Die Gewalt der Grenzen

KMII

Dieser Artikel ist Bestandteil der Kampagne „Hamza bleibt – Abschiebung stoppen!“

Jährlich werden in Deutschland im Schnitt etwa 22.000 Menschen abgeschoben oder an den Grenzen zurückgewiesen. Wurden im Jahr 2000 noch 35.444 Abschiebeverfahren durchgeführt, ist die Zahl der Ausweisungen in den vergangenen Jahren, statistisch gesehen, doch leicht zurückgegangen. Das Abschiebeverfahren verstößt dabei jedoch oftmals gegen Menschenrechte. Um etwaige Vorfälle zu vertuschen und unangenehmes Aufsehen zu vermeiden, geschieht dies weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

 

Mehrmals wurden Abschiebehäftlinge, wie im Falle von Kola Bankole oder Aamir Ageeb im Zuge ihrer Ausweisung von den Sicherheitskräften gefesselt und geknebelt in reguläre Linienmaschinen gesetzt. Das dabei dokumentierte Verhalten der Behörden, führte des Öfteren zu etwaigen Zwischenfällen während des Verfahrens. Um eben jenen Vorfällen vorzubeugen, werden neuerdings Abschiebungen verstärkt mit eigens dafür gecharterten Maschinen vorgenommen, die abseits vom regulären Passagierverkehr durchgeführt werden.

 

Kola Bankole verstarb am 30. August 1994 bei einem Abschiebeverfahren nach Lagos auf dem Rhein-Main-Flughafen in Frankfurt. Dieser litt an einem Herzfehler und verstarb an den Folgen einer Zwangsinjektion. Kola Bankole war von vier Beamten des Bundesgrenzschutzes an Bord einer Lufthansamaschine gebracht und an einen Flugzeugsitz gefesselt und geknebelt worden. Gegen 14.00 Uhr verabreichte ihm der begleitende Arzt eine Kombination von Beruhigungsmitteln in den Oberarm. Der herbeigerufene Notarzt konnte um 14.25 Uhr nur noch seinen Tod feststellen.
Aamir Ageeb erstickt am 28. Mai 1999 in Folge der Misshandlung durch Polizeibeamte beim Versuch seiner Abschiebung von Frankfurt am Main ins sudanesische Karthoum. Als er sich seiner Abschiebung verweigert, wird dieser an Bord des Flugzeugs noch während dem Start von drei BGS-Beamten gefesselt, bekommt einen Motorradhelm aufgesetzt und wird mit dem Kopf nach unten gedrückt. Im Oktober 2004 wurden die drei beteiligten Polizisten wegen Körperverletzung im Amt mit Todesfolge zu einer neunmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, ausgesetzt zur Bewährung. Die Staatsanwaltschaft berief sich wegen „Organisationschaos“ auf einen minder schweren Fall.

 

Am 7. Januar 2005 ist der Flüchtling Oury Jalloh, an Händen und Füssen gefesselt, im Polizeigewahrsam in Dessau bei lebendigem Leibe in seiner Zelle verbrannt. Anfang Dezember waren die zwei verantwortlichen Polizisten vom zuständigen Gericht von jeglichen Vorwürfen frei gesprochen worden.

 

Der 17- Jährige Flüchtling David M. aus Georgien sitzt in Abschiebehaft und wird am Nachmittag des 17. März 2010 im Gefängniskrankenhaus Hamburg tot aufgefunden. Er soll sich aus Angst vor seiner Abschiebung in seiner Zelle erhängt haben.

 

Todesfalle Mittelmeer

 

Die herrschende Abschiebepolitik ist Teil der Strategie “Festung Europa” um dem, nach Angaben der Behörden, „wachsenden Flüchtlingsproblem“ entgegen zu wirken. Dabei kooperiert die EU verstärkt mit den Herkunfts- und Transitstaaten bezüglich der afrikanischen Migration nach Europa. Tripolis, Tunis oder Rabat kümmern sich um das Flüchtlingsproblem, im Gegenzug erhalten diese Staatsgelder und Waffenlieferungen von der EU. Eine wesentliche Rolle hierfür übernimmt dabei die Grenzschutzagentur „Frontex“, welche von der EU direkt betrieben wird.
Das Unternehmen „Frontex“, mit Sitz in Warschau, ist (übersetzt aus dem französischen „Frontières extérieures“) die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen. Grundlage ihrer Arbeit ist die Verordnung (EG) 2007/2004 des Rates der Europäischen Union, zur Flüchtlingsabwehr und der Sicherung von Grenzen. Ihr Haupteinsatzgebiet ist das Mittelmeer, indes die Agentur nationale Einsatzkräfte bei der Küstenüberwachung dirigiert.

 

Mehrmals schon standen die Einsätze der Grenzschutzagentur Frontex in der Kritik, immer wieder massiv gegen Menschenrechte und die Genfer Flüchtlingskonvention verstoßen zu haben. Vor allem Menschenrechtsorganisationen halten Frontex für ein „skandalöses Mittel der europäischen Abschottungspolitik“. U.a. verweigerte Hilfeleistung gegenüber Flüchtlingen in Seenot und zwanghafte Umkehr ohne dass dabei das Recht auf Asyl im Einzelfall geprüft wird, bilden dabei zentrale Gegenstände der Kritik.
Fast täglich kommen hunderte von Menschen im Mittelmeer oder dem Atlantik dabei zu Tode. Wie die spanische Tageszeitung „El Pais“ berichtet hat, wurden durch die Mannschaftsbesatzungen eines marokkanischen Kriegsschiffes die Luftkammern eines Schlauchbootes von anreisenden Flüchtlingen zerstochen, während man tatenlos dabei zugesehen hatte, wie die Menschen dabei ertrinken.
Allein im Jahr 2011 kamen, nach Angaben des Hohen Flüchtlingskommissars der UN, mindestens 1.500 Menschen bei Überseefahrt im Mittelmeerraum zu Tode. Die Dunkelziffer dürfte noch weit viel höher liegen.

 

Ende August 2005 versuchten Migranten kollektiv die meterhohen Zäune von Ceuta und Melilla zu überwinden. Seit dem sind bei den nachfolgenden Erstürmungen im September und Oktober an den Grenzen der beiden spanischen Exklaven bis heute offiziell mindestens 16 Menschen durch das bewaffnete Grenzpersonal zu Tode gekommen.
In den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla in Marokko, in denen u.a. vor einigen Jahren große Auffanglager eingerichtet worden waren die unsere EU-Politiker beschönigend als „Hilfszentren bezeichnen, sind koloniale Überbleibsel auf dem afrikanischen Kontinent und bilden heute die geostrategischen Brückenköpfe der EU nach Afrika.
Bei den nun folgenden gewaltsamen Deportationen wurden die Flüchtlinge zusammengetrieben, in Handschellen gelegt und in mehrere Busse gesteckt. Einige der Flüchtlinge wurden in Richtung Oujda an die algerische Grenze und von dort aus 600 Km weiter in die marokkanisch-algerische Wüste gebracht. Andere wurden an die Südgrenze Marokkos in die Internierungslager der Westsahara verfrachtet. Berichten zu Folge sollen die Flüchtlinge auf diesen stundenlangen Transporten weder Nahrung noch Wasser erhalten haben.
Für solches Vorgehen bekommen Marokko und andere Transitstaaten 40 Millionen Euro im Jahr von der EU.

 

Kein Mensch ist illegal

 

Aus humanistischer Sicht ist die Bezeichnung von Migranten als „illegale Einwanderer“ schlichtweg diskriminierend. Ein Unwort aus Sicht der kapitalistischen Verwertungslogik, dass hoheitsrechtliche Interessen über die Menschenrecht stellt. Denn das Menschenrecht kennt keine „Herkunft“.

 

Bis heute verweigert die Bundesregierung 40.000 Kindern ein Leben in Würde. Flüchtlingskinder erhalten in Deutschland nur eine medizinische Notversorgung. Ihr Zugang zu Bildung ist eingeschränkt und sie bekommen nicht einmal den niedrigen Hartz IV-Satz.
Mit dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) werden Kinder gemäß ihres Aufenthaltsstatus kategorisiert und somit oftmals zu Menschen zweiter Klasse gemacht. Das sonst allen zustehende Existenzminimum (Hartz IV) ist bei ihnen um mehr als ein Drittel gekürzt.

 

Residenzpflicht

 

Mit „Residenzpflicht“ ist die räumliche Beschränkung des Aufenthaltsbereichs von Flüchtlingen gemeint, also eine Beschränkung der Bewegungsfreiheit. Das Verbot sieht vor, den Meldelandkreis nicht ohne behördliche Ausnahmegenehmigung zu verlassen. Asylsuchende dürfen das ihnen zugewiesene Territorium, je nach Region den jeweiligen Landkreis oder kreisfreie Stadt, nicht ohne eingeholte Genehmigung der Ausländerbehörde verlassen. Verstöße gegen die Residenzpflicht im Wiederholungsfall gelten als Straftat, Flüchtlinge werden unverhältnismäßig kriminalisiert.

 

Gekennzeichnet durch die Willkür und restriktive Politik der Behörden, stellt die Residenzpflicht eine enorme langwierige Einschränkung der allgemeinen Grundfreiheiten eines Menschen dar. Ausnahmegenehmigungen werden oftmals abgelehnt, der Besuch von Freunden, Verwandten und des Nachbarortes ist somit ohne weiteres nicht möglich. Flüchtlinge werden per Antragstellung zur Offenlegung von persönlichen Kontakten verpflichtet, welches zudem eine Verletzung der Privatsphäre darstellt.
Im Jahr 2008 wurden in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) rund 13 000 Verdachtsfälle von Straftaten gegen die Residenzpflicht gezählt. Nach einer Hochrechnung zufolge werden ca. 40 % aller Flüchtlinge jedes Jahr wegen Verstößen gegen die Residenzpflicht mit Bußgeldern, Geld- oder Haftstrafen belegt.
Damals saßen mindestens 200 Flüchtlinge wegen Residenzverstößen im Gefängnis.

 

Mehrere Verurteilungen führen oft zu Abschiebungen. Die Teilnahme an politischen Veranstaltungen wird behindert. Die politische Organisierung von Flüchtlingen wird erschwert.
Die Residenzpflicht ist einmalig in der Europäischen Union und existiert nur in Deutschland. Unterbringungsschwierigkeiten sind vor allem eine Folge davon, dass man in den letzten Jahren die Unterbringungsplätze konsequent abgebaut hatte.

 

Abschiebepolitik ist keine soziale Lösung und entgegen aller humanrechtlicher Belange. Eine Abschiebung dient allenfalls der Bequemlichkeit, sie ist keine Problemlösestrategie sondern reine Problemverlagerung!