[Mö] Die Trommler des Widerstands

Mössinger Trommler und Pfeifer 1932 bei einer Demonstration in Tübingen. Fotosammlung Museum Mössingen
Erstveröffentlicht: 
21.01.2013

Auch die Trommler marschierten mit, um dem gerade ernannten Reichskanzler das Fürchten zu lehren. Aber der Generalstreik im schwäbischen Mössingen sollte der einzige bleiben, mit dem Hitler und die Nazis gestoppt werden sollten.

 

"Wir befinden uns im Jahr 1933 nach Christ. Ganz Deutschland ist von den Nazis besetzt. Ganz Deutschland? Nein! Ein von unbeugsamen Bürgern bevölkertes Dorf hört nicht auf, Widerstand zu leisten." So der Tübinger Literaturwissenschaftler Jürgen Wertheimer in Anspielung auf Asterix und Obelix und ein kleines gallisches Comic-Dorf, das gegen die römischen Unterdrücker, die das Land besetzten, kämpft.

 

Wertheimer würdigte damit vor zehn Jahren "Charme, Witz und Kreativität" der renitenten Mössinger Arbeiter. Er verglich ihre Aktionsformen mit dem "skurrilen Humor" Karl Valentins. Die Generalstreiker aus dem Steinlachtal zwischen Tübingen und Hechingen seien eine "bauernschlaue Bande" gewesen, "Blechtrommler", deren Widerständigkeit nicht "aus heiterem Himmel" gekommen sei.

 

Die "gesteigerte Störrischkeit" der Mössinger wurde schon 1827 im Pfarrbericht vermerkt. Sie galten, ebenso wie die Leute im Nachbarort Nehren, großenteils als "verstockte Gottlose", die den "Geist des Spotts" und einen ausgeprägten Hang zum Ärgern der Obrigkeit in sich trugen, der in vielen Begebenheiten überliefert sei.

 

Hier, am Fuße der Schwäbischen Alb, herrschte große Armut. Die Frage nach deren Ursachen kam auf. Wer nicht auswanderte, politisierte sich. Die Handwerker, etwa die Rechen-Macher, mussten weite Reisen unternehmen, um ihre Ware loszuwerden. Das erweiterte den Horizont. Einige fanden Arbeit im Ausland und kamen als Sozialdemokraten zurück. Ihre Stärke war, dass sie es verstanden, im Alltag der Menschen ein Fundament für ihre Vorstellungen von einem Sozialismus zu legen, der nicht in abstrakten Formeln hängen blieb.

 

Sie gründeten den Konsumverein und Arbeitersportvereine, die in mehrere Abteilungen gegliedert waren, Fußballer organisierten sich, Turner und Akrobaten belebten die Szenerie. Es gab organisierte Radfahrer, Wandergruppen, Arbeitersänger, Musikanten. Spielmannszüge begleiteten die Aufmärsche und Kulturveranstaltungen der Linken. Ihre Aktivitäten wurden bei den Wahlen honoriert. Sozialdemokraten zogen in den Gemeinderat ein und dann auch die Kommunisten. Früh erkannten sie in Mössingen: Wer Hitler wählt, wählt den Krieg.

 

Trommler und Pfeifer begleiten den Marsch


30. Januar 1933, 12 Uhr. Der Rundfunk gibt bekannt, dass Reichspräsident Hindenburg in Berlin Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt hat. Im fernen Mössingen mit seinen damals 4000 Einwohnern beruft Martin Maier, der Vorsitzende der örtlichen KPD, für den Abend eine Versammlung der Arbeitervereine in der Langgass-Turnhalle ein. Ein Kurier der Partei aus dem nahegelegenen Reutlingen hatte ihn und seine Genossen unterrichtet, dass die KPD für den nächsten Tag einen Generalstreik gegen Hitler ausgerufen hat.

 

Mehr als 200 Männer und Frauen treffen sich nach der Arbeit in der Halle. Sie beratschlagen, was nun zu tun ist. Danach formiert sich die Gruppe "Antifaschistische Aktion" zu einem Umzug, bei dem sie für den Streik gegen Hitler wirbt. Die Trommler marschieren voran. Einige örtliche Kommunisten versuchen in den Nachbarorten die Linken für die Teilnahme zu gewinnen.

 

31. Januar, 12.30 Uhr. An der Turnhalle versammeln sich um die 100 Leute, Handwerker und Arbeitslose zumeist, sowie der Unterbezirkschef der KPD, Fritz Wandel. Die Protestler marschieren zur Textilfabrik Pausa, die, später "arisiert", der jüdischen Familie Löwenstein gehört. Dort stimmen die Beschäftigten für eine Teilnahme am Generalstreik und schließen sich dem Zug an. Ziel: die beiden anderen Betriebe am Ort. 

 

Trommler und Pfeifer mit Querflöten begleiteten die zuletzt 800 Demonstranten, legten den Rhythmus vor. Hellwache Leute. Sie wollten in Mössingen nicht im gleichen Schritt und Tritt gehen mit "dem Trommler", jenem Mann, der am Tag zuvor zum Reichskanzler bestimmt worden war. Trommel, befiehl, wir folgen dir. Dieses Instrument hat Bertolt Brecht in seinem "Kälbermarsch" karikiert: "Hinter der Trommel her trotten die Kälber, das Fell für die Trommel liefern sie selber." Der Metzger ruft, die Augen fest geschlossen ... Doch die "bauernschlaue Bande" in Mössingen hält die Augen offen.

 

Schließlich trifft die Bereitschaftspolizei aus Reutlingen ein und löst die Demonstration in Steinlachtal auf. Viele Teilnehmer werden in den nächsten Tagen verhaftet, 92 wegen "Landfriedensbruch" angeklagt, sechs "Rädelsführer" wegen "Vorbereitung zum Hochverrat in Tateinheit mit erschwertem Landfriedensbruch". Ergebnis: 80 Angeklagte, darunter drei Frauen, erhalten Haftstrafen zwischen drei Monaten und zweieinhalb Jahren. Fritz Wandel aus Reutlingen muss viereinhalb Jahre absitzen, ehe er im KZ Dachau in Schutzhaft genommen wird. 1943 kurzfristig entlassen, stecken ihn die Nazis dann ins Strafbataillon 999, dessen mörderischen Einsatz er überlebt. Nach dem Streik werden die Angehörigen der "Zuchthäusler" aus Mössingen und Umgebung von den Nazis schikaniert. Auch die Kinder in der Schule.

 

1954 stellt das Oberlandesgericht Stuttgart in einem Wiedergutmachungsprozess fest: "Wäre die Aufforderung zum Generalstreik überall befolgt worden, so wäre diese Maßnahme durchaus geeignet gewesen, das angestrebte Ziel, die Regierung Hitlers lahmzulegen und zum Rücktritt zu zwingen, zu erreichen." Freispruch. 

 

Der politische Streik wird in der Nachkriegszeit dennoch kaum gewürdigt. Es gilt als Makel, Teilnehmer gewesen zu sein. Ein kommunistischer Schandfleck. Schadenfreude über das Scheitern macht sich breit. Erst 2003 wird eine Gedenktafel an der Langgass-Turnhalle angebracht. Im Gegensatz zu Stauffenberg habe der Widerstand aus der Arbeiterbewegung "vergleichsweise wenig Anerkennung" gefunden, sagte Jürgen Wertheimer. Aber, fragt der Literaturwissenschaftler, "weshalb eigentlich sollte eines Obersten Widerstand besser gewesen sein als der eines Handwerkers und Nebenerwerbslandwirts"? 

 

Rote Nelken für die "Blumenstadt" 

 

Nachzulesen ist die Geschichte des Streiks und der Mössinger Linken in der Neuauflage eines reich bebilderten Buches mit dem Titel "Da ist nirgends nichts gewesen außer hier" (Talheimer Verlag, 32 Euro) herausgegeben vom Mössinger Museumsleiter Hermann Berner und Professor Bernd Jürgen Warneken. Ein Grundlagenwerk, das 1982 erschien, erarbeitet von einer Gruppe Tübinger Kulturwissenschaftler, und nun ergänzt und erweitert vorliegt. Hoffnungsvoll merkt Warneken an, die Überzeugung, dass zur Identität der "Blumenstadt Mössingen", so die offizielle Werbung, auch ein Strauß roter Nelken gehöre, scheine heute mehrheitsfähig zu sein. 

 

In einem Gutachten für die Stadt Mössingen stellte der Historiker Ewald Frie fest, am Thema Generalstreik 1933 ließen sich viele Fragen diskutieren – etwa die zum demokratischen Bewusstsein in der Krise. "Mössingen kann ein Erinnerungsort sein, an dem Grundfragen deutscher Geschichte gestellt werden", schrieb Frie. Doch gleichzeitig wehren sich Freie Wähler oder CDU-Leute immer noch gegen die Würdigung des Aufstands. Im Gemeinderat wurde gar gefordert, das Theater Lindenhof müsse sein Manuskript für ein Generalstreikstück, das im "Kultursommer" aufgeführt wird, zur Begutachtung vorlegen. 

 

Eine Fülle von Veranstaltungen hält ihr Andenken wach. Für den 2. Februar ist eine Baden-Württemberg-weite Kundgebung in Mössingen angekündigt. "Achtzig Jahre Mössinger Generalstreik 1933" heißt eine umfangreiche Veranstaltungsfolge des Löwenstein-Forschungsvereins. Die Stadt lädt zu einer offiziellen Feier ein, in der Kulturscheune wird eine Ausstellung eröffnet. Das Theater Lindenhof aus Melchingen hat mit den Proben für sein Stück "Ein Dorf im Widerstand" begonnen, das mit über hundert Laiendarstellern die Vorgänge auf die Bühne in der historischen Bogenhalle der Pausa bringen will, mit zahlreichen Laiendarstellern. Das "konzertierte Spiel" soll am 11. Mai uraufgeführt werden. 

 

Eine der Trommeln, die den Mössinger Generalstreik begleitet haben, ist derzeit in der Ausstellung "Anständig gehandelt" zu sehen. Das Haus der Geschichte Baden-Württemberg zeigt "Widerstand und Volksgemeinschaft 1933–1945" und erzählt dabei "Widerstandsgeschichten mutiger Menschen, die einer breiten Öffentlichkeit noch nicht bekannt sind", auch die des politischen Streiks in Mössingen. Karriere hat das Instrument inzwischen auch mit einer Erwähnung in der "Bild"-Zeitung gemacht. Das Blatt hat es zur "Widerstandstrommel" geadelt.