Ein Polizeihund greift einen Passanten an, der einer Streiterei auf der Straße ausweichen wollte / Dass das Verfahren eingestellt wurde, kann er nicht verstehen.
"Ich war schockiert". Noch immer denkt der 18 Jahre alte Berke Mersin viel an den Jahreswechsel 2011/2012. In jener Silvesternacht wurde er als Passant von einem Polizeihund angegriffen und "sechs bis sieben Mal" gebissen – der Hund verbiss sich regelrecht in seinem Arm. Was der Schüler aus Freiburg nicht verstehen kann: Der Polizist habe gegrinst und nichts unternommen. Nun prüft der Generalstaatsanwalt in Karlsruhe den Fall.
Berke Mersin wollte in der Silvesternacht auf der Kaiser-Joseph-Straße zur Straßenbahnhaltestelle am Bertoldsbrunnen, als sich vor den Bars "El Bolero" und KGB auf dem Gehweg eine Menge drängte. Dort gab es eine Streiterei, die Polizei war vor Ort. Mersin wich auf die Straße aus, als er plötzlich von einem Schäferhund – einem Tier der Polizeihundestaffel aus Umkirch – angefallen und in den rechten Arm gebissen wurde. Er bat den Polizisten, das angeleinte Tier wegzuziehen. "Aber der hat nur gegrinst und nichts gemacht", erinnert sich Mersin. Dies bestätigen zwei Zeugen. Irgendwie schaffte es Mersin dann doch selbst, aus der Jacke zu kommen. "Der Arm war voller Blut, ich habe gar nicht durchgeblickt, was ich machen soll." Ein anderer Polizist, bei dem er Hilfe suchte, habe ihn weggeschubst.
Danach fiel Mersin in Ohnmacht und wurde in ein Krankenhaus gebracht. Später erstattete er Anzeige gegen den Polizisten. Zwei Passanten, die sich noch in der Nacht bei der Polizei als Zeugen gemeldet hatten, wurden erst viel später vernommen und erst, als sie selbst bei der Polizei vorstellig geworden waren.
Die Wunden sind verheilt, geblieben sei an der Bissstelle am Ellenbogen eine Pigmentstörung, sagt der 18-Jährige. Das Verfahren gegen den Polizeihauptkommissar hat die Staatsanwaltschaft am 25. September 2012 eingestellt. Mersin konnte das nicht verstehen. Seine Anwältin Yasemin Burul legte gegen die Einstellung des Ermittlungsverfahrens Beschwerde ein. Seitdem hat sie nichts mehr von der Staatsanwaltschaft gehört.
Auf Nachfrage der BZ räumte Oberstaatsanwalt Wolfgang Maier, Pressesprecher der Behörde, ein, dass Buruls Beschwerde "untergegangen sei": "Das war der Fehler eines Kollegen", normalerweise erfolge eine Antwort zirka 14 Tage nach Eingang der Beschwerdebegründung. Nun wird der Generalstaatsanwalt in Karlsruhe den Fall prüfen. Dies ist üblich bei solchen Beschwerden. In der überwiegenden Zahl der Fälle werde die Einstellung bestätigt, sagt Maier.
In der Einstellungsbegründung weist die Staatsanwaltschaft darauf hin, dass bei fahrlässiger Körperverletzung vorausgesetzt werden müsse, dass das Ereignis für den Beschuldigten vorhersehbar und vermeidbar gewesen wäre. Dies sei hier nicht der Fall gewesen. Der Polizist habe "leicht verzögert reagiert", weil er unter Stress gestanden habe. Laut der Aussage einer Polizistin habe ihr Kollege den Hund sehr körpernah geführt und laut vor seinem Hund gewarnt. Einer der anderen Zeugen meinte sich zu erinnern, dass der Polizist den Hund auch am Halsband gehalten habe. Anwältin Burul bezweifelt das. "Wenn es so gewesen wäre, hätte der Hund ja gar keine Möglichkeit gehabt zuzuschnappen." Dazu passt auch die Aussage eines Zeugen, der aussagte, dass der Abstand zwischen Mersin und dem Hund mindestens ein Meter gewesen und der Hund gesprungen sei, um nach dem Opfer zu fassen. Mersin selbst sagt: "Der Arm des Polizisten war gestreckt, seine Hand war nicht am Halsband."
Er wandte sich noch einmal an die Polizei, weil er Schadenersatz für seine Jacke haben wollte. Erneut erhielt er einen negativen Bescheid – diesmal von der Landespolizeidirektion (LPD). Er habe die Aufforderungen des Polizisten, sich fern zu halten, ignoriert und sei direkt auf den Polizisten zugelaufen. "Mit einem solch grob fahrlässigen Verhalten musste der Diensthundeführer nicht rechnen", heißt es in dem Schreiben der LPD. "Die ganze Geschichte passt mir nicht", ärgert sich Anwältin Burul. "Der Polizist hatte ganz offensichtlich keine Kontrolle über seinen Hund. Das kann nicht angehen."