehrten vermutlich
im Studentenheim der Katholischen Hochschulgemeinde an der Ebendorferstraße 8, einem
Sammelbecken für Fundamentalisten aus ganz Österreich. Ursprünglich war das Heim einem
fortschrittlichen Katholizismus verpflichtet gewesen. Doch Ende der achtziger Jahre, während
der Amtszeit von Kurt Krenn als Weihbischof in Wien, änderte sich die Tonart. Das
Studentenheim wurde zu einem Reservoir, aus dem junge Glaubensstreiter für den Kirchenkrieg,
der damals in Wien stattfand, rekrutiert wurden.
Mit
der Eröffnung eines österreichischen Ablegers der selbst ernannten
Lebensschutzorganisation Human Life International hatte sich der Kampf
gegen Abtreibungen radikalisiert. Die finanziell potente HLI, geführt
von dem pensionierten HTL-Lehrer Dietmar Fischer, wollte die
Abtreibungskliniken in der Hauptstadt in die Knie zwingen.
Die
Aktivisten belagerten die Kliniken mit Gebetsdemos und richteten in
deren Nähe Beratungszentren ein, von denen aus sie Mitarbeiter und
Patientinnen mit Bildern von abgetriebenen Föten verschrecken wollten.
Auch die Geschwister Doppelbauer beteiligten sich an der
Zermürbungsstrategie: Ein Video auf Gloria TV zeigt Markus
Doppelbauer, wie er auf dem Trottoir vor einer Klinik den kleinen
Exorzismus von Leo XIII. betet, während hinter ihm der Verkehr über den
Gürtel braust.
Abtreibungsklinik ruiniert
Einen
großen Erfolg feierte die HLI 2005: Die Abtreibungsklinik Lucina in der
Großen Sperlgasse 33 ging in Konkurs. HLI-Chef Fischer hatte die
Räumlichkeiten der Klinik und das Stockwerk darüber gekauft. Zwar
scheiterte sein Versuch, der Klinik den Mietvertrag zu kündigen, doch
durch pausenloses Beten und Singen in einer nebenan eingerichteten
Kapelle wurde der Betrieb erheblich gestört. Die Klinik erhielt anonyme
Anrufe, Bombendrohungen und musste Wachpersonal anstellen.
Potenzielle Kundinnen der Klinik lockte die HLI in das eigene Zentrum. Eine Frau berichtete der deutschen Tageszeitung taz ,
sie sei in ein Zimmer gesperrt und zum stundenlangen Singen und
Beten gezwungen worden. Immer weniger Frauen suchten die Klinik Lucina
auf, bis sie schließlich bankrottging. Die HLI zog in das Gebäude, und
wenig später richtete Eva Doppelbauer dort ein Studio von Gloria TV ein.
Die Kapelle an der Großen Sperlgasse
wird von der Erzdiözese Wien als genehmigte Kapelle geführt. "Im
Wesentlichen sieht das Kirchenrecht nur vor, dass der Ort geziemend sein
muss für den Gottesdienst", sagt Michael Prüller, Sprecher der
Erzdiözese. Man überprüfe lediglich, ob die Kapelle zweckgemäß verwendet
werde. Dass von der Kapelle aus Psychoterror angewandt worden sei, ist
für Prüller nicht erwiesen. Und allzu deutlich scheint er sich nicht von
Abtreibungsgegnern distanzieren zu wollen. "Wir begrüßen Engagement für
Lebensschutz, auch wenn die Methoden von HLI teilweise fragwürdig
waren", sagt Michael Prüller.
Mittlerweile
hat sich der Wind allerdings gedreht: Für katholische Fundamentalisten
könnten schwere Zeiten anbrechen. In Rom regiert nun ein Papst, dem
Dialog wichtiger zu sein scheint als der Rückzug in eine katholische
Glaubensfestung. Offizielle Kirchenvertreter, die sich mit den
Jesus-Fundamentalisten einlassen, kommen zunehmend unter Druck. Das
zeigt sich dieser Tage in Liechtenstein. Dort wurde Markus Doppelbauer
zum Politikum. Die Fortschrittliche Bürgerpartei FBP wollte von
Erzbischof Wolfgang Haas wissen, wie das Bistum den streitbaren Priester
künftig einzusetzen gedenke. Eine Antwort ist der Erzbischof noch
schuldig geblieben. Gloria TV sendet inzwischen weiter. Reto Nay und die Seinen mögen auf Pfarrei und Bischof verzichten können, aber kaum auf ihr Publikum.