Wenn die Dominosteine in die falsche Richtung fallen

Erstveröffentlicht: 
18.03.2013

 

Von Thomas Pany

 

Syrien: Es gibt keine FSA

 

Lessons learned? 10 Jahre nach dem Beginn des Irakkriegs ist erneut von der Gefahr eines sich ausbreitenden Flächenbrandes im Nahen Osten die Rede. Damals hatten die Neokonservativen die Idee, dass der Irak eine demokratische Revolution im Nahen Osten auslösen könnte, ein Schurkenstaat, der als fallender Dominostein weitere autokratische System zum Fallen bringt und den Unterdrückten neue, befreiende Luft verschafft.

 

Im Jahr 2013 wächst die Befürchtung, dass sich der bewaffnete Aufstand gegen die syrische Regierung auf die Nachbarländer ausbreiten könnte. Dabei spielen Spannungen eine Rolle, die durch den Irakkrieg freigelegt, mit neuer Gewalt aufgeladen und strategisch benutzt wurden: die zwischen Sunniten und Schiiten, zwischen "Ungläubigen", Säkularen, moderat Religiösen und Dschihadisten.

Beim neuen Hauptschlachtfeld im Nahen Osten, wo das GWOT-Motto vom Kampf gegen den Terrorismus neu variiert wurde - es ist nun der Chef des früher als Schurkenstaat bezeichneten Syriens, der davon spricht - mischen nicht wenige Dschihad-Kalifat-Warriors bezahlt mit Petrodollars aus dem irakischen und libyischen Krieg mit. In dieser Situation denken die USA, Frankreich und Großbritannien laut darüber nach, syrische Rebellen mit Waffenlieferungen weiter aufzurüsten.

 

Die Situation im Land ist unübersichtlich; grobe Leitorientierung wie "gut" oder "böse" funktionieren nicht, die Einsicht, die in hunderten Berichten durchgedroschen wurde, ist längst auch bei den westlichen Staatschefs gelandet, wie man etwa beim Zögern Merkels in der Frage der Bewaffnung der Rebellen beobachten konnte. Nur scheint in London, Paris und Washington - und in Riadh, Doha und Ankarar sowieso - der Wunsch nach einem unbedingten Machtwechsel in Syrien größer als die Vergegenwärtigung der verzwickten Lage und des großen Möglichkeitsraums für bittere Konsequenzen. Wie sonst sind solche Phänomene zu erklären, wonach, sobald sich aus dem fraktionierten Puzzle der Assad-Gegner eine Allianz auftut, gleich Geld und Waffen hinterhergeschickt werden?

Als die Konferenz in Antalya im Dezember 2012 zur Schaffung eines Militärkommandos der Assad-Gegner abgehalten worden war, ging es damit los, dass größere Mengen von Waffen und Munition aus Kroatien in den Norden Syriens gelangten. Anscheinend bezahlt von Saudi-Arabien. Darüber konnte man in einigen Berichten erfahren.

Jede Allianz scheint das Schicksal der vorgängigen zu teilen, sie zerfällt.

 

Darauf kommt auch Aron Lund im Blog Syria Comment zu sprechen, allerdings fügt er der Nachricht eine entscheidende Beobachtung hinzu. Dass es nämlich angesichts der zersplitterten, disparaten syrischen Opposition für die Unterstützer aus dem Westen bzw. den Golf-Monarchien immer darum geht, eine Allianz zu schaffen, die dann als Adressat von Waffenlieferungen und anderen Unterstützungsleistungen gilt.

 

Das Problem ist aber, dass diese neu geschaffenen Kommandodachorganisationen oft nur leere Namen bleiben, weil sie vor Ort nicht über die straffen Verbindungen verfügen, die für eine echte Organisation nötig wären. Immer hoffe man darauf, dass sich die Machtbasis in Syrien für den oder den Protagonisten, die man sich unter Kommandoführern ausgesucht hat, in einem breiteren Gefüge verfestigen würde. Geschieht aber nicht. Jede Allianz scheint das Schicksal der vorgängigen zu teilen, sie zerfällt.

Das ist eine zentrale Erkenntnis, die man aus Lunds Beobachtungen ziehen kann. Die andere wäre, dass sich der Westen an Assad selbst oder an die Kurden wenden müsste, wollte er denn tatsächlich säkulare Gruppen im Land stärken, denn die stehen meist auf Seiten Baschar al-Assads.

In der arabischen Oppositionsbewegung bin ich mir keiner wirklichen säkularen Gruppierung gewahr, aber natürlich könnten es ein paar kleine Fraktionen geben. Soweit ich davon sprechen kann, haben praktisch alle großen bewaffneten Gruppen ( Liwa al-Tawid, Kataeb al-Faruk, Ahrar al-Sham, Jabhat al-Nusra, Sukur al-Sham, Ansar al-Islam, etc) erklärt, dass sie einen islamischen Staat wollen.

 

Doch hört Aron Lund, von Asad Abu Khalil - auf dessen Blog Angry Arab sich ein beachtenswertes aktuelles Interview mit Lund findet - als der derzeit beste Kenner und Analyst der syrischen Opposition bezeichnet, bei dieser Beobachtung nicht auf. Die syrische Gesellschaft sei, trotz der Anstrengungen der Baath-Partei, nie sehr säkular oder liberal gewesen. Außerhalb der urbanen Mittel-und Oberschichten habe sich eine starke Religiösität gehalten. Das spiegele sich auch in der Opposition wider.

 

Mythen und Einmischung

Lund, dessen Hintergrundberichte zur syrischen Opposition im Netz sehr leicht zu finden sind, räumt in seinen aktuellen Texten in den beiden kritischen Syrien-Blogs, Syria Comment und Angry Arab, mit ein paar Mythen auf, welche die Berichterstattung und die Diskussion über Syrien stark geprägt haben oder prägen.

Zum einen der Mythos der Freien Syrischen Armee, die im Grunde nur ein - mittlerweile überholtes - Label war und zu keinem Zeitpunkt mit der Opposition gleichgesetzt werden konnte, die im Kern nur aus ein paar bekannten militärische Führungspersönlichkeiten bestand, Abtrünnige aus Assads Armee, die zeitweise von der Türkei unterstützt einige kleinere Gruppen um sich scharen konnten:

 

The FSA doesn’t really exist.

Zum anderen liefert Lund eine Lesart des Aufstandes gegen al-Assad, die jenen vor den Kopf stoßen wird, die darin einzig eine große vom Westen, der Türkei und den Golf-Monarchien gesteuerte großstrategische Operation erkennen wollen. Nach Lunds Auffassung - vermutlich eine der Annahmen, bei denen der Angry Arab auf Distanz geht, wie er dem Interview voranstellt - wurde und wird der Aufstand von den ärmeren, ländlichen Schichten der Bevölkerung getragen. Der lokale Widerstand habe sich demnach aus der Reaktion auf Assads hartem Zuschlagen gegenüber den anfangs friedlichen Demonstrationen aufgerüstet.

 

Geht es nach Lund, so wird die Rebellion gegen Assad noch immer hauptsächlich von gewöhnlichen Syrern getragen, die sich dem bewaffneten Aufstand anschlossen, sobald die Kämpfe ihre Orte erreichten. Assad selbst habe auch dazu beigetragen, dass die konfessionellen Spannungen mehr und mehr den Krieg prägten.

Dass die für die westlichen Medien so attraktive intellektuelle Liberale, obwohl sie sich in der Minderheit befanden, zu Anfang so herausgestellt wurden, sei ein falsches Bild gewesen. Ob es ein propagandistisches Bild war, darauf antwortet Lund AbuKhalil nur ausweichend.

Unstrittig sei, dass die westlichen Regierungen den Konflikt weiter angeheizt hätten. Für Lund steckt dahinter allerdings keine Strategie, sondern das Fehlen einer solchen. Auch die russische, iranische und chinesische Unterstützung der Regierung sei eine Einmischung mit fatalen Folgen gewesen, weil sich der Konflikt dadurch noch weiter verschärft habe, da es nach dem Motto ging, Hauptsache der jeweilige Widersacher bekommt nicht, was er will. Nun werde es schwierig, Syrien aus diesem unentwirrbaren Knäuel regionaler und internationaler Konflikte wieder herauszulösen.